"Es ist wichtig, Kindern
Grenzen aufzuzeigen"

Psychologin über Voraussetzungen für eine harmonische Mutter-Kind-Beziehung

Die meisten Mutter-Kind-Beziehungen sind im Erwachsenenalter mehr oder weniger konfliktgeladen. Die Voraussetzungen für ein harmonisches Verhältnis werden in der Kindheit gelegt. Die Psychologin Dr. Daniela Renn erklärt, wie.

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Mutter und Sohn © Bild: iStockphoto.com/darrya

Die Gesellschaft erwartet, dass eine Mutter ihr Kind bedingungslos liebt und ihre eigenen Bedürfnisse völlig selbstverständlich hinter die des Kindes stellt. Wann darf die Mutter die Prioritäten bei sich setzen?
Es kommt ganz darauf an in welcher Lebensphase des Kindes und in welchem Ausmaß die Prioritäten gesetzt werden. Vorauszuschicken ist, dass es sehr wichtig ist, dass sich Eltern um sich selbst kümmern, damit es ihnen überhaupt möglich ist, den Nachwuchs großzuziehen. Eltern, die sich zum Beispiel selbst in basalen Bedürfnissen wie Körperhygiene und eine gesunde und adäquate Ernährung vernachlässigen, können auch kein gutes Vorbild für Kinder sein. Im Laufe des Lebens, der Monate, der Jahre, dürfen sich Prioritäten ändern. Sobald die Grundbedürfnisse von Kindern – auch schon während der ersten Lebensmonate und –jahre - gestillt sind, dürfen und sollen sich Eltern ihrer selbst und ihrer Partnerschaft annehmen. Sie sind somit auch wichtige Spiegelfiguren für die Kinder. Eine Mutter darf auch mal ausgehen, Zeit mit ihren Freundinnen verbringen, Kraft tanken. Dadurch lernen Kinder, dass sie nicht alleine auf der Welt sind und sich nicht alles nur um sie dreht. Dieses Vorgehen steht nicht im Widerspruch dazu, dass Kinder der Mittelpunkt der Eltern sind.

Warum erwarten wir, dass unsere Mütter uns bedingungslos lieben?
Eine bedingungslose Liebe von Seiten der Mutter und des Vaters bzw. der Erziehungsberechtigten egal welchen Geschlechtes ist in den ersten Jahren, in der Kindheit und Adoleszenz, überlebenswichtig für das Kind/den Jugendlichen. Menschliche Babys sind alleine nicht überlebensfähig. Die Liebe garantiert eine den Umständen entsprechende „Aufzucht“. Das fängt beim Füttern, dem Windelwechseln, dem Trösten und Herumtragen mitten in der Nacht an und hört im Grunde genommen erst mit Ende der Adoleszenz auf. Danach ist elterliche Liebe ebenfalls wichtig, wird aber nicht mehr zum physischen Überleben benötigt, trägt aber sehr zum emotionalen Wohlbefinden bei.

»Kinder brauchen Grenzen, damit sie lernen können, sich im Leben zurechtzufinden«

Wo sind die Grenzen dieser Liebe?
Was ist bedingungslose Liebe? Alles zu akzeptieren, was das Kind tut? Aus psychologischer Perspektive gesehen ist es enorm wichtig, den Kindern Grenzen aufzuzeigen, damit sie lernen können sich im Leben zurechtzufinden. Das ist grundsätzlich ein sehr schwieriges und emotionales Thema, weil in einer Gesellschaft bestimmte Erziehungsstile zu bestimmten Zeiten idealisiert werden. Derzeit ist der Tenor, Kinder möglichst zu Individualisten zu erziehen, vorherrschend. Kinder, die aber wenig ihre Grenzen erfahren dürfen, haben es in der Zukunft schwer sich zu orientieren. Das geht von eigenständigem Lernen bis hin wie sich ein Kind als Adoleszenter bzw. Erwachsener in Gruppen verhält. Grenzen kennen lernen und gleichzeitig sich selbst als Individuum erleben zu lernen stehen aber keineswegs im Widerspruch!

Wann beginnt der Abnabelungsprozess und ab wann sind Eltern nicht mehr für das Handeln ihrer Kinder verantwortlich?
Etwa nach dem Ende der Volksschule ist der Zeitpunkt erreicht, an dem Eltern nicht mehr per se für Entscheidungen, die Kinder treffen, verantwortlich sind. Vor allem in der Jugend und Pubertät ist es wichtig, Kindern Verantwortung zu übergeben und in ihre Entscheidungen zu vertrauen. Je früher sich die Eltern daran gewöhnen, desto leichter fällt es ihnen, den erwachsenen Kindern auf Augenhöhe zu begegnen. Eltern können das Erlernen, Entscheidungen selbstständig zu treffen, auch aktiv fördern und unterstützen. Achtung: Rechtlich gesehen gibt es in der Auffassung Unterschiede. Eltern haften für die Handlungen ihrer Kinder (bis zum 7. Lebensjahr) und unmündiger Minderjähriger (bis zum 14. Lebensjahr). Die Aufsichtspflicht beginnt mit der Geburt und endet mit dem 18. Lebensjahr – sie nimmt aber sukzessive mit dem steigenden Alter des Kindes ab.

»Es darf auch mal ganz laut krachen und eine Zeitlang Funkstille sein«

Dürfen Eltern Ansprüche an ihre Kinder stellen und dürfen sie enttäuscht sein, wenn sich ihre Erwartungen nicht erfüllen?
Ansprüche, Erwartungen darf man haben. Aber nicht, dass diese auch grundsätzlich umgesetzt werden müssen. Von Bedeutung ist, dass geredet wird, ausgetauscht wird. Es darf auch mal ganz laut krachen und eine Zeitlang Funkstille sein. Eine tragfähige Eltern-Kind-Beziehung zeichnet sich in allen Lebensphasen durch das aufeinander Zugehen, das gegenseitige Respektieren, Akzeptieren der Lebensvorstellungen des Anderen und durch Anerkennung aus.

Auch wenn es ein Tabu ist. Dürfen Kinder von ihren Müttern enttäuscht sein?
Frau/Mann darf und kann von jedem, der nicht den eigenen Erwartungen entspricht bzw. diese nicht erfüllt enttäuscht sein. Auch von den eigenen Eltern.

Wann ist es besser, getrennte Wege zu gehen?
Getrennte Wege zu gehen muss nicht unbedingt in einem Kontaktabbruch enden. Getrennt kann einfach auch bedeuten, eine gute und gesunde Distanz in die Beziehung zu bringen, sodass ein Aufeinander zu gehen wieder möglich ist. In meiner Ordination sehe ich unter anderem KlientInnen, die durch massive Kränkungen kurz vor einem Beziehungsabbruch stehen. In den meisten Fällen wird nach gründlicher Reflexion eine (räumliche) Distanz als ein passender, ein gehbarer Weg angesehen.

Mag. Dr. Daniela Renn
© fotostanger.com

Dr. Daniela Renn - Klinische Psychologin und Gesundheitspsychologin, Sexualpsychologin und -therapeutin, Wahlpsychologin für Diagnostik, allgemein beeidete und gerichtlich zertifizierte Sachverständige, Hypnosetherapeutin, Supervisorin
www.psypraxis.org, daniela.renn@psypraxis.org

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