Naive Wünsche für
"Sommergespräche"

Am Montag führt Lou Lorenz-Dittlbacher ihr erstes "Sommergespräch". Am Dienstag wählt der Stiftungsrat den nächsten Generaldirektor des ORF. Das Publikum hätte mehr von beidem, wenn auch das ein Thema der Hitze-Talks wäre.

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"Sommergespräche" © Bild: Gleissfoto

Wären die "Sommergespräche" wirklich solche und keine falsch etikettierten Interviews, hätten Lou Lorenz-Dittlbacher und Beate Meinl-Reisinger einander viel zu erzählen. Die Neos-Chefin könnte ihrer Gastgeberin dann Gegenfragen stellen. Denn die beiden talken am Vorabend der Wahl zum General im ORF. Das gilt zwar als eines der politisch brisantesten Themen dieser Tage, findet im öffentlich-rechtlichen Fernsehen aber nicht statt. So wie die Betroffenheit der "ZiB 2"-Moderatorin von den parteilichen Ränkespielen in Österreichs dominantem Medienhaus kein Thema ist.

Wären die "Sommergespräche" wirklich solche und keine falsch etikettierten Interviews, könnte die erste Station ihrer 2021er-Auflage im ORF ein spannendes Rededuell werden. Denn unter den konstruktiven Parteipositionen zum öffentlich-rechtlichen Medienhaus sehen jene der Neos die deutlichsten Änderungen vor. Die Meinung der Frau, die 1999 noch als Lou Lorenz zum ORF kam, wäre dazu spannend. Anders als Armin Wolf bezieht sie trotz ihrer 136.000 Follower auf Twitter keine Stellung zur Sphäre ihres Arbeitgebers.

Wären die "Sommergespräche" wirklich solche und keine falsch etikettierten Interviews, könnte am 9. August "Der Preis der Macht" für einen brisanten Talk sorgen. Die Interviewerin hat die gleichnamige Sammlung der Erzählungen von acht ehemaligen Spitzenpolitikerinnen verfasst. Meinl-Reisinger wird wohl Aktuelles dazu ergänzen. Ihre Gesprächspartnerin eher nicht. Obgleich auch sie den Preis zahlt. Zum Beispiel, wenn Politiker sie in Interviews über ihren Ehemann Fritz Dittlbacher zu schmähen versuchen, der als TV-Chefredakteur auf fadenscheinige Art und Weise abmontiert wurde.

Wären die "Sommergespräche" wirklich solche und keine falsch etikettierten Interviews, könnte es also zu außergewöhnlichen Dialogen zwischen Journalist:innen und Politiker:innen auf Augenhöhe kommen. Was die einen an offizieller Macht nicht haben, machen sie durch kommunikatives Gewicht wett. Zudem halten sich Mandatare selten so lang im Geschehen wie Redakteure im Geschäft.

Wären die "Sommergespräche" wirklich solche und keine falsch etikettierten Interviews, entspräche das einem anderen Format als dem seit 40 Jahren bewährten. Es sagt viel über den ORF, dass die Variation seitdem vor allem im Wechsel des Gastgebers besteht. Diese Position galt einst als Orden für langjährige Bewährung. Erst die Betrauung von Tobias Pötzelsberger 2019 und Simone Stribl 2020 änderte diese Vorgangsweise, für die es nun eine Neuauflage gibt. Das macht es für Lou Lorenz-Dittlbacher noch schwerer. Aufgrund ihrer Interviewroutine sind die Erwartungen besonders hoch.

Hierzu gelten seltsame Kriterien. Politikbeobachter wie Fernsehkritiker werden sich an Frage-und Antwortqualität, Gesprächsführung und -stil, Rahmenbedingungen und vielleicht sogar Kleidung abarbeiten. Ebenso verlässlich folgt dann aber der Quotenvergleich mit den Vorjahren. Dabei sind die Sendungsmacher anderen Umständen ausgeliefert. Vom wechselnden sommerlichen Politikinteresse bis zur schwankenden Anziehungskraft der Gäste. Erst hatte Heinz-Christian Strache nach ein paar Jahren Blaupause Jörg Haider als absolute Zugnummer des Genres abgelöst. Seit seinem ersten Auftritt 2017 beherrscht Sebastian Kurz die Arena -zumindest aufgrund von Publikumszahlen. Doch seine aktuelle Form ist unbekannt. Er hat soeben den Testfall auf Puls 4 krankheitsbedingt abgesagt. Das wird er allerdings nachholen - noch vor dem ORF-"Sommergespräch" zum Schulstart Ost.

Obwohl die "Sommergespräche" keine solchen, sondern falsch etikettierte Interviews sind, könnte Lou Lorenz-Dittlbacher den Kanzler auch zum ORF befragen. Dann ist zwar sein nächster General schon gewählt, aber noch kein Direktorium bestellt. Sie wird es kaum tun. Das kann ihr niemand verübeln. Solche Fragen müssen unüberhörbar vom Publikum kommen. Es hätte heute viele Möglichkeiten dazu.