Neuguinea-Expedition auf Spuren Heinrich Harrers: Allein mit Moni-Menschenfressern

Walter Laserer entdeckte alte Nachricht von Harrer Verrückter Trip mit Penisrohren und Fallgruben

Das Lagerfeuer setzte uns wie ein Bühnen-Scheinwerfer in Szene. Wie Stars in der Manege saßen wir im hellen Lichtkegel, umringt von einer rabenschwarzen Mauer. Während die einzelnen in mühevoller Arbeit geschmückten Pfeile unserer Träger im flackernden Licht genau zu erkennen waren, war es uns unmöglich, auch nur den kleinsten Grashalm außerhalb der uns umgebenden schwarzen Mauer zu sehen. Plötzlich durchdrang ein markerschütternder Schrei den leisen monotonen Singsang unserer Träger. Wie elektrisiert rissen wir die Augen auf und versuchten zu eruieren, was da passierte. Ein fast völlig nackter Mann, ich schätzte ihn vielleicht auf 25 Jahre, sprang mit gespanntem Bogen und eingelegten Pfeil aus der Dunkelheit mitten in den Lichtschein des Lagerfeuers. Dabei schrie er – wie uns schien äußerst wütend und aggressiv – für uns völlig unverständliche Worte in Moni, der Sprache des örtlichen Stammes. Spontan zog sich mein Bauch zusammen und ein unangenehmes Gefühl breitete sich immer schneller in meinem Körper aus: Angst.

"Halbstarke" oder gefährliche Menschenfresser?
Wir waren erst heute hier in Bulapa angekommen, einer kleinen Siedlung eines Klans, der sich zum Stamm der Monis zählt. Die Monis wiederum gehören zu den Papuas, wie man die meist eher kleinwüchsigen Eingeborenen hier im Hochland von Neu Guinea nennt. Die Mentalität dieser eigentlich freundlichen Menschen hier entspricht in vielen Bereichen "halbstarken“ Jugendlichen bei uns. Sie sind einerseits fröhlich und bei jedem Unsinn dabei, anderseits kann die Stimmung wahnsinnig schnell in Wut und zerstörerische Aggressivität umschlagen.

Ungefährlich ist das nicht: Bis heute wird von rituellem Kannibalismus in West-Papua berichtet. Feinde werden mit einem gezieltem Herzschuss durch Pfeil und Bogen getötet, ausgeweidet, zerlegt und in Bananenblättern verzehrfertig gemacht, um sich deren Kraft regelrecht "einzuverleiben". In den 1960er und 1970er-Jahren sollen mehrere niederländische Missionare getötet und verspeist worden sein. Zum Glück wissen die Moni um die Wichtigkeit der Expedition und verhalten sich uns gegenüber äußerst freundlich: Als erfahrene Dschungelführer zum Schutz der zukünftigen Touristen auf Abenteuertrips könnten sie eines Tages in der Lage sein, sich selbst zu erhalten.

Das unerschrockene Team
Unsere kleine Expeditionsgruppe bestand zum einen aus Amy Grace, einer in Amerika lebenden Ärztin, die bei den Monis aufgewachsen ist und deren Sprache wie ihre Muttersprache spricht, und zum anderen aus Renate Schachinger aus Österreich, mit der ich schon viele anspruchsvolle Expeditionen, unter anderem zum Mount Everest, überstanden hatte. Mein erster Besuch hier im Hochland von Neu Guinea datiert bereits aus dem Jahre 1995, als wir von Illaga her in rund einer Woche Anmarsch in das Basislager der legendären Carstensz Pyramide kamen.

Diesmal wollen wir den Monis helfen, einen sanften Tourismus aufzubauen. Zu diesem Zweck planen wir erstmals das Basislager der Carstensz Pyramide über das Tal des Kemabu Rivers und danach über den legendären Neuseelandpass zu erreichen. Auch hatte ich es mir zum Ziel gesetzt, die alten Gletschermessungen von Heinrich Harrer zu verifizieren bzw. eventuell auch ein paar der heute fast 50 Jahre alten Steinmänner wieder zu finden. In dieser einzigartigen Region befinden sich einige der am schnellsten schmelzenden Gletscher der Tropenregion.

"Warum ist der Mann so aggressiv?" fragte ich Amy aufgeregt. "Er wurde nicht als Träger ausgewählt und er braucht das Geld", antwortete mir Amy. Massmus, unser Kontaktmann und Chef der Träger, beruhigte mich sogleich:"Ich werde mit ihm sprechen, beruhige dich, beruhige dich", wiederholte er einige Male. Und tatsächlich, einige Minuten später zog der zornige Eingeborene unter intensivem Zureden von Seiten Massmuss von dannen.

Träger engagierten weibliche Träger
Für unsere erste Nacht im Dschungel haben wir unsere Zelte auf einer kleinen Lichtung hoch oben in den steilen Flanken des ersten bewaldeten Berges aufgebaut. Die Nacht jedoch ist sehr kurz, schon um fünf Uhr früh gibt es Frühstück. Wir haben Träger angeheuert, die wiederum Frauen mitgenommen haben, zum Tragen der Verpflegung. Um sieben Uhr sind wir abmarschbereit. Über einige Baumstämme müssen wir nun balancieren, bevor wir nach einigen Stunden ein kleines Gehöft mitten in einer Lichtung erreichen.

Schreiend durch den Orchideenwald
Die nächsten Tage vergehen wie im Flug und doch wird jeder Tag anstrengender als der vorhergehende. Nach der Überquerung des Kemabu müssen wir über eine enge Lianenbrücke zweimal über extrem steiles Gelände aufsteigen. Je weiter wir dem Lauf des Kemabu Richtung seines Ursprungs verfolgen, umso wilder tost der Fluss. Einen halben Tag schlagen wir uns durch einen wunderbaren Auwald mit zahlreichen Orchideen, während der Kemabu daneben wild schäumt und lärmt. Das Rauschen wird zeitweise so stark, dass wir uns nur schreiend verständigen können.

Ein falscher Schritt und alles ist vorbei
Durch zahlreiche Felsbrocken und unterschiedlich große Steine presst sich eine gigantische Wassermasse talwärts. Am nächsten Tag müssen wir den gefährlichen Kemabu auf einigen umgestürzten Bäumen überqueren. Ich kann mir beim besten Willen kaum vorstellen, über die vom Wildwasser unterspülten Äste und glitschigen nassen Baumstämme zu balancieren. Ein falscher Schritt und es kann vorbei sein. Auch Renate ist besorgt: "Ich hab da echte Todesangst, ich geh da nicht hinüber", ist ihr Kommentar. "Wir müssen mit dem Seil sorgfältig sichern. Wenn du dich, falls du hineinfällst, auf den Rücken legst, Füße flussabwärts drehst und wartest, bis wir dich bergen, kann dir nichts passieren."

Am nächsten Morgen ist zum Glück der Wasserstand deutlich gesunken. Wir ziehen die Schuhe aus, um barfuß ein besseres Gefühl für die Baumstämme zu haben. Mit Seilsicherung gelingt uns die Überquerung. Zwar mit übermäßiger Adrenalinproduktion unserer Körper, aber doch ohne Zwischenfälle.

Fallgruben und das Kemabu-Plateau
Fast idyllisch ist der Weiterweg entlang des wilden Kemabu durch einen fast romantischen Regenwald. Wir erreichen eine verlassene Siedlung: Tambua. Unser nächstes Camp steht am Ufer eines idyllischen Bachs, der später weiter unten in den Kemabu mündet. Wieder waren wir zehn Stunden unterwegs und Renate kocht wunderbare Spaghetti. Wir schlafen bei beruhigendem Nieselregen und dem unglaublich melodischen Gesang der Träger ein. Was wird der nächste Tag bringen? Wir hoffen sehr, endlich das waldfreie, aber sumpfige Kemabu-Plateau zu erreichen, aber an welcher Stelle werden wir ankommen?

Der nächste Tag führt uns über reißende Bäche, messerscharfe Steine und tückische Fallgruben in einen waldfreien Kessel umringt von riesigen Felswänden. Wir müssen die Nordabstürze der Ngga Pulu Kette erreicht haben und schlagen unser Camp auf. Am nächsten Morgen erreichen wir endlich das so lang ersehnte Kemabu Plateau und ich erkenne die beiden Dugundugu Seen, an denen ich mich mit der Karte von Heinrich Harrer gut orientieren kann. Nach einem weiteren steilen Berghang erreichen wir die "Autobahn" von Illaga, einen schmalen Gebirgspfad. Immer wieder finden wir zurück gelassenen Müll. Im Vergleich zu dem, was hinter uns liegt, kommt uns dieser Weg nun tatsächlich wie eine Autobahn vor.

Auf 4.500 Metern Höhe
Die Stimmung ist ähnlich wie in den Alpen bei nebeligem Spätherbstwetter, ein schön ausgetretener Wanderweg führt über den 4.500 Meter hohen Pass. Vom Gletscher, der hier noch vor 50 Jahren kaum ein Durchkommen erlaubte, ist heute nichts mehr zu sehen, und so erreichen wir ohne Probleme schon nach kurzer Zeit das Basislager im Merental. Wir stellen an den idyllisch gelegenen Seen unsere einsamen Zelte auf. Nach einer schlechten Nacht, immer wieder gestört von den vielen Mäusen, die sich ohne Scheu fast direkt hinter unseren Köpfen am Zeltrand bewegen, brechen wir schon um drei Uhr früh auf.

Nach einer guten Stunde Kletterzeit befinden wir uns schon in rund 600 Metern Wandhöhe – wirklich rekordverdächtig. Bei strahlendem Sonnenschein sind wir schon nach kurzer Zeit endgültig am höchsten Punkt zwischen Himalaja und Anden angekommen. Sicher unsere schönste gemeinsame Expedition bisher.

Sensation: Botschaft Harrers in Steinmann entdeckt
Bald sind wir wieder ohne Probleme am Wandfuß und es ist erst zehn Uhr am Vormittag. Ich begebe mich mit einer alten Karte auf die Suche nach den eingezeichneten Steinmännern, die Botschaften für die Nachwelt enthalten sollen. Und tatsächlich, in der Nähe der Reste des alten Basislagers von 1936 entdecken wir einen uralten Steinmann. Ich untersuche die stark bemoosten Fugen zwischen den Steinen und entdecke eine alte vom Rost völlig zerfressene Blechdose. Es stellt sich heraus, dass wir eine Botschaft von Heinrich Harrer gefunden haben, die er vor fast 50 Jahren bei seinen Gletschermessungen hinterlassen hat. Ein historischer Fund!

Der Rückweg durch den Bakopa Pass bringt Nebel und Nieselregen. Der Abstieg entpuppt sich als "Wurzelkletterei" in fast senkrechtem Gelände. Unten angekommen folgen wir einem märchenhaft bemoosten Bachbett. Völlig fertig erreichen wir endlich Ugimba in der Dämmerung. Nach einem weiteren Tag fliegen wir von Bilogai wieder über die Berge nach Süden in die große Stadt Timika.

Eine Reiseagentur für Dschungel- und Bergtrips in Neuguinea befindet sich derzeit im Aufbau. Wenn Sie einer der ersten abenteuerlustigen Touristen der Monis sein möchten, holen Sie sich Informationen unter office@ laserer-alpin.at .

Catharina Heindl/Walter Laserer