Kurz muss in Kiew
"Scherben zusammenkehren"

Kanzler morgen in der Ukraine, aber Schaden laut Experten "schon zu groß"

Mit der Hochzeitseinladung des russischen Präsidenten hat Außenministerin Karin Kneissl laut einem Experten "ihr Amt mitgeschädigt, wenn es um die Ukraine geht". Bundeskanzler Sebastian Kurz, der am Dienstag in Kiew erwartet wird, werde "einiges an Scherben zusammenkehren müssen. Ob ihm das gelingt, ist fraglich. Ich finde, der Schaden ist eigentlich schon zu groß", sagt Marcel Röthig.

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Nach Kneissl-Hochzeit - Kurz muss in Kiew
"Scherben zusammenkehren"

Der Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kiew beantwortete die Frage, ob Kurz hier noch etwas retten könne, mit: "Nein". Röthig erklärt unter Anspielung auf das russische Verhalten während des Ukraine-Konflikts: "Wenn man seit vier Jahren externer Aggression ausgesetzt ist, reagiert man auf solche Bilder mit Unverständnis."

Ansehen wird zunichte gemacht

Österreich sehe sich ja sehr stark als neutraler Mittler in der Region, erinnert der Leiter des Regionalbüros der SPD-nahen deutschen Stiftung. ÖVP-Chef Kurz habe sich als Außenminister ein sehr hohes Ansehen erarbeitet: "Das wird natürlich zunichte gemacht: a) mit dem 1. Schlag, eine Koalition mit der FPÖ einzugehen - mit einer Partei, die eine offene Partnerschaft mit Einiges Russland hat, mit einer Partei, die ohnehin schon unangenehm aufgefallen ist, wenn es um Fragen der Krim geht". Und b) nach der "fragwürdigen Inszenierung", der Bilder vom Hochzeitstanz Kneissls mit Putin, seien in Kiew Stimmen laut geworden, dass Österreich statt eines neutralen Mittlers eher "wie ein trojanisches Pferd der Russen" aussehe. Die Hochzeit sei in der Ukraine "womöglich ein noch größeres Thema als in Österreich oder Deutschland" gewesen.

Im Hinblick auf die Friedensbemühungen erwartet der Experte von Kurz, dass die österreichische Regierung die Wichtigkeit von Fortschritten im Minsker Prozess hervorhebt. Konkret geht es demnächst darum, dass das ukrainische Parlament dem ostukrainischen Konfliktgebiet (Donbass) noch einmal den Sonderstatus verlängert. Dies werde "problematisch", meint Röthig.

Autonomiestatus "nur sehr knapp durch Parlament gebracht"

Schon im vergangenen Jahr habe die hinter Präsident Petro Poroschenko stehende Mehrheit den Autonomiestatus "nur sehr knapp und unter großen Protesten überhaupt durch das Parlament gebracht". Heuer seien die Zweifel noch größer, weil von vielen Parlamentariern kein Fortschritt im Minsker Prozess gesehen würde. "Wir befinden uns in Kiew längst im Vorwahlkampf", erklärt Röthig im Hinblick auf die für 2019 geplanten Präsidenten- und Parlamentswahlen. Dementsprechend werde "das Vokabular wieder zunehmend 'nationalistischer' und es wird für Poroschenko sehr schwer werden, noch einmal die Werchowna Rada zu überzeugen, diesem Sonderstatus eine Verlängerung zu erteilen".

Lage angespannt

Nach den jüngsten Entwicklungen, der Ermordung des Donezker Separatistenführers Alexander Sachartschenko könnten negative Auswirkungen auf den Friedensprozess drohen. Die Lage sei sehr angespannt. "Beide Seiten haben ihre Streitkräfte entlang der Kontaktlinie in volle Gefechtsbereitschaft versetzt." Es gebe Bewegungen militärischer Ausrüstung, laut Berichten in sozialen Medien auch über die russische Grenze. Eine Eskalation erwartet Röthig dennoch nicht: Sachartschenkos provisorischer Nachfolger Dmitri Trapesnikow werde kaum die neu erworbene Macht und die neuen Mächte austauschen wollen, was bei groß angelegten militärischen Operationen unvermeidlich sei.

Trapesnikow, der früher beim Fußballverein FC Schachtar Donezk war, sei als "großer Unbekannter" jedenfalls nicht eine solche "Reizfigur" wie Sachartschenko. "Mit einem möglicherweise gemäßigten Mann an der Spitze dürfte die Wahrscheinlichkeit einer UN-Friedensmission wachsen, was die schrittweise Re-Integration des Donbass bedeuten könnte." Eine Schlüsselrolle spiele hier Russland: "Es ist kaum zu bezweifeln, dass die Russische Föderation, die auch nach vier Jahren die 'DNR' ('Donezker Volksrepublik') und 'LNR' ('Luhansker Volksrepublik') nicht als unabhängige Staaten anerkannt hat, die Option noch nicht verworfen hat, die Gebiete zu eigenen Bedingungen an die Ukraine zurückzugeben oder eben so lange die 'eigenen Leute' zu unterstützen, bis man ein für den Kreml befriedigendes Ergebnis erzielt hat."

Friedensmission nicht einfach

Die von Kiew und Russland gewünschte UN-Friedensmission umzusetzen, wird alles andere als leicht: Derzeit gebe es ein völlig unterschiedliches Verständnis auf beiden Seiten. Die Ukrainer wollen eine Mission, die bis zur Grenze zu Russland geht. Die Russen dagegen stellen sich einen Puffer vor, die UNO soll demnach die OSZE-Beobachter beschützen und entlang der Kontaktlinie stehen, um Kämpfe zu verhindern. "Damit wäre aber die Befürchtung der Ukraine verbunden, dass die UNO ein Protektorat schaffen würde." Das wolle Kiew verhindern. Es gehe um die territoriale Integrität, die erhalten werden sollte.

Eine UN-Mission hat nach Ansicht von Röthig "nur dann Sinn, wenn sie auf beiden Seiten auf Konsens trifft". Die noch viel größere Problematik sei aber, dass das Gebiet "riesig" sei. Die Kontaktlinie sei ca. 470 Kilometer lang. "Man bräuchte kapazitätsmäßig schätzungsmäßig 21.000 Männer und Frauen. Die größte derzeitige UN-Mission in der Geschichte ist im Kongo und die verfügt über zahlenmäßig weniger als das. Das heißt, man muss erst mal eine so große Mission hinkriegen". Russland würde hierbei womöglich nicht begrüßen, wenn NATO-Mitglieder Truppen stellen. Aber die Nicht-NATO-Mitglieder hätten wiederum nicht ausreichend Kapazitäten, erklärt er.

Timoschenko dürfte gewinnen

Bis zur Präsidentenwahl im März erwartet Röthig keine großen Fortschritte im Donbass. Bei der Wahl selbst dürften nach aktuellen Umfragen Julia Timoschenko gewinnen. Die Galionsfigur der proeuropäischen "Orangen Revolution" habe bewiesen, dass sie mit Russland gewisse Deals schließen kann. "Deswegen hat sie nicht umsonst den Spitznamen Gasprinzessin." Ihre Partei könnte in den anschließenden Parlamentswahlen bis zu 30 Prozent der Stimmen kriegen, mehr Potenzial habe sie nicht. Sie werde Koalitionspartner brauchen. Es sei nicht unwahrscheinlich, dass dies eine Koalition mit Kräften werde, die dem früheren prorussischen Präsidenten Viktor Janukowitsch nahe standen, also mit Vertretern aus der Ostukraine, meint Röthig.

Eine prorussische Politik erwartet der Experte nach den Wahlen dennoch nicht. "Da ist zu viel passiert und das ist auch den Menschen auch nicht vermittelbar." Was aber eintreten könnte, ist, dass Timoschenko nicht nur Politik machen werde, "die dem Westen gefällt. Mit einer von ihr geführten Koalition wird es schwierig, ganz kritische Reformen durchzuführen - Stichwort: Korruptionsbekämpfung und Zusammenarbeit mit dem IWF." Auf der anderen Seite sei durchaus möglich, dass sie "pragmatischer" in der Außenpolitik vorgehe. "Sie sucht ihren Platz in der ukrainischen Geschichte. Und diesen Platz sieht sie darin, dass sie diejenige ist, die einen wie auch immer aussehenden Frieden in den Donbass bringt".

Hochzeit hat Österreichs Ansehen "sehr geschadet"

Die Einladung Putins zu Kneissls Hochzeit war dem Ansehen Österreichs nicht gerade dienlich: "Meine Gespräche in der Ukraine zeigen: Diese Hochzeit hat dem Ansehen Österreichs in der Ukraine sehr geschadet", erklärte der ukrainische Botschafter Olexander Scherba am Montag gegenüber der APA in Wien.

»Diese Hochzeit hat dem Ansehen Österreichs in der Ukraine sehr geschadet«

"Mir als Botschafter tut es aufrichtig leid", ergänzte er im Vorfeld des Besuchs von Kurz in Kiew. Auf die Frage, ob er Österreich als Brückenbauer erachte, antwortete Scherba: "Wir wollen Österreich als Brückenbauer sehen."

Österreich und Ukraine "Freunde und Partner"

Die Beziehungen zwischen Österreich und der Ukraine beschrieb der Diplomat so: "Wir sind Freunde und Partner, verbunden durch gemeinsame Vergangenheit und Gegenwart - hoffentlich auch durch gemeinsame Zukunft als Teil des gemeinsamen europäischen Raums, mit gemeinsamen Zielen und Werten." Bis August 2018 habe es "eindeutig" keine Veränderung in den Beziehungen gegeben. "Nach August - müssen wir erstmal schauen", sagte Scherba in Anspielung auf die Hochzeit, die am 18. August stattfand.

Die FPÖ werde in der Ukraine als "pro-russische Partei" wahrgenommen. "Man denkt dabei nicht nur an die Hochzeit, sondern auch an den Kooperationsvertrag mit Putins Partei 'Einiges Russland'. Aus unserer Sicht kann man nicht zur gleichen Zeit pro-russisch und neutral bleiben. Da scheint ein Widerspruch zu stecken", betonte Scherba.

Die Frage, ob der Besuch des Kanzlers mit der Hochzeit Kneissls zu tun hat, beantwortete der Botschafter diplomatisch: "Man muss die Seite fragen, die diesen Besuch initiiert hat." Diplomatisch war auch die Antwort auf die Frage, ob die von der FPÖ nominierte parteifreie Außenministerin derzeit in Kiew willkommen wäre? Scherba: "Sollte sie (Kneissl, Anm.) Interesse an so einem Besuch zeigen, würden wir es respektvoll in Erwägung ziehen."

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