Nackt im Netz

Lisa genießt es, sich im Internet in erotischen Posen und sexy Wäsche zu zeigen. Und Oliver geht noch weiter, wenn er sich und seine Frau bei BDSM-Praktiken filmt und die Videos ins Netz stellt.

von Dr. Monika Wogrolly © Bild: Matt Observe/News

Der Zahnarzt in Bermudashorts im Familienurlaub, die Kioskangestellte im Abendkleid beim Ballbesuch, die Studentin in erotischen Posen auf einer Party - all das gehört selbstredend zur Realität der sozialen Medien. Aber auch Liebe und Sex sind längst nicht mehr bloße Privatsache. Es gibt mannigfaltige Beispiele einer immer noch zunehmenden Zeigefreudigkeit. War der distanzlosen Selbstinszenierung im nicht digitalisierten Zeitalter noch eine natürliche Grenze gesetzt und der Einblick in den privaten Wohnraum, unter die Bettdecke und in Urlaubsdomizile in Form von Fotos oder Filmen dem engsten Kreis vorbehalten, bedarf es längst nur noch eines Klicks, um die Nachbarin oder die Frau des Chefs auf Instagram privat zu erleben. Und das ist noch nicht alles. Es gibt auch immer mehr Paare, die ihr Liebesleben in Form von Bildmaterial im Internet hochladen.

Thomas ist ziemlich genervt, seit er seine Frau in Strapsen nicht nur im Schlafzimmer, sondern auch auf Youtube findet. In ihrer Paartherapie sagt er, er wolle sie nicht teilen. Doch Lisa findet das unangebracht und erfreut sich am positiven Feedback ihrer anonymen Fans. Am liebsten präsentiere sie sich in hautenger Latexmode, was ihr die meisten Aufrufe bringe. Anders bei Ute und Oliver: Wie andere einen Hobbykeller oder Fitnessraum haben, hat dieses Paar seine frivole Liebesgrotte. Es gibt einen gynäkologischen Stuhl, eine Bar und ein kleines "Filmstudio". Am liebsten filmt Oliver sich mit seiner Frau beim BDSM-Unterwerfungsspiel mit seinem Handy. BDSM steht für Fesseln (Bondage) und Disziplin, Dominanz und Unterwerfung (Submission), Sadismus und Masochismus. Dass die grenzwertigen Filme mithin online gehen, wirkt auf ihn zusätzlich erregend.

Und Ute? Findet das nicht mehr okay, seit ein Bekannter eines ihrer SM-Videos sah und sie darauf ansprach.

Thomas ist eifersüchtig und fordert, dass nur er seine Frau Lisa in erotischen Outfits sehen dürfe. Lisa wirft ihm Egoismus vor. Oliver ist hingegen so stolz auf seinen epischen Sex mit Ute, dass er dies mit der ganzen Welt teilen möchte.

Wann und wie zeigt man sich als Paar im Internet?
1. Einvernehmlichkeit. Nur wenn in einer Partnerschaft beide sich bewusst für eine klar definierte Öffentlichkeit im Liebesleben entscheiden, kann das gutgehen.
2. Freiwilligkeit. Nur wenn diese Entscheidung freiwillig ist, schützt man sich vor unerwünschten Nebenwirkungen oder Spätfolgen.
3. Vertrauen. Nur wenn sich Menschen nahezu bedingungslos vertrauen, sind sie zum Schritt ins Netz in der Lage. Wenn nur ein Partner das Bedürfnis hat, sich nackt zu präsentieren, kann das zu quälender Eifersucht und Leid beim anderen führen.
4. Schutzmaßnahmen. Was im Internet ist, kann nicht mehr getilgt werden. Daher sollte man im Zweifelsfall bei der Verbreitung nackter Tatsachen die Erkennbarkeit durch Verpixeln eindämmen. Was einmal hochgeladen und veröffentlicht wurde, ist darüber hinaus dem Zugriff von Cyberkriminellen ausgesetzt.

Zusammenfassend kann man sagen, es geht bei der Zeigefreudigkeit häufig um Stolz auf das, was man hat (Oliver). Und im umgekehrten Fall um Neid und Missgunst gegenüber jenen, die zumindest virtuell haben, was nur einem selbst zusteht (Thomas).

Wichtig: Es soll in jedem Fall Freude, nicht Stress bereiten. Das Feuer der Lust knistern lassen, nicht das Vertrauen ersticken. Im grünen Bereich ist eine leichte Form von Exhibitionismus als Lust an der Selbstdarstellung dann und nur dann, wenn daraus weder Zwang noch Leidensdruck entsteht.