So umstritten ist das Murkraftwerk

Ökostrom-Wunder oder großer Umweltskandal? Was wirklich dahinter steckt.

Wer dieser Tage in Graz an der Mur spazieren geht, bekommt so einiges zu sehen. Menschenmassen, die auf Brücken stehen und Lieder singen. Menschen, die sich in „Murcamps“ zusammenfinden, Bäume besetzen und mit Seilen über der Mur hängen. Was auf den ersten Blick nach Spaß aussieht, wird bitterer Ernst, wenn man ein Stück weitergeht. Denn dann erkennt man den wahren Grund für das rege Treiben an den Murufern: Kahlgeschlagene Flächen, wo einst große Bäume ihre Wurzeln in den Boden schlugen. Genau einen Tag nach der Gemeinderatswahl begannen hier die Rodungen für das geplante Murkraftwerk. Und das ist nicht ohne Grund umstritten.

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Graz - So umstritten ist das Murkraftwerk

„Stell dir vor, du spazierst Hand in Hand mit deinem Lieblingsmenschen am Murufer entlang. Stell dir vor, du machst mit deinen Großeltern einen Sonntagsausflug zur Mur. Stell dir vor, du tanzt direkt neben dem Fluss bis in die Morgenstunden. Stell dir vor, das alles wird Wirklichkeit“. Blättert man durch die Werbebroschüre der Energie-Steiermark, wünscht man sich, dass das Murkraftwerk sofort zur Wirklichkeit wird. Überschriften wie „Energie sparen und Lebenskraft gewinnen“, „We love Green“ oder „Auf zu neuen Ufern!“ sowie liebevolle Illustrationen und schöne Bilder vermitteln den Eindruck, dass es sich bei dem geplanten Kraftwerk um etwas ökologisch sehr Wertvolles handelt, durch das Graz so „wunderschön wie früher“ wird.

Die Wirklichkeit sieht anders aus

Laute Motorsägen, knackende, umstürzende Bäume und dicke Baumstümpfe, die aus dem Boden ragen. Seit Montag wird an den ehemals grünen Ufern der Mur gerodet. Bis Mitte März sollen hier insgesamt über 8.000 Bäume gefällt werden. Was bleibt ist ein Bild der Verwüstung, das sich so gar nicht mit den hübschen Werbefotos deckt – und sich so bald auch nicht decken wird.

Der Widerstand ließ nicht lange auf sich warten

Einzelpersonen, die Bäume besetzen oder mit Seilen über der Mur hängen. Protestkundgebungen, die auf Brücken stattfinden und direkt vor Ort eingerichtete „Murcamps“. Sie alle haben ein gemeinsames Ziel: Die Rodungen zu stoppen und den Bau zu verhindern. Ein Steirer soll bekannten Befürwortern deshalb sogar mit Mord gedroht haben. Der Großteil der Proteste verläuft jedoch friedlich. Zumindest seitens der Demonstrierenden. „Private Securities hatten in den Morgenstunden versucht, durch brutales Vorgehen unser Camp aufzulösen. Die Polizei beobachtete die Handlungen, schritt aber nicht ein. Die Brutalität, die uns entgegenkommt ist kein Einzelfall“, stellt Marie Wolfsburger für das Murcamp fest.

Wie alles begann

Dass die Rodungen genau einen Tag nach der Grazer Gemeinderatswahl stattfanden, ist kein Zufall. Das Murkraftwerk war ausschlaggebend für die vorgezogene Neuwahl am 5. Februar, bei der ÖVP-Bürgermeister Siegfried Nagl als deutlicher Sieger hervorging. Er hatte sich für den Bau des umstrittenen Kraftwerks stark gemacht. Nicht so die stellvertretende Bürgermeisterin Elke Kahr (KPÖ). Sie verlangte eine Volksbefragung. Als diese abgelehnt wurde, verweigerte die KPÖ ihre Zustimmung zum Grazer Budget und brach somit Neuwahlen vom Zaun. Doch weder Neuwahlen, Protestkundgebungen, Bürgerbewegungen noch versuchte Volksbefragungen konnten den Projektstart verhindern. Es wird gerodet und bald auch gebaut. Errichtet wird das Kraftwerk von der Energie Steiermark AG, die zu 75 Prozent in Landesbesitz ist, sowie der Energie Graz. Weitere Inverstoren sollen in den kommenden Wochen fix in das Projekt einsteigen.

Was das Murkraftwerk können soll. Und was er wirklich kann

Das Wasserkraftwerk soll 82 Gigawattstunden Strom pro Jahr erzeugen und somit 20.000 Haushalte versorgen können. Das klingt nach viel. Ist es nur leider nicht. Denn das entspricht der Strommenge, die in der Steiermark an nicht einmal vier Tagen verbraucht wird. Zum Vergleich: Das Wasserkraftwerk Altenwörth an der Donau erzeugt fast 2.000 Gigawattstunden Strom pro Jahr. Dazu kommt, dass von der bereits geringen Energiemenge lediglich zehn Prozent für die Versorgung des österreichischen Strommarktes verwendet werden kann.

© Andrea Feierl / Rettet die Mur

Grund dafür ist die jahreszeitliche Verteilung der Produktion. Diese führt dazu, dass oft mehr Strom erzeugt wird als benötigt. Der nicht genutzte Strom wird deshalb exportiert. Dementsprechend ist die Murstaustufe ein Projekt, dessen Fokus auf Export liegt. Auch hat es keine direkten Auswirkungen auf Atomstrom-Importe, denn dafür wird einfach zu wenig Energie produziert. Die von Bürgermeister Nagl propagierte Unabhängigkeit von Atomstrom ist folglich zu hinterfragen. Nur zu einem Teil richtig ist das Argument, dass durch den Bau des Kraftwerkes 1.800 Arbeitsplätze geschaffen werden. Denn nach der Bauphase bleiben bleiben bloß ein bis zwei fixe Arbeitsstellen erhalten.

Österreichs teuerster Strom aus Wasserkraft

Zusammen legten der WWF und die Bürgerinitiative „Rettet die Mur“ eine Detailstudie zur Wirtschaftlichkeit der Murstaustufe vor. Der Energieexperte DI. Dr. Jürgen Neubarth verglich in einer Studie das geplante Kraftwerk mit 60 anderen österreichischen Wasserkraftwerken und kam zu folgendem Ergebnis: Das Murkraftwerk ist ineffizient. Nicht nur hinsichtlich seiner Stromproduktion, sondern auch in punkto Wirtschaftlichkeit. Der prognostizierte Verlust in 50 Jahren rechnet sich auf ganze 44,7 Millionen Euro.

»Die Stadt Graz wird die finanziellen Nachwirkungen jahrzehntelang spüren«

Grund dafür sind die hohen Investitionskosten von 110 Millionen Euro. Mit 1,52 Euro pro Kilowattstunde wird ab 2019 hier also Österreichs teuerster Strom aus Wasserkraft produziert. Kritisch sieht das Murkraftwerk auch Claudia Klimt-Weithaler, Klubobfrau der KPÖ: „Das Kraftwerk ist nur ein Element der umfassenden Verwertung dieses Stadtteils zum Maximalprofit der Investoren. Die Kosten für die Bevölkerung sind mit 84 Millionen Euro für den Speicherkanal, der ohne das Kraftwerk wesentlich kleiner ausgefallen wäre, erheblich. Die Stadt Graz wird die finanziellen Nachwirkungen jahrzehntelang spüren. Die wirtschaftliche Rentabilität ist fragwürdig.“

Schwerwiegende Folgen für die Umwelt

Laut Werbebroschüre werden die Tiere vor der Bauphase entweder in andere Gewässer oder in andere Teile der Mur, die nicht vom Bau betroffen sind, umgesiedelt. Vergessen wurde hier anscheinend auf die Tiere, die nicht im Wasser leben. Auf Facebook kursieren bereits drei Tage nach Beginn der Rodungen, Fotos von verletzten und verwirrten Wildtieren, die vor den Rodungs-Maschinen geflohen sind und in angrenzenden Feldern gefunden wurden.

Auch verspricht die Werbebroschüre mehr Bäume und Büsche zu pflanzen als heute da sind. Fakt ist aber, dass sich ein großer Baum nicht von heute auf morgen ersetzen lässt. Die Regeneration dauerte Jahrzehnte. Vorerst verliert Graz also einen beträchtlichen Teil seiner grünen Lunge. Durch den Kraftwerksbau wird die Landeshauptstadt daher voraussichtlich noch länger den traurigen Titel der „Feinstaub-Hauptstadt“ tragen müssen.

Die Mur der Zukunft: Blau oder braun

Während die Energie Steiermark versichert, dass sich die Wasserqualität der Mur durch die Staustufe verbessern wird, sagen die Gegner eine Verschlechterung des ökologischen Zustands des Gewässers von „gut“ auf „mäßig“ voraus. Einer der Kraftwerksgegner ist Florian Ungerböck, Vorstandsmitglied der Grünen. Auch wenn er Wasserkraftwerken grundsätzlich positiv gegenübersteht, sieht er in diesem nur Verschlechterungen: „Angefangen von der Luft- und Wasserqualität über die Verschwendung von Steuergeldern bis zu den schwerwiegenden Folgen für die Umwelt, ist dieses Kraftwerk ein ökonomischer, ökologischer und demokratiepolitischer Wahnsinn“.

Obwohl die Umweltverträglichkeitsprüfung das Projekt als negativ einstufte, konnte es durch eine Reihe von Ausnahmeregelungen im Sinne eines „öffentlichen Interesses“ dennoch durchgebracht werden. Wasserkraft ist per se auch im öffentlichen Interesse und spielt in Österreich eine wichtige Rolle für die Stromversorgung aus erneuerbaren Energieträgern. Bereits mehr als 70 Prozent aller Gewässer werden in Österreich für die Stromerzeugung genutzt. Dennoch, und da sind sich der WWF wie auch Die Grünen einig, sollten Projekte nicht in ökologisch hochwertige Flussstrecken eingreifen. Außerdem fordern sie eine energiewirtschaftliche Relevanz, die aus ihrer Sicht in diesem Fall nicht gegeben ist.

Auf alternative Lösungen setzen

Bevor die letzten frei fließenden Flussstrecken verbaut werden, sollten vorhandene Mittel in zukunftsfähigere Projekte investiert werden, meint der WWF-Flussexperte Gebhard Tschavoll. Denn das hätte nicht nur positive Auswirkungen auf die Finanzen, sondern auch auf die Mur als wertvollen Naturraum in der Stadt Graz. Die Grünen errechneten, dass sich mit dem Projektkosten des Murkraftwerkes 750 Gebäude in Graz thermisch sanieren hätten lassen. Auch hätte eine Investition von 74 Millionen Euro in Photovoltaik-Anlagen gereicht, um auf denselben Energie-Output wie den der Staustufe zu kommen. Ohne, dass ein einziger Baum gefällt werden hätte müssen.

Kommentare

Karl Türk

Immer das selbe, egal ob Rot oder Schwarz, es wird immer gegen die Bevölkerung gearbeitet, soviel zum Demokratie Verständnis diese Parteien bzw. Personen.

Roland Mösl
Roland Mösl melden

Der Strombedarf wird sich verdoppeln, wenn wir 100% auf erneuerbare Energie umsteigen. Diese zentrale Ausage von meinem Buch "Aufstieg zum Solarzeitalter" 1992 wurde 2016 vom Berliner Uuniveritätsprofessor Volker Quaschning bestätigt. Trotzdem hällt sich das Märchen vom sinkenden oder höchstens leicht steigenden Strombedarf noch immer.

Henry Knuddi
Henry Knuddi melden

der strombedarf wird fallen, wegen der firmenpleiten
der strombedarf wird steigen durch zuwanderer

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