Musikrechte: Das neue Gold tanzt nach Noten

Hunderte Millionen für Bob Dylan. Eine halbe Milliarde für Springsteen. Superstars verkaufen ihre Songrechte. Der Druck der Streamingdienste zwingt sie dazu. Die Gewinner sind andere

von Musikrechte: Das neue Gold tanzt nach Noten © Bild: Maddie Meyer/Getty Images

Shakira hat es getan, Bob Dylan ebenso. Auch Neil Young, Bruce Springsteen und Debbie Harry produzierten entsprechende Schlagzeilen. Oder Bob Marley, Whitney Houston und Ray Charles. Die Liste ließe sich ins Endlose fortsetzen. Sie alle verkauften - ganz oder teilweise - Rechte an ihrer Musik und sind nun um viele Millionen Dollar reicher. Musikrechte sind das neue Gold. Die kommenden Monate werden laut Brancheninsidern weitere Millionendeals bringen.

Dabei nahm vor vier Jahren, als die Verkaufslawine losgetreten wurde, kaum jemand von ihr Notiz. Es ging anfangs um Songrechte wie jene am Justin-Bieber-Hit "What Do You Mean". Oder der englischen Version des Welthits "Despacito". Die neu gegründete britische Investmentfirma Hipgnosis Songs Fund begann 2018, zu kaufen, was gut und zu haben war.

Im selben Jahr konterte Primary Wave, ein Musikverlags- und Talentmanagement-Unternehmen, mit dem Kauf eines Teils der Verlagsrechte an Bob-Marley-Hits für 50 Millionen Dollar. Ein Jahr später erwarb Primary Wave die Hälfte der Verlagsrechte an Whitney Houstons Song-Vermächtnis und dazu den Großteil an Ray Charles' Verlagsrechten.

© Kevork Djansezian/Getty Images WHITNEY HOUSTONS SONGRECHTE sind bei Primary Wave in guter Gesellschaft. Auch die Verlagsrechte von Ray Charles, Stevie Nicks und Bob Marley gehören dem Unternehmen

Die Briten von Hipgnosis gingen daraufhin bei Songwritern einkaufen, die für Mary J. Blige, Mariah Carey, Beyoncé und Justin Timberlake Hits geschrieben hatten. Und dann wurde es erst richtig rasant. Im Jahr 2020 gingen Rechte an Songs von Bon Jovi und Barry Manilow an Hipgnosis. Die Imagine Dragons verkauften an die Concord Music Group. Taylor-Swift-Songrechte wurden von Shamrock Capitol erworben. Die Band The Killers veräußerte an Eldridge und Stevie Nicks an Primary Wave.

Ein halbe Milliarde für Springsteen

In die Schlagzeilen schaffte es das irre Geschäft mit Musiklizenzen trotzdem erst, als es bei His Bobness und seinesgleichen angekommen war. Im Dezember vor zwei Jahren verkaufte Bob Dylan seine Verlagsrechte für rund 400 Millionen Dollar an die Plattenfirma Universal Music - und inzwischen auch den Großteil seiner Masterrechte an Sony Music Entertainment.

Wenig später bekam Neil Young von Hipgnosis 150 Millionen Dollar für die Hälfte seiner Verlagsrechte. Bruce Springsteen verdiente mit dem Verkauf seiner Rechte an Sony Music fast eine halbe Milliarde Dollar. Und erst vor wenigen Wochen machte Universal Music den Briten Sting für Verlagsrechte inklusive seiner Songs für The Police um 350 Millionen Dollar reicher. Warum tauschen Künstler bloß ihr Lebenswerk gegen Geld?

"Ich werde älter und werde nicht ewig leben. Meine Familie kennt sich im Musikgeschäft nicht aus", erklärte Nashville-Pianist Philip Wesley seine Motive. "Statt sie mit rechtlichen Bürden zu belasten und dem Dschungel der Musikrechteverwaltung, hinterlasse ich ihnen lieber Bares."

Neben großherziger Sorge um die Stirnfalten der Erben liegt der Hauptgrund für den Boom im Musikrechtehandel freilich anderswo: Die Stars brauchen Geld. Ein Umstand, den viele Faktoren speisen und dessen Wurzeln bis ins Jahr 2000 reichen.

Die Pandemie schrumpft Einnahmen

Als größter Treiber hinter dem Verkaufsboom gilt - wie in so vielen Bereichen - die Pandemie, die es den Künstlern unmöglich gemacht hat, auf Tour zu gehen. Die Superstars brauchen Geld, um ihren Lebensstandard zu erhalten, und die Einnahmen aus ihren Tourneen fehlen schmerzlich. "Man muss wissen, dass die Top Ten der Spitzenverdiener im Musikbusiness 80 bis 90 Prozent ihrer Einnahmen aus dem Livebusiness beziehen, und das ist zuletzt weggefallen", erklärt Peter Tschmuck von der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien.

© Shirlaine Forrest/Getty Images TREUE SEELE STING. Der 70-jährige Brite, ein Universal-Music-Künstler, verkaufte seinen Verlagskatalog samt Rechten an The-Police-Songs für 350 Millionen Dollar an Universal

Der Universitätsprofessor für Kulturbetriebslehre und Vorstand des Instituts für Kulturmanagement und Gender Studies forscht seit Jahren zum Schwerpunkt Musikwirtschaft. Er beobachtete, wie die Digitalisierung dazu führte, dass die Einnahmen aus dem Verkauf von CDs, Schallplatten oder Musikdownloads stetig abnahmen, bis sie zuletzt nur noch einen Bruchteil der Gesamteinträge der Künstler ausmachten.

Das Streaming stiehlt Geld

Dafür verantwortlich sei das Musikstreaming, erklärt Tschmuck, also Dienste wie Spotify: "Solange man noch CDs verkauft hat, konnte man ganz gut davon leben und musste nicht auf Tour gehen. Das hat sich Anfang der 2000er-Jahre geändert." Es war die Zeit, als viele Künstler nach Jahren der Live-Abstinenz plötzlich wieder die Bühnen stürmten, um Geld zu verdienen. Diese Entwicklung wurde von neuen Playern im Livebusiness mit einem neuartigen Geschäftsmodell versüßt. Unternehmer wie Live Nation, AEG und CTS Eventim zahlten Künstlern plötzlich hohe Vorschüsse für Tourneen. Tschmuck: "Vor dem Jahr 2000 war eine Tournee ein Promotion-Instrument, um CDs zu verkaufen, heute ist die Tour die wichtigste Einnahmequelle."

Wer keine zufriedenstellenden Einnahmen aus dem Verkauf seiner Lieder generiert und nicht auf Tour gehen kann, wurde demnach gezwungen, seine Musikrechte zu verkaufen. Dies bestätigt ein Tweet von Folk-Legende David Crosby von Crosby, Stills and Nash: "Auch ich verkaufe meine Rechte. Ich kann nicht arbeiten, und das Musikstreaming stiehlt mir meine Einnahmen. Ich habe eine Familie und eine Hypothek, um die ich mich kümmern muss, also ist der Verkauf meine einzige Option."

Rechteverkäufe sparen Steuern

Man muss sich angesichts der Zahlungen in Millionenhöhe, die Künstler in Crosbys Flughöhe für ihre Musikrechte kassieren, um die Verkäufer keine Sorgen machen. Leute wie Bob Dylan oder Neil Young bekommen Angebote, die ihre jährlichen Lizenzeinnahmen um das 20-Fache übersteigen, rechnet Musikjournalist David Sinclair via Sky News vor. Dafür müssten Stars als Höchstverdiener jährlich 40 Prozent Steuern zahlen, während beim Verkauf nur einmalig 20 Prozent Kapitalertragssteuer anfallen. Steuerersparnis ist als Motivationsgrund für die Rechteverkäufe demnach nicht auszuschließen.

Auch der Investmentfonds Hipgnosis argumentiert in diese Richtung. Die Summe, die die Investmentfirma für Musikrechte bezahlt, entspricht etwa dem Gegenwert der Lizenzeinnahmen aus 15 Jahren. Berücksichtigt man dazu die Steuerersparnis, kommen Künstler auf Lizenzeinnahmen im Ausmaß von 25 Jahren, die sie auf einen Schlag erhalten, rechnet Hipgnosis-Gründer Merck Mercuriadis gegenüber der BBC vor.

Die Investmentfirma hat seit ihrer Gründung 2018 die Rechte an 65.413 Songs gekauft, davon 156 Grammy-gekrönte Hits.

Völlig neue Wertschöpfungskette

Für Plattenfirmen, Musikverlage oder Investmentfirmen läuft das Geschäft offenbar gut, während Künstler an ihren Musikaufnahmen nicht mehr verdienen wie früher. Der Grund liegt im veränderten Musikkonsum durch die Streamingdienste. Während Künstler früher einen Umsatzanteil am Verkauf erhielten - sei es eine CD, eine Platte oder ein Download -, ist dieses Modell, übertragen auf die geringen Abopreise bei Streamingdiensten, ein Groschengeschäft geworden.

"Wir sind schlicht und ergreifend in einem völlig neuen Musikindustrie-Paradigma angelangt. Es sind ganz neue Wertschöpfungsnetzwerke entstanden", erklärt Musikwirtschaftsforscher Tschmuck. "Früher war der Musikverkauf das Hauptgeschäft, heute wird keine Musik mehr verkauft, sondern der Zugang zur Musik. Das ist eine völlig andere Form von Wertschöpfung als davor."

»Musik ist so gut wie Öl oder Gold. Vielleicht sogar besser. Musik wird man immer hören, ganz gleich, was auf der Welt gerade los ist«

Merck Mercuriadis, Gründer der Investmentfirma Hipgnosis, die z. B. Neil Young Songrechte abkaufte, im "Guardian"

Um aus dem Streaming Erträge zu erwirtschaften, die an frühere Einnahmen erinnerten, bräuchte es demnach einen exorbitant umfangreichen Katalog an Songs, über den die meisten Künstler nicht verfügen. Plattenfirmen, Musikverlage oder Investmenstfonds können aufgrund ihrer riesigen Musikkataloge indes wunderbar von der Streaming-Ökonomie profitieren. "Die Umsätze und auch die Gewinne sind in den letzten Jahren sehr stark gewachsen, weil auch die Kostenstruktur des Musikstreamings für die Musikkonzerne wesentlich vorteilhafter ist als die kostenintensive Herstellung und der Vertrieb von CDs", führt Wissenschaftler Tschmuck aus.

Songs sind besser als Gold

Warum haben indes Anleger abseits der Musikbranche Songrechte zum neuen Gold für Anleger erkoren? Hipgnosis-CEO Merck Mercuriadis findet eine saloppe Formulierung: "Wenn Donald Trump Blödsinn macht, reagieren der Goldpreis und der Ölpreis, aber nicht Musik. Musik wird man immer hören, ganz gleich, was auf der Welt gerade los ist." Nüchterner beschreibt Tschmuck das Motiv für Firmen wie Hipgnosis oder Shamrock, hinter denen meistens noch größere Anlagevehikel wie Black Rock oder KKR stehen: Es geht darum, eine angemessene Rendite zu erzielen. Im Nullzins-Umfeld sind Musikkataloge mit ihren regelmäßigen Einkommensströmen ein sicheres Geschäft. Die Firmen perfektionieren darüber hinaus die Auswertung der Musikkataloge. Das bedeutet, jeder Song wird durch seine Lizenzierung als Einnahmequelle optimal ausgenutzt.

Künstler oder Finanzjongleur?

Dabei wird zwischen den Rechten an Text und Komposition, den Verlagsrechten und den Rechten an der Musikaufnahme selbst, den Masterrechten, unterschieden. Jedes Mal, wenn ein Song im Radio, auf einer Bühne oder über einen Streamingdienst gespielt wird, entstehen aus beiden Rechten Einnahmen. Es wird sowohl für die Nutzung der Verlagsrechte (Text und Komposition) als auch für die Nutzung der Masterrechte (die Aufnahme) gezahlt. Während die meisten Künstler aktuell ihre Verlagsrechte verkaufen, zeigt das Beispiel Bob Dylans, dass man auch beides veräußern kann. Dazu kommt, wie Wissenschaftler Tschmuck erklärt, die zusätzliche Auswertung durch Performance Rights, wenn Musik aufgeführt wird, oder durch Synchronisationsrechte, wenn Musik mit Bild verknüpft wird wie im Fall von Werbung, TV-und Kinofilmen und Games. Branding, Sponsoring und Werbepartnerschaften sind zusätzliche Möglichkeiten, Geld zu verdienen. Diese Einnahmen sind im Vergleich mit jenen aus dem Streaming freilich gering. Die Details verdeutlichen, warum Künstler eine ertragreiche Auswertung ihres Katalogs kaum selbst bewerkstelligen. Erst ein Netzwerk an Geschäftspartnern, Vielfachnutzung und Skaleneffekte lassen aus einem Song ein Vermögen wachsen.

Für Investmentfirmen wie Hipgnosis und Shamrock sind Musikkataloge darüber hinaus auch Spekulationsobjekte. Im hart umkämpften Markt ist gut möglich, dass der Wert eines Musikkatalogs steigt.

Michael Jackson verspielte so einst die Freundschaft mit Paul McCartney, als er die Rechte an 251 Songs der Beatles, die McCartney selbst gerne gehabt hätte - darunter "Hey Jude" und "Yesterday" -, Mitte der 80er-Jahre um 47,5 Millionen Dollar kaufte. Zehn Jahre später brachte ihm der Verkauf eines Teil des Katalogs 95 Millionen Dollar.

Streamingdienste am Limit

Wer nun meint, dass Streamingdienste als Nutznießer Unsummen verdienen, während Superstars gezwungen sind, ihre Rechte zu verkaufen, muss neu denken. Die Zahlen sprechen zwar für den Streamingmarkt. So wuchs der internationale Musikmarkt 2020 auf einen Gesamtumsatz von 21,6 Milliarden Dollar, von denen 62 Prozent dem Streaming zuzuordnen sind. Aktuelle Zahlen für Österreich 2021 zeigen, dass Streaming im Vorjahr wieder zulegte (+26,5 Prozent) und - bei einem Gesamtumsatz von 190,4 Millionen Euro - 117,4 Millionen Euro Umsatz brachte.

Und doch kämpfen Streamingdienste ums Überleben. So müssen sie, wie Peter Tschmuck beschreibt, für den Zugang zu Musikkatalogen Vorschüsse in Millionenhöhe bezahlen. "Die Plattenfirmen haben ihre Machtposition als Rechtebewirtschafter gut ausgenützt. Sie wussten, dass sich die Streamingdienste diese Vorschüsse nicht leisten können, und ließen sich in Unternehmensanteilen bezahlen." Beim Börsengang von Spotify konnte die meisten ihre Anteile äußerst gewinnbringend verkaufen. Die Gewinne mussten sie mit den Künstlern natürlich nicht teilen. Trotz steigender Nutzerinnenzahlen hat Spotify noch nie Gewinn erwirtschaftet.

Wenn also die Künstler nicht verdienen und die Streamingdienste auch nicht, wer streift dann das Umsatzplus ein? Tschmuck: "Dann verdienen die Labels und die Verlage. Ganz einfach."

Hauptnutznießer der Entwicklung bleiben freilich die Konsumenten, die weltweit rund um die Uhr ihre Lieblingssongs streamen können.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 8/2022 erschienen.