Hugo Portisch: "Ich hätte nichts dagegen, wenn es vorbei wäre"

Erinnerungen an den Jahrhundertjournalisten, Welterklärer und Weltaufklärer Hugo Portisch, der nach einem großen, beispiellosen Leben gestorben ist

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Nachruf - Hugo Portisch: "Ich hätte nichts dagegen, wenn es vorbei wäre"

Das ist vielleicht das Einzigartige an den vielen und großartigen Gesprächen, die man im Verlauf von, ja, vier Jahrzehnten mit Hugo Portisch führen durfte: dass man an ihrem Ende immer klüger war als davor. Gleich, ob das Gespräch zu den großen, welthistorischen Ereignissen Zeiten und Kontinente überspannte; oder ob es nur schnelle Orientierung in Angst-und Krisensituationen bot. Hugo Portisch anrufen, wenn die Welt oder das, was sich mit ihr verwechselt, nicht mehr weiterwusste: Das war das Nächstliegende, und dass er ans Telefon ging ein Privileg, dessen sich nicht viele rühmen durften.

"Hören S'auf mit dem Fürchten, sein S' froh, dass Sie leben, genießen Sie Ihr Leben, denn Sie sind nicht unmittelbar bedroht, und dafür sollten Sie dankbar sein. Und wenn Sie das machen, was alle anderen vernünftigen Menschen tun, sind Sie gut aufgehoben." Das sagte er, als sich vor einem Jahr die Welt in hellem Aufruhr vor der Pandemie überschlug. So war er: ein visionärer Pragmatiker. Deshalb brachte er auch den allseits vorgebeteten Verkündigungsschwulst von der Krise als Chance souverän auf den Boden: "Es ist zu hoffen, dass Schocks dieser Art den Menschen helfen können, zu erkennen, dass das Leben einen Wert hat und dass es schön ist, zu leben. Wenn diese Schlüsse aus der Krise von den meisten Menschen gezogen werden, habe ich sicher eine Hoffnung für die Welt."

Zum Nachlesen - Hugo Portisch: "Hörn S'auf mit dem Fürchten, sein S'froh, dass Sie leben!"

Neun Monate später, zur Jahreswende, wandelte ihn zum pandemischen Verlauf schon leise Skepsis an: "Der Fehler war, zu glauben, dass man mit der Vernunft, der Einsicht und der Selbstkritik der Menschen rechnen kann. Aber der Mensch ist auf Vernunft nicht eingestellt."

Frühe letzte Worte

Am Gründonnerstag ist er gestorben, und man weiß nicht, wo man mit dem Erinnern beginnen soll. Vielleicht im Februar 2017? Da hatte er sich vor dem Ehrenbombardement zu seinem 90. Geburtstag auf sein Gut in der Toskana zurückgezogen und war froh, die vielen Huldigungen nicht gleich persönlich entgegennehmen zu müssen. Denn er hatte sich beim Versuch, seinen entweichenden Hund einzufangen, spektakuläre Schrammen und Hämatome zugezogen.

Schon damals fragte man sich, was man diesem Gespräch künftig noch hinzufügen könnte. Denn er ging auf eine Art ins Persönlichste, wie man es von ihm noch nicht erlebt hatte. Im Erinnern war man auf den Tod seines Sohnes gekommen, der sich nach persönlichen Verwerfungen gefangen hatte und 2012 in Madagaskar einem Infekt erlag. Ob aus solch einer Lebenskatastrophe überhaupt eine Erkenntnis gezogen werden könne?"Man muss sich abfinden", sagte er, "und man kann sich trösten. Er hat ein starkes, eigenbestimmtes Leben gehabt, mit vielen Höhepunkten. Er hat das Leben sehr genossen und viel daraus gemacht, bis zum letzten Augenblick. Ich tröste mich manchmal mit dem Gedanken an meinen Hund. Wenn ich mit ihm in den Dunkelsteiner Wald gehe, läuft er nur selten an der Leine. Und wenn ich ihn dann, nach einem Reh lechzend, über eine Wiese hetzen sehe, denke ich mir: Wenn jetzt ein Jäger kommt, schießt er ihn nieder, und der Hund ist tot. Aber schön hat er es gehabt, bis zum letzten Augenblick."

"Vergesst mich"

Noch ein Stück weiter an die allerletzten Dinge? "Ich werde ja schon gefragt, was auf meinem Grabstein stehen soll. Die Antwort ist:,Vergesst mich.' Ich erhebe keinen Anspruch, die Leute auch noch nach dem Tod zu belästigen. Ich habe auch nichts von dem, was ich getan habe, als große Tat angesehen. Sondern immer als ganz normalen Journalismus. Ich bin immer gern arbeiten gegangen, jeden Morgen, und ich arbeite immer noch gern. Ich liebe meinen Beruf, weil er spannend und erfüllend ist. Aber er ist ein Tagewerk, und Tagewerk bedeutet, dass es mit dem Tag vergeht und für keine Ewigkeit geschaffen ist. Wenn ich mit meiner Arbeit etwas bewegt oder weitergegeben hätte, würde es mich freuen. Aber nachwirken, auf Leute, die einen gar nicht mehr kennen? Auf zwei Drittel meiner Weggenossen habe ich ja schon verzichten müssen."

Und die Perspektive des absehbaren Endes?"Ist für mich eine Selbstverständlichkeit", sagte der im Freundeskreis bekennende Freimaurer. "Meine Frau und ich wissen sehr genau, dass wir nur noch ein paar Jahre haben, wenn es überhaupt so ist. Jede fünf Minuten, die wir jetzt vergeuden, sind abstreichbar von dieser Frist. Der Tod gehört zum Leben. Man muss sich damit nicht einmal abfinden. Man muss es einfach zur Kenntnis nehmen." Aber derjenige, der zurückbleibt?"Ja, das wird ganz schlecht sein. Aber wir sind fest entschlossen, den anderen nicht sehr lang zu überleben."

Kein Jahr später trat das mit Angst Erwartete ein. Die Schriftstellerin, Zeitzeugin und Gefährtin Traudi Reich starb am 23. Jänner 2018, und da war es ein privates Gespräch, in dem er auf baldigen Abschied hoffte. "Ich hab so viel getan und bin so müde", sagte er. "Ich hätte nichts dagegen, wenn es vorbei wäre."

Aber weil er die Disziplin in Person war, und weil der Fernsehsender ORF III und der Ecowin-Verlag von ihm immer Neues forderten, arbeitete er mit schwindenden Kräften weiter und schrieb noch ein Buch über Putins Russland. Am Ende wurde ihm das Sprechen schwer, aber jedes seiner Worte hatte Größe und Gewicht.

So stand er beispielhaft für die geprüfte und privilegierte Generation der Neunzigjährigen, die zuletzt zum Fürchten schmal geworden ist. Lotte Tobisch, Gustav Peichl, Arik Brauer: Ihnen allen war gemeinsam, dass sie das Nazi-Reich noch mit wachen Sinnen erlebt und daraus ihre Schlüsse gezogen hatten. Dass sie aber zu jung gewesen waren, um damals auf irgendeiner Seite schuldig geworden zu sein.

Als Hugo Portisch die Matura hätte ablegen sollen, war das Gymnasium in Preßburg, dem heutigen Bratislava, niedergebombt. "Und aus mir ist trotzdem was geworden", ließ er der Tochter des Berichterstatters ausrichten, als die im Vorjahr befürchtete, mit ihrer Notmatura nicht ernst genommen zu werden. So war er: ein Ermutiger, der den Blick fast immer nach vorn, ins Helle, richtete.

Geboren 1927 in Preßburg

Preßburg war der Dienstort des Vaters, des angesehenen Journalisten Emil Portisch. Das "Prager Tagblatt", für das er tätig war, stand für eine große altösterreichische Tradition. Es gehörte derselben Kette an, für die Franz Kafka, Max Brod und Johannes Urzidil geschrieben hatten.

Nach dem Krieg leitete der Vater die konservativen "Niederösterreichischen Wochenblätter" in St. Pölten, und dort begann der Sohn. Sein erster Artikel war ein Leitartikel, nicht anders konnte es sein.

Ein Jahr später war er bei der konservativen "Wiener Tageszeitung". Sein Kompagnon im außenpolitischen Ressort war Hans Dichand, der später als Herausgeber der "Kronenzeitung" Mediengeschichte schrieb. Dichand erinnerte sich der herben Tage des Anfangs, als man im nachkriegszeitlichen Wien Nächte diskutierend in den Morgen gehen ließ und ein wenig Lebensfreude nachzufassen hoffte. Gern wäre man gemeinsam einem Tennisklub beigetreten, Aufnahmewerber Portisch habe ein feines, handgewebtes Leintuch von daheim geopfert, um beiden elegante Shorts schneidern zu lassen, allein: Kein Verein wollte die beiden haben.

In diese Zeit fiel der journalistische Urknall: Der junge Mann wurde 1950 als einer von zehn in die USA geschickt, zur Fortbildung bei der "New York Times" und der "Washington Post". Aus dem frühen, hässlichen Höhepunkt des Kalten Krieges brachte er doch das überzeitlich Essenzielle, das weltformatigem Journalismus eignet, nach Hause: Check, Re-Check, Double-Check.

Hugo Portisch, der sich zuletzt mit der Posaune von Jericho gegen Trump erklärte, war damals ein leidenschaftlich bekennender Pro-Amerikaner. Die Hitler-Zeit, sagte er, habe ihn ein wahres Grauen vor Diktatur und Unfreiheit gelehrt. Er habe kein Bedürfnis nach Fortsetzung stalinistischer Prägung verspürt.

Ein Kapitel Mediengeschichte

Wenig später gründete der alte Freund Hans Dichand im Auftrag des Industriellen Ludwig Polsterer den "Kurier". "Mache neue Zeitung, möchte, dass du mitmachst", telegraphierte er dem mittlerweile beim Generalkonsulat in New York Stationierten. "Schon die Türken wussten, dass es sich lohnt, von weit herzureisen, um Wien zu erobern." Portischs Antwort: "Bin Türke, komme."

Keine drei Jahre später verließ Dichand den "Kurier" im Unfrieden und gründete die "Kronenzeitung". Portisch übernahm auf Bitten der Redaktion provisorisch und riss das Blatt von 150.000 auf 500.000 Stück Auflage hoch. Das Provisorium - Portisch stand nie als Chefredakteur im Impressum -dauerte zehn Jahre. Der "Kurier" war die größte Zeitung am Platz und entwickelte eine bis dahin ungekannte Medienmacht. Als der Nazi-Professor Taras Borodajkewycz an der Hochschule für Bodenkultur nicht Tolerierbares von sich gab, verbiss sich Portisch, konsequenter noch als die "Arbeiter Zeitung", in den Fall. Bis ein Nazi-Mob das Kurier-Eck in der Innenstadt stürmte und im Verlauf der Gegendemonstration der Kommunist Ernst Kirchweger erschlagen wurde.

Wenig später schrieb Portisch, der die ÖVP frühzeitig verlassen hatte, zum ersten Mal Mediengeschichte. SPÖ und ÖVP hatten in aller Heimlichkeit die Liquidierung des unabhängigen Fernsehens durch ein lückenloses, alle Ebenen überspannendes Proporzsystem paktiert. Portisch bekam das Papier zugespielt, und der "Kurier" brachte das erste Volksbegehren der Zweiten Republik auf den Weg. Wenig später ging die Große Koalition zuschanden, und just der bis dato einzige ÖVP-Alleinregierungskanzler Josef Klaus entließ den neuen ORF in die Unabhängigkeit.

Der Visionär Gerd Bacher wurde Generalintendant und Portisch als Chefkommentator ein Welterklärer epochalen Ausmaßes, an dessen heftig gestikulierenden Händen das Land hing. Wenig später gewann Bruno Kreisky seine erste Wahl. Über Österreich dämmerte die neue Zeit auf.

Portisch war damals auf dem Höhepunkt seiner Macht. Klaus und Kreisky wollten ihn als Medienstaatssekretär, die Generalintendanz des ORF war ihm ebenso angeboten wie die Chefredaktion der "Welt". Aber an Stelle solcher Würden - SPÖ und ÖVP wollten ihn Jahrzehnte später gemeinsam zum Bundespräsidenten machen -gründete der promovierte Publizist mit dem Kameramann Sepp Riff die Portisch-Riff-GmbH. und schuf das Jahrhundertwerk "Österreich II", dann "Österreich I".

Bis zuletzt stand er um sieben Uhr früh auf, durchkämmte die internationalen Nachrichtenkanäle, ließ sich "Time","Economist","Spiegel" nach Hause kommen. Sein Durchblick war ohne Beispiel.

"Ich schätze ihn ganz außerordentlich", ließ Bruno Kreisky einst auf Anfrage wissen. "Als einen der Letzten der großen, klassischen Tradition. Als einen, der immer noch sehr viel lernt. Als einen großen Blattmacher, der vieles hätte werden können und es nicht werden wollte. Als eine singuläre Erscheinung im österreichischen Journalismus."

Waren das Zeiten, als man noch Bruno Kreisky über Hugo Portisch fragen konnte.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der News Ausgabe Nr 14/21

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