"Hat Kurz 'Babyelefant'
in Wien vergessen?"

Ohne Maske und Mindestabstand in der Menge - Bundeskanzleramt reagiert auf Kritik

Es war der erste Termin des Bundeskanzlers außerhalb Wiens seit fast zehn Wochen: Am Mittwoch reiste Bundeskanzler Sebastian Kurz ins Kleinwalsertal. Danach folgte herbe Kritik im Netz und seitens der NEOS.

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Auf Twitter war - angesichts eines von den "Vorarlberger Nachrichten" auf Youtube veröffentlichen Videos - nicht nur kritisiert worden, dass in der Menschenmenge vor dem Walserhaus die 1-Meter-Regel verletzt wurde, sondern von manchen auch, dass Kurz dort ohne Maske oder Plexiglasschild auftrat.


Empört reagiert etwa NEOS-Generalsekretär Nick Donig auf die veröffentlichten Bilder des Besuches von Bundeskanzler Kurz im Kleinwalsertal in Vorarlberg.

»Seinen Babyelefanten hat er aber offenbar in Wien vergessen«

"Seit Wochen predigt Bundeskanzler Kurz, dass immer ein 'Babyelefant‘ Abstand zu anderen Menschen zu halten ist. Seinen Babyelefanten hat er aber offenbar in Wien vergessen, denn die Bilder zeigen eindeutig, dass weder der Kanzler noch Landeshauptmann Wallner den Mindestabstand einhalten", nimmt Donig in einer aktuellen Aussendung Stellung.

Bundeskanzleramt nimmt Stellung

Angesichts einiger Kritik auf Twitter und einer von NEOS angekündigten Anzeige hat das Bundeskanzleramt den Appell erneuert, den Sicherheitsabstand einzuhalten. Obwohl man sich in der Organisation im Vorfeld und beim Besuch direkt darum bemüht habe, sei von Bewohnern und Medienvertretern "teilweise der Mindestabstand leider nicht eingehalten" worden.

Auf dem Weg ins Walserhaus habe der Kanzler selbst die Bevölkerung und die Medienvertreter auf der Straße mehrmals gebeten und aufgerufen, die Abstandsregeln einzuhalten, betonte ein Sprecher.

»Man weiß, wie schwer es ist, den Abstand einzuhalten«

"Man weiß, wie schwer es ist, den Abstand einzuhalten, vor allem wenn die Infektionszahlen zurückgehen", hieß es weiter. Das Kleinwalsertal sei aufgrund seiner geografischen Defacto-Abriegelung in den letzten Wochen vom Virus verschont geblieben, auch Vorarlberg verzeichne seit mehreren Tagen keine Neuinfektionen.

Trotzdem wies das Kanzleramt nochmals darauf hin, wie wichtig es sei, weiterhin die Regelungen zu befolgen: "Egal ob man den Bundeskanzler oder Freunde auf der Straße trifft: Der Abstand ist einzuhalten." Mit der Maske halte es Kurz in den Bundesländern nicht anders als in Wien: Bei Bewegungen in geschlossenen Räume trage er Mund-Nasen-Schutz, im Freien nicht.

NEOS fordern Entschuldigung

Die NEOS fordern von Kurz eine Entschuldigung für die Vorkommnisse bei seinem Besuch im Kleinwalsertal in Vorarlberg. "Was man gestern gesehen hat, entbehrt jeglicher Ernsthaftigkeit und jeglichem Verantwortungsbewusstsein", kritisierte NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger.

Weder wurde beim Besuch des Kanzlers der vorgegebene Abstand eingehalten, noch Masken getragen. Zudem waren die Menschen im Vorfeld von der Gemeinde auf Facebook aufgefordert worden, anlässlich des hohen Besuches die Häuserwände zu beflaggen und den Bundeskanzler mit Bekundungen zu begrüßen. "Die Verantwortlichen freuen sich über eine Beflaggung der Häuserwände und Bekundungen an der Walserstraße" lautete die wörtliche Aufforderung. Später wurde der Satz gelöscht. Ein paar Kurz-Fans ließen sich aber nicht beirren und kamen prompt mit Fahnen.

Die NEOS zeigten sich am Donnerstag empört. Tausende Künstler dürfen nicht ein mal im Freien auftreten und bangen um ihre Existenz und der Kanzler inszeniere sich. "Die Leute sind angefressen", sagte Meinl-Reisinger. "Ich erwarte mir eine Entschuldigung von Kurz und Landeshauptmann Markus von Wallner."

Schellhorn kündigt Anzeige an

NEOS-Abgeordneter Sepp Schellhorn kündigte Mittwochabend eine Anzeige an. Meinl-Reisinger sagte auf Nachfrage, dass eine Anzeige geprüft werde. Es könne nicht sein, dass viele Menschen in den letzten Wochen 500 Euro zahlen mussten, weil sie auf einer Parkbank oder zu viert im Auto gesessen sind und der Kanzler die Regeln nicht einhalte.

Empört reagierte auch NEOS-Generalsekretär Nick Donig in einer Aussendung. Mit seinem PR-Besuch in Vorarlberg habe Kurz monatelange und mehrere Millionen Euro teure Aufklärungsarbeit ad absurdum geführt. "Sebastian Kurz handelt offenbar nach dem Grundsatz: Alle Österreicherinnen und Österreicher sind gleich, aber manche sind gleicher. Damit ist er kein Vorbild für Österreich." NEOS prüfen nach der Versammlung rund um den Kanzlerbesuch im Kleinwalsertal eine Anzeige wegen Verstoß gegen die erlassenen Verordnungen. "Was für die Bürgerinnen und Bürger gilt, muss auch für den Bundeskanzler gelten", so Donig.

Anschober weicht aus

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) hat eine Stellungnahme zum Besuch von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) im Kleinwalsertal am Donnerstag verweigert. Ob die entsprechenden Bilder die Akzeptanz der Anti-Corona-Maßnahmen beeinträchtigen könnten, beantwortete er vorerst nicht. Auch die Frage, ob die Exekutive hätte einschreiten müssen, ließ der für die Corona-"Lockerungsverordnung" zuständige Minister unbeantwortet. Anschober erläuterte nur allgemein, wie wichtig es sei, jetzt eine zweite Infektionswelle zu vermeiden und fügte hinzu: "Das gilt für ganz Österreich."

»Das Virus ist nicht auf Urlaub gefahren«

Sehr wohl Kritik übte Anschober an "einzelnen Rednern" bei der Nationalratssitzung am Mittwoch. Diese hätten nämlich den Eindruck vermittelt, "dass die Krise vorbei ist". Vor dieser Haltung könne er aber nur warnen, so der Minister: "Das Virus ist da, das ist nicht auf Urlaub gefahren." Die von Schellhorn angekündigte Anzeige wegen des Auftritts im Kleinwalsertal kommentierte Anschober knapp: "Wenn ein Bürger eine Anzeige macht, wird die von der Exekutive erhoben und aufgeklärt."

Kurz für Kickl "Lebensgefährder"

Empört über die Szenen beim Besuch von Bundeskanzler Kurz im Kleinwalsertal haben sich auch SPÖ und FPÖ gezeigt. Was in puncto Abstandsregeln für alle gelte, müsse auch für den Kanzler gelten, mahnten beide Parteien. Kurz sei jetzt eindeutig ein "Lebensgefährder" - noch dazu, wo in der Menge viele ältere Menschen gewesen seien, befand FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl.

Diesen Terminus hatte Kurz' Parteikollege und Innenminister Karl Nehammer gebraucht, erinnerte Kickl, der die gesamte Regierung der "Heuchelei und Doppelmoral" bezichtigte. Kurz ignoriere "munter seine eigenen Vorgaben, obwohl ja angeblich die Apokalypse über Österreich hereinbricht, wenn man dem Wort des Kanzlers nicht buchstabengetreu Folge leistet".

SPÖ echauffierte sich über "Skandalbilder"

Die SPÖ echauffierte sich in einer Aussendung über die "Skandalbilder" aus Vorarlberg und die "Verhöhnung der Bevölkerung". "Seit Wochen werden Leute mit hohen Geldsummen bestraft, die sich nicht an die Abstandsregeln halten, in Wien wurden vom Bund riesige Parkanlagen gesperrt, tausende Menschen arbeiten den ganzen Tag mit Atemschutz", sagte Vizeklubchef Jörg Leichtfried. Doch "wenn der Kanzler meint, er muss einen Show-Auftritt machen, ist alles egal?", fragte er.

Leichtfried kündigte eine parlamentarische Anfrage gemeinsam mit SPÖ-Sicherheitssprecher Reinhold Einwaller an. Es stelle sich die Frage nach der Organisation im Vorfeld. "Wir wollen vom Gesundheitsminister auch wissen, ob die zuständige Bezirkshauptmannschaft Bregenz davon gewusst hat und Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden", erklärte Leichtfried. Nehammer soll zum Vorgehen der Polizei befragt werden. "Dieser Skandal gehört aufgeklärt", forderten die beiden SPÖ-Abgeordneten.