Despacito:
Der unanständige Ohrwurm

Das sollten Sie über den Sommerhit 2017 wissen, wenn Sie mitreden möchten

Man kann ihn lieben oder hassen. Man kommt aber nicht um ihn herum. Egal, welchen Radiosender Sie einschalten. Überall läuft "Despacito".

von Musik - Despacito:
Der unanständige Ohrwurm © Bild: Universal Music/Omar Cruz

David Alaba ist ein begnadeter Fußballer. Keine Frage. Dass der Wiener in Diensten des FC Bayern München hingegen überhaupt nicht singen kann, wissen wir nun auch. Dabei ist auf dem Youtube-Video kaum auszumachen, welcher der fünf Bayern-Stars eigentlich am schrägsten singt. Rafinha gibt mit einer Ukulele den Rhythmus vor. Den Refrain bekommen die Kicker noch einigermaßen hin: "des-pa-cito". Doch dann wird schnell klar, warum diese Herren ihr Geld auf dem grünen Rasen und nicht auf Konzertbühnen verdienen. Mats Hummels ist schon nach der ersten Strophe völlig aus dem Takt. Bayerns kolumbianischer Neuzugang James Rodríguez und der Spanier Javi Martínez sprechen den Liedtext zumindest korrekt aus. Den Ton treffen sie trotzdem nicht.

Das Youtube-Video zeigt uns zwei Dinge. Erstens: Fußballer sollten lieber nicht singen! Zweitens: Selbst die Bayern-Stars wurden vom weltweiten "Despacito"-Virus befallen! Derzeit sind alle verrückt nach dem karibischen Gute-Laune-Song des 39-Jährigen Puerto Ricaners Luis Fonsi. Der Sommerhit des Jahres wird den ganzen Tag auf sämtlichen Radiosendern rauf und runter gespielt. Doch was macht einen Sommerhit eigentlich aus?

»Spanisch steht für mediterrane und karibische Passion«

Sie sind meistens fröhlich, locker, tanzbar und energiegeladen. Sie haben eine eingängige Melodie, sind perkussiv und verbreiten Urlaubsstimmung. Musikwissenschaftler versichern sogar, dass sich Spanisch als Sprache besonders gut eignet, um gute Sommerlaune zu produzieren. "Es ist eine Sprache, die von vielen als lebendig und dynamisch empfunden wird. Spanisch steht für mediterrane und karibische Passion", so die spanische Sprachwissenschaftlerin Isabel Parejo.

Es gibt keine Hitformel

Aber warum wippen, summen und singen selbst diejenigen irgendwann mit, die eigentlich gar nicht auf Latino-Pop stehen? Die "Despacito"-Dauerbeschallung im Radio spielt natürlich eine Rolle. Davon abgesehen: Das Lied ist ein Ohrwurm. Bei den ersten Gitarrenklängen denkt man noch, jetzt kommt die typische Latino-Pop-Schnulze à la Enrique Iglesias. Doch weit gefehlt. Fonsis Energiemix aus Latino-Pop und Reggaeton hat etwas Besonderes. Was, das wollte auch die BBC World wissen und befragte gleich mehrere Experten. Alle stimmen überein: Es gibt keine magische Formel für einen Sommerhit.

Alle Ohrwürmer haben eins gemeinsam

Doch laut der kanadischen Neurologin Jessica Grahn von der UWO University in Ontario haben Songs wie "Despacito", die zu Ohrwürmern werden, alle eins gemeinsam. "Sie brauchen eine einfach strukturierte, immer wiederkehrende Liedstruktur. Der Beat muss für das Gehirn leicht zu folgen sein, damit wir selber keine Anstrengung machen müssen, sondern den Rhythmus einfach nur genießen." Sprich, sie produzieren in unserem Gehirn eine Art Wohlgefühl. Der Song muss aber auch noch etwas Besonderes, eine Überraschung haben, damit er zum Hit wird, so die spanische Musikproduzentin Nahúm García: "Dieser Moment kommt zum ersten Mal in Minute 1:23, wenn 'des-pa-cito' plötzlich ganz langsam und weit auseinandergezogen gesungen wird." Der Stopp im Rhythmus erregt in unserem Gehirn Aufmerksamkeit. Ein Überraschungsmoment. Dabei übertreibt es der Song aber nicht mit den Geschwindigkeitswechseln. Er bleibt entspannt.

»Ich wusste von Beginn an, dass 'Despacito' Hitpotenzial hatte. Das Lied ist magisch«

"Despacito" scheint also alles zu vereinen, was einen Ohrwurm ausmacht. Eigentlich heißt "despacito" ins Deutsche übersetzt "langsam" oder "gemächlich". Aber der globale Erfolg ist eher raketenartig. "Ich wusste von Beginn an, dass 'Despacito' Hitpotenzial hatte. Das Lied ist magisch. Aber niemals hätte ich gedacht, dass der Song so einschlagen würde", verriet der in Miami lebende Musiker kürzlich der spanischen Zeitschrift "Pronto".

Das Lied ist ein Phänomen: Schon seit Wochen steht "Despacito" in Österreich auf Platz eins der Single-Charts. Und nicht nur in Österreich. In fast 50 Ländern führt das Lied die Hitlisten an oder befindet sich unter den Top Ten. Sogar in den USA. Dabei kommt es nicht oft vor, dass ein Song auf Spanisch zum globalen Sommerhit wird. Eigentlich passierte das bisher nur zwei Mal: Los del Río konnten 1996 mit "Macarena" die internationalen Charts stürmen. 2002 feierte der "Ketchup Song" einen weltweiten Erfolg.

Meistgestreamter Song

Fonsis Lied stößt jedoch in neue Dimensionen vor. Seit Juni ist "Despacito" der meistgestreamte Song aller Zeiten! Über 4,6 Milliarden Mal wurde der Hit bisher im Internet abgespielt. Seit 2015 hielt Justin Bieber mit "Sorry" den Streaming-Rekord - 4,38 Milliarden Abrufe. Auch der Titel für das meistgesehene Musikvideo ist seit wenigen Tagen sicher. Auf Youtube wurde der Song fast drei Milliarden Mal abgerufen. Damit löste er "See You Again" von Wiz Khalifa und Charlie Puth als bislang meistgesehenes Musikvideo auf Youtube ab.

Hunderte von Coverversionen im Umlauf

Im Internet sind mittlerweile Hunderte von Coverversionen im Umlauf. In sämtlichen Sprachen. Es gibt sogar eine österreichische Version von "Despacito" der steiermärkischen Band "Die Draufgänger". Auch sie wurde bereits 912.755 Mal gestreamt. Und das Video einer gewissen Johanna Mühleisen aus Klagenfurt, in dem sie "Despacito" auf Kärntnerisch singt und das eigentlich nie für die Öffentlichkeit bestimmt war, wurde auf Youtube fast 100.000 Mal abgespielt.

Und die Kuriositäten gehen weiter: Es gibt sogar eine Schnarchversion. Vier Jahre lang hatte eine Frau aus Peru ihren Mann mit dem Smartphone beim Schnarchen aufgenommen. Der Neffe hat die Aufnahmen nun zur Schnarchversion von "Despacito" zusammengeschnitten. Selbst dieses Video wurde drei Millionen Mal auf Facebook angesehen. Eine Donald-Trump- Rede im "Despacito"-Rhythmus kursiert natürlich auch schon im Internet. Ob dessen Vorgänger Barack Obama nur deshalb der "Despacito"-Fangemeinde beigetreten ist, weiß man nicht.

Die Welt ist im "Despacito"-Fieber

Wie dem auch sei. Fest steht: Die Welt ist im "Despacito"-Fieber. Auch Venezuelas polemischer Präsident Nicolás Maduro. Der ließ "Despacito" zur propagandistischen Polithymne umschreiben, um für seine umstrittene Verfassungsreform zu werben. Da platzte aber dem Sänger Fonsi der Kragen. "Ich genieße es sehr, dass so viele Versionen von ,Despacito' überall auf der Welt entstanden sind. Aber es gibt eine Grenze. Meine Musik ist nicht für diejenigen gedacht, die sie zur Propaganda einsetzen", postete Fonsi verärgert auf Facebook.

Zu viel Sex im Song

Andere meinen hingegen, "Despacito" selber würde Grenzen überschreiten. Vielerorts rufen Feministinnen zum Boykott auf. Frauenverachtend und sexistisch sei der Song -und vor allem das erotische Video, in dem sonnenbebrillte Machos leicht bekleideten karibischen Schönheiten richtig versaute Sachen ins Ohr flüstern wollen. Da haben sie nicht ganz Unrecht.

»Ich will sehen, wie viel Liebe in dich passt«

Der Songtext ist sexuell zumindest mehr als provokativ: "Zeig meinem Mund deine Lieblingsorte. Lass mich deine Gefahrenzonen überschreiten, bis ich deine Schreie provoziere und du deinen Nachnamen vergisst." Wow! Das ist direkt! An anderer Stelle heißt es: "Komm, probiere meinen Mund, um zu sehen, wie es dir schmeckt. Ich will sehen, wie viel Liebe in dich passt."

Nicht ganz jugendfrei

In Lateinamerika lebt man Sex ja bekanntlich offener. Doch in anderen Ländern staunte man doch, als man erste Übersetzungen las. Malaysia verbot sämtlichen staatlichen Radio-und TV-Kanälen, das Lied zu spielen. Zu obszön. Solche Lieder seien nicht vereinbar mit der muslimischen Kultur des Landes, so Malaysias Kulturminister. Und ganz jugendfrei ist der Song ja selbst für unsere Gefilde nicht.

Tourismus boomt

La Perla in Puerto Rico ist das egal. Seit dem Musikvideo boomt der Tourismus in der karibischen Küstenstadt. Auch die 29-jährige Zuleyka Rivera hat kein Problem damit, im Video als Sexobjekt aufzutauchen. Die hübsche Puerto Ricanerin, Miss Universe 2006, kann sich vor Werbeaufträgen und Filmangeboten seit "Despacito" kaum noch retten. Fonsi und Zuleyka sollen 2010 eine Affäre gehabt haben. Es war also anscheinend nicht der erste Kuss und heiße Tanz, den die beiden im Video hinlegten.

Katholischer Familienmensch

Der Song ist zwar richtig heiß. Luis Alfonso Rodríguez, so Fonsis eigentlicher Name, entspricht aber eigentlich so gar nicht dem Prototyp eines lateinamerikanischen Machos. Ganz im Gegenteil: Normalweise singt er romantische Balladen. Er ist eher der ruhige, schüchterne Typ. In Miami führt er mit seiner Frau, dem spanischen Model Águeda López, ein beschauliches Familienleben. Die sechsjährige Mikaela und der erst im Dezember geborene Rocco sind sein Ein und Alles.

»Meine Familie ist für mich wichtiger als jeder Nummer-eins-Hit. «

"Meine Familie ist für mich wichtiger als jeder Nummer-eins-Hit. Sie ist der Grund, warum ich trotz des Welterfolgs fest mit beiden Füßen auf dem Boden stehe", sagte er vor Kurzem in Hola.tv. Dennoch genießt er den Erfolg natürlich in vollen Zügen, nutzt seine Stunde. Rihanna will angeblich ein Duett mit Fonsi aufnehmen. Justin Bieber produzierte bereits einen "Despacito"-Remix mit dem Puerto Ricaner.

Justin Biebers Remix

"Daddy Yankee und ich brachten den Song im Jänner heraus. Im April erhielt ich einen Anruf von Justin Biebers Manager. Justin sei gerade in Bogotá auf Tournee und habe dort mein Lied in einer Diskothek gehört. Er sei begeistert und wolle unbedingt eine Version mit mir machen. Bereits am nächsten Tag schickte mir Justin seinen Remix", erinnert sich Fonsi.

Von Puerto Rico in die Welt

Der Song hat ihn zum internationalen Star gemacht. In Europa war Fonsi zuvor kaum bekannt. Doch unter der spanischsprachigen US-Bevölkerung, in Spanien und Lateinamerika ist er seit Jahren ein Star, verkauft Millionen Alben. Acht hat er in den vergangenen 20 Jahren bereits auf den Markt gebracht. Zusammen mit Ricky Martin gehört er heuer zu den bekanntesten Sängern Puerto Ricos überhaupt.

Spenden an krebskranke Kinder

Der praktizierende Katholik, der einen Großteil der Einnahmen aus dem "Despacito"-Song an eine Stiftung für krebskranke Kinder in Miami spendet, sang sogar schon vor Papst Johannes Paul II. 2009 gewann er den Latino-Grammy und trat für den damaligen US-Präsidenten Barack Obama auf, als dieser den Friedensnobelpreis erhielt. Fonsi komponierte auch Songs für andere Künstler wie Christina Aguilera oder Britney Spears.

» Nach 20 Jahren im Musikgeschäft kann ich den Erfolg viel intensiver genießen«

Fonsi ist also alles andere als ein Newcomer. "Und ich bin froh, dass dieser Durchbruch mit ,Despacito' erst jetzt kommt. Nach 20 Jahren im Musikgeschäft kann ich den Erfolg viel intensiver genießen", so Fonsi, der Ende Juni in Spanien seine Welttournee "Love +Dance" startete. Ende des Jahres kommt auch sein neues Album heraus. "Die Lieder sind in derselben Linie wie ,Despacito'. Romantisch und sehr tanzbar", so Fonsi.