Wie sich die Welt nach
Corona verändern könnte [Trends]

Wie wird sich die Welt nach der Corona-Krise verändern? Im Buch „Die Dekade 2020-2030“ aus dem Verlag der UNO-Denkfabrik Diplomatic Council werden die wichtigsten Trends bis zum Jahr 2030 adressiert. News.at hat beim Co-Autor Andreas Dripke nachgefragt, was auf uns zukommen könnte.

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Ein Jahrzehnt voraus - Wie sich die Welt nach
Corona verändern könnte [Trends] © Bild: iStockPhoto.com
Andreas Dripke ist seit über 30 Jahren als Autor, Chefredakteur und unabhängiger Journalist tätig. Er ist als Executive Chairman im Diplomatic Council mit aktuellen Fragen der Weltpolitik von der Digitalisierung über die Globalisierung bis hin zur Zukunft der Menschheit befasst..

Herr Dripke, war die Pandemie der Auslöser für das Buch – oder hätten Sie ohnehin einen Ausblick auf die kommenden 10 Jahre geplant?
Das Buch wäre auch ohne Pandemie erschienen, aber natürlich hat sie Einfluss auf das Buch genommen. Der Diplomatic Council entwirft und bewertet regelmäßig Zukunftsszenarien für die Vereinten Nationen, es gehört für uns quasi zum Alltag, über die Zukunft nachzudenken. Und Corona hat in diesem Fall sicherlich an die 20 Prozent im Buch verändert.

Ist Corona eine Art „Brandbeschleuniger“ für Entwicklungen, die ohnehin gekommen wären? Oder geht es durch die Pandemie in eine andere Richtung?
Es gibt eine Reihe von Entwicklungen, die Digitalisierung ist ein klassisches Beispiel dafür, die überfällig waren. Der Not gehorchend ist jetzt ein gewisser Speed dahintergekommen, der auf die Pandemie zurückzuführen ist. Ohne Corona hätte diese Entwicklung womöglich noch Jahre gedauert, da kann man einen Beschleunigungsfaktor von fünf bis zehn Jahren heranziehen. Und wir gehen davon aus, dass ein wesentlicher Teil der Verhaltensveränderungen, wie zum Beispiel auch das vermehrte Abhalten von Videokonferenzen im Arbeitsalltag oder Homeschooling, bestehen bleiben wird.

»Künstliche Intelligenz wird uns mit voller Wucht in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts treffen«

Lenkt die Pandemie auch von gewissen Entwicklungen ab?
Künstliche Intelligenz wäre ein gutes Beispiel. Darüber wird zurzeit wenig geredet, sie findet aber ungebremst und völlig losgelöst von der Pandemie statt und wird uns mit voller Wucht in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts treffen.

Können Sie ein praktisches Anwendungsbeispiel dafür nennen?
Es ist heute schon unbestritten, dass Sie in vielen Fällen eine bessere medizinische Diagnose bekommen, wenn Sie eine KI die Befunde untersuchen lassen. Das gilt zwar noch als exotisch und findet in unserer Wahrnehmung kaum statt. Statistisch ist die Künstliche Intelligenz aber in vielen Bereichen jetzt schon dem Arzt überlegen.

Wie legt man es an, ein ganzes Jahrzehnt lang in die Zukunft sehen zu wollen?
Ich freue mich schon auf das Jahr 2031, da wird man dann sehen, welche Prognosen stimmen und welche nicht. Zum einen gibt es in der Regel Prognosen, die eine heutige Entwicklung möglicherweise überspitzen. Zum anderen gibt es immer wieder Prognosen, die an sich richtig sind, aber von einem anderen Trend überlagert werden. Der Anspruch besteht darin, dass wir wesentliche Trends für die Zukunft herausgearbeitet haben, die in der einen oder anderen Form auf uns zukommen werden.

Technologische Trends sind vergleichsweise leicht vorherzusagen. Wirklich interessant und schwierig ist es, menschliches Verhalten, also soziale Trends, zu prognostizieren. Der Transport hat sich nicht beschleunigt, weil die Pferde schneller gelaufen sind, sondern weil das Auto erfunden worden ist. Es stellt sich also oft die Frage: Was gibt es, was wir heute noch gar nicht sehen?

Wenn man sich die Weltraum-Technik ansieht, ist ein phänomenales Wettrennen in den letzten Jahren entstanden. Welche Auswirkungen wird das auf der Erde haben? Die Internetversorgung per Satellit leuchtet als Selbstverständlichkeit ein, aber es sind noch viel weitergehende Entwicklungen aus dem Weltraum zu erwarten. Der Blick von oben ermöglicht es beispielsweise, Dinge zu kontrollieren, von denen wir derzeit noch wenig Ahnung haben.

»Wir schätzen derzeit also den Lebenskomfort tatsächlich höher ein als den Schutz unserer Privatsphäre«

Besteht da nicht die Gefahr einer Überkontrolle?
Leider schon, das wird immer stärker auf uns zukommen. Man muss aber auch sagen: Wir holen uns Überwachung teilweise freiwillig ins Haus. Wir haben Siri, wir haben Alexa, und bemühen uns in möglichst jedem Zimmer ein zusätzliches Gerät stehen zu haben. Wir schätzen derzeit also den Zugewinn an Lebenskomfort durch diese Geräte oftmals höher ein als den Schutz unserer Privatsphäre.

Auf der anderen Seite erleben wir eine Zunahme der staatlichen Kontrolle, da hat die Pandemie Vorschub geleistet. So wird man künftig kaum noch mit dem Auto unterwegs sein können, ohne dass die Fahrten erfasst und ausgewertet werden, um nur ein Beispiel zu nennen.

Sie und Ihre Kollegin Nguyen zeichnen ein sehr düsteres Bild für die kommenden 10 Jahre – welcher Trend gibt Ihnen noch am meisten Hoffnung?
Wir sehen die Dinge nicht nur düster. Wir werden in vielen Fällen anhand von KI zum Beispiel klügere Entscheidungen für die Menschheit fällen, als wir dies in der Vergangenheit getan haben. Man muss sich aber im Klaren darüber sein, dass all diese Entwicklungen Vor- und Nachteile haben können.

Mehr zum Thema: Hier geht es zum Buch "Die Dekade 2020-2030: Das kommt auf uns zu"*

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Sie schreiben in Ihrem Buch aber schon auch über das eventuelle Scheitern der EU oder die Möglichkeit von Killerrobotern. Meinem Empfinden nach kommen mehr negative als positive Aspekte im Buch vor…
Das ist schon so. Die Frage ist eben, wie man das Buch betrachtet. An vielen Stellen gibt es einen warnenden Zeigefinger, das ist richtig. Dazu gehört die fortschreitende digitale Überwachung.

Ein anderes großes Thema ist der Rückgang des Bargeldes. Bargeld dramatisch an Bedeutung verlieren. Schon die Pandemie hat vielen von uns gezeigt, dass kontaktloses Zahlen mit Karte oder Handy auch tadellos funktioniert. Damit geht aber auch eine verstärkte Kontrollmöglichkeit und Interpretation der Zahlungsströme einher.

Die Entwicklungen, die Sie herausarbeiten, sind über weite Teile sehr stark auf die Pandemie und Ihre Folgen bezogen. Wann schätzen Sie, dass die Welt Corona in jeglicher Hinsicht abschütteln kann?
Eine seriöse Schätzung ist schwierig, ich glaube aber, dass Corona im Jahr 2022 überwunden sein wird. Alles davor kann ich mir nicht vorstellen. Ich bin aber davon überzeugt, und mit dieser Ansicht stehe ich nicht alleine da, dass wir danach in vielerlei Hinsicht einen erheblichen Aufschwung erleben werden. Wenn man sich die Bilanz 2021/2022 ansehen wird, wird sie gerade bei denen nicht so schlecht ausfallen, die jetzt zurecht jammern. Das gilt natürlich nur für diejenigen, die zwischendurch keinen Konkurs anmelden mussten.

»Wir werden in Europa heftig über Atomkraft diskutieren«

Welcher Trend für die nächsten Jahre wäre trotz Ihrer Vorhersage am überraschendsten?
Ich muss gestehen, ich hatte die Rückkehr der Atomenergie nicht in dem Maße auf dem Radar und bin eigentlich davon ausgegangen, dass das quasi seit Jahren auf dem „Rückzug“ sei. Die Arbeiten am Buch haben mir allerdings das Gegenteil gezeigt: Wir werden in Europa heftig über Atomkraft diskutieren.

Atomenergie wird in der einen oder anderen Form kommen, in smarten neuen Lösungen - und nicht in Gestalt klassischer Atommeiler, wie man sie aus den letzten Jahrzehnten kennengelernt hat.

Wie schätzen Sie die Evolution des Menschen selbst ein für die kommenden Jahre? Wird die Lebenserwartung weiter steigen?
Die Lebenserwartung wird bestimmt weiter ansteigen. Das ganze Thema mRNA hat aktuell durch die Impfstoffe aufgezeigt, wieviel in Zukunft möglich sein wird. All die Fortschritte in der Genetik beginnen gerade erst richtig. Wenn wir Glück haben, erleben wir vielleicht schon gegen Ende des Jahrzehnts genetisch exakte Krebstherapien oder wenigstens sichtbare Fortschritte auf diesem Gebiet.

»Wir haben in Zukunft kein Smartphone mehr«

Gibt es etwas aus dem heutigen Alltag, das wir in 10 Jahren nicht mehr nutzen oder kennen werden?
Ich würde mich vielleicht nicht genau auf 10 Jahre festlegen. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass wir in Zukunft kein Smartphone mehr haben. Wozu auch diesen unhandlichen Klotz mit sich herumtragen? Man wird all die Informationen und kommunikativen Fähigkeiten über Brille, Knopf im Ohr, Kontaktlinse oder implantierten Chip nutzen können. Die einen werden es toll finden und andere wiederum werden vor Menschen als Cyborgs warnen.

Was war aus der Arbeit an den Trends der nächsten 10 Jahre Ihr größtes Learning?
Gerade in der Pandemie-Situation hat es mich beeindruckt zu erkennen, wie stabil unsere Rechtsstaaten sind. Nicht nur in Europa, sondern auch die USA, die völlig losgelöst von Corona ein komplettes Desaster hinter sich haben. Das zeigt, dass auch starke Krisen dieses System nicht kippen können. Es ist ein sehr positives Signal, das mich optimistisch stimmt, die Demokratien in Zukunft erhalten zu können.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. News.at macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.