Meine Begegnung mit Jack Unterweger

Wie fühlt es sich an, einen mutmaßlichen Serienmörder zu interviewen? Der Schriftsteller Christian Schiller hatte im Juni 1990 die Gelegenheit, mit Jack Unterweger zu sprechen. Wir haben nachgefragt, welche Spuren das bei ihm hinterlassen hat.

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Das Böse gegenüber - Meine Begegnung mit Jack Unterweger

Wie sind Sie dazu gekommen Jack Unterweger zu treffen?
Ich habe für den ORF ein Feature gemacht über kriminelle Schriftsteller wie Jean Genet oder William Burroughs und da war Jack Unterweger auch auf meinem Radar. Nach seiner Entlassung ist er als Skandalautor gehypt worden, durch die Gesellschaft gereicht worden und hatte deshalb sogar eine Managerin.
Mit ihr habe ich telefoniert und sie hat mir dann auch das Interview vermittelt, das direkt in der geheimen Wohnung von Unterweger im achten Bezirk stattgefunden hat.

Wie hat Unterweger auf Sie gewirkt?
Man muss sich den Typen vorstellen wie ein brodelnder Vulkan. Unterweger war relativ klein und drahtig, Schlangenlederhose und Cowboystiefel und er hat sich in erster Linie nur für sich selbst interessiert.

In der Wohnung hat er überall Poster von sich aufgehängt gehabt, als Discjockey Platten in die Höhe werfend oder auch Fotos mit nacktem Oberkörper, wo man seine Tätowierungen gut sehen konnte. Das galt damals ja noch als exotisch.

Ein absoluter Narzisst, der sich damit beschäftigt hat, wie er auf Fotos aussieht. Er hat auch die Berichte zu seinem ersten Mord zum Beispiel in Klarsichthüllen archiviert. Jeden Zeitungsartikel.

»Man hat immer das Gefühl gehabt, man redet mit ihm und wenn man ihm blöd kommt, knallt er einem eine oder tickt völlig aus«

Ist Ihnen an Unterweger noch etwas Komisches aufgefallen?
Man hat immer das Gefühl gehabt, man redet mit ihm und wenn man ihm blöd kommt, knallt er einem eine oder tickt völlig aus. Interessanterweise hat ständig das Telefon geläutet, worauf er gemeint hat: „Schon wieder a Oide zum Schnackseln“. Und hinzugefügt hat, dass er für viele Frauen der Super-Kick sei.
Am ärgsten war aber seine Empathielosigkeit. Dem hat das überhaupt nichts ausgemacht, wie er etwa die Tatortfotos seines ersten Mordes herzeigt hat, die er offenbar irgendwo herbekommen hatte. Da sagte er dann: „Na, schee is‘ ah nimma“.

Gibt es im Gegenteil etwas, das Sie an Unterweger fasziniert hat?
Seine Konsequenz, das war das Interessante. Er hat einfach sein Ding durchgezogen. Das hat die Leute damals vermutlich auch fasziniert: Du hast eine Grenze, die überschreitest du und dann weißt du: „Jetzt bin ich ein anderer“.

Was unterscheidet Unterweger Ihrer Ansicht nach von einem normalen Menschen?
Ein normaler Mensch hat halt Milch im Kühlschrank stehen und ein Serienmörder wie Jeffrey Dahmer eben Menschenköpfe. Der macht den Kühlschrank auf und schaut sich seine Köpfe an. Solche Leute denken total anders und Unterweger war da nicht anders. Für ihn war sein erster Mord dann auch ein Mittel, um an Frauen ranzukommen. Er hat einen leichten sadistischen Hang gehabt und die Frauen wussten im Prinzip, worauf sie sich einlassen, also brauchte er sich nicht zurückhalten. Hinzu kam noch sein Empfinden über anderen Personen zu stehen, als Übermensch quasi, das er sich mit seinem Narzissmus zugelegt hat.

»Eigentlich war ich nicht überrascht, ich hätte ihm buchstäblich alles zugetraut«

Waren Sie über das Ende von Unterweger damals überrascht?
Als ich ihn interviewt habe, dürfte er in der Zwischenzeit ja schon zwei weitere Opfer ermordet haben. Aber das ist alles nur Mutmaßung, er ist ja nach seinem ersten Mord nicht mehr rechtskräftig verurteilt worden.

Aber eigentlich war ich nicht überrascht, ich hätte ihm buchstäblich alles zugetraut.

Hat er Sie nachträglich zu einer Romanfigur inspiriert?
Nein, Unterweger hat uns zu keiner Romanfigur inspiriert. Aber seine Empathielosigkeit und die Faszination von Frauen auf diesen Typ, auf diese Erfahrungen haben wir bei unserer TARGA-Serie zurückgegriffen. Die Ermittlerin wird im ersten Fall mit einem Serienmörder konfrontiert, dem man nichts nachweisen kann. Und da ist die Begegnung mit Unterweger natürlich mit eingeflossen. Dadurch, dass der Serienkiller einen Point-of-View gehabt hat und der Leser ihm ja über die Schulter schaut und beim Morden zuschaut, war es schon wichtig zu wissen wie ein Serienmörder denkt und vorgeht.

Zur Person: Christian Schiller ist Schriftsteller und Teil des Erfolgsduos B. C. Schiller. Das Ehepaar wurde im deutschsprachigen Raum mit Psychothrillern bekannt. In den 90er Jahren veröffentlichte Schiller Bücher und Radiofeatures über kriminelle Schriftsteller.