Mundart: Der österreichischen
Sprache droht das Ende

"Tüte", "Sahne" und Co. werden über TV-Sender und Kinderbücher eingeschleppt

von "Tschüss" setzt sich auch in Österreich immer mehr durch. © Bild: imago/epd

Der Ranzen der Pandora hat sich aufgetan, und heraus quoll das Übel: Tüten und Federmäppchen, Zensuren, die auch schon mal eine Fünf sein können, Geburtstagskuchen, Brötchen und, an Weihnachten, leckere Plätzchen. Sie alle haben heimeligere Zeiten gesehen: als Schultasche, Stanitzel bzw. Einkaufssackerl, Federpennal, Noten und Fünfer, Torten, Semmeln und feine Kekse. Letztgenanntes Backwerk hat sich den Fortbestand als Transvestit gesichert, heißt jetzt „der Keks“ und duldet mit anderen Verdammten: Die Socke und das Schlüsselbund sind dabei noch privilegiert gegen den Bonbon, der sich Bongbong rufen lassen muss.

Gestanden hat man früher bloß beim polizeilichen Verhör, und nachher ist man gesessen. Dafür herrscht ein hysterisches Dauergerenne durch die täglichen Verrichtungen: Man geht nicht mehr, man läuft – „die Treppen hoch“, zur (statt in die) Schule, gar zur „Kita“, der Kindertagesstätte. Das liebevolle Paradoxon „Turnprofessor“ hat die Schrecken der Leibesertüchtigung noch in sanfte Ironie aufgelöst. Der Sportlehrer hingegen –„Herr Schmitt“, weil sie uns ja auch die Titel nicht mehr gönnen – reißt uns die Knochen zusammen.

Von unserer Sprachwelt scheint das noch ein paar hundert Kilometer nördlicher Richtung entfernt. Aber in neun von zehn Kinderbüchern, in den weitaus meisten der hier empfangbaren Fernsehprogramme, in DVDs und Computerspielen für Kinder ist es die einzige Realität. Das System ist lückenlos: Was nicht in Deutschland erzeugt wird, wird dort synchronisiert. Lecker und Treppe sind schon Sprachgebrauch, „die Eins“ wird es zusehends, Schultüte, Tomate und Kartoffel sind es längst.

Tschüss vom ORF.

Dass „tschüss“ zum Substrat für die einst reiche Population an Abschiedsgrüßen (servus, baba, tschau, tschauli, pfiat di) wurde, rief endlich Widerstand hervor. Doch just hier liegt Selbstverschulden vor: Die Moderatoren des 1993 eingestellten Magazins „Am, dam, des“ schmetterten es der minderjährigen Klientel seit den Siebzigerjahren im Wochentakt um die Ohren. Enthüllt der Grazer Sprachforscher Rudolf Muhr, der dem Thema eine Studie gewidmet hat. Klar, dass die beiden seither herangewachsenen Generationen nicht unbeeindruckt blieben.

„Die deutsche Sprachmacht schleicht sich ein“, beklagt der nach Österreich zugewanderte deutsche Karikaturist Tex Rubinowitz und macht den Haupttäter namhaft. „Das kommt von Sendern wie RTL, von denen die Jugendlichen ihre Sprache beziehen. Man kann das als fortschrittlich bezeichnen, als Akt der Entprovinzialisierung, aber auch als schleichende Vergiftung des Idioms. Sprache bestimmt ja das Bewusstsein.“

Supermarkt und Clearasil.

Sprachforscher Muhr rekonstruiert andere Infektionswege:
■ In den Neunzigerjahren begannen die Lebensmittelkonzerne ihre Produkte aus Kostengründen in Deutschland zu etikettieren. So hub das Tomaten-, Kartoffel und Pflaumenbombardement an.

■ Vielen ist das leidige Wimmerl nicht einmal mehr als Begriff geläufig. Es verwandelte sich, schon in den Achtzigerjahren, unter dem Einfluss der deutschen Clearasil- Werbung in den um nichts distinguierteren Pickel.

■ Der Dialekt, führt Muhr aus, stand auch für mangelnde Bildung. „Das Nachkriegsösterreich wurde vom Agrarland zum Industrieland. In den Fünfzigerjahren waren noch 50 Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig, in den Achtzigerjahren 34. Heute sind es drei bis vier Prozent. Als die Urbanisierung einsetzte, war sozialer Aufstieg mit Sprachfähigkeit verbunden. Die lokalen Begriffe legte man ab.“ So wuchsen Generationen mit dem Kommando „schön sprechen“ heran.

■ Dazu kommt die gestiegene Mobilität: „Früher blieb man im Dorf, heute kommen die Jugendlichen früh von zu Hause weg“, erläutert Ingeborg Geyer vom Institut für Sprach- und Dialektforschung an der Akademie der Wissenschaften. „Das Kommunikationsnetz ist ein anderes.“

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Kommentare

des kennan´s mit uns jo ned moch´n !
wo kumma denn do hin...

Helmut Svik

für manche kann es egal sein pompfüneberer

Wolfgang Gojkovic-Vojnovic

Wir leben in Österreich, sind daher berechtigt unsere Mundart auch zu leben und zu sprechen. Meines Wissen ist damals der Anschluss missglückt.

Querdenker62 melden

Ich wäre auch dafür ein Fach "Österreichisch" einzuführen und im Gegenzug für das Fach "Deutsch" Lehrer einzusetzen die diese Sprache auch beherrschen und nicht im Diktat „der Monat“ als falsch anstreichen.

Hugo-Boatwisch melden

Stimmt, leider nimmt auch bei den Lehrkräften die Qualität sehr ab ...

Sprache ist Leben. Sprache ist Veränderung. Ob es uns gefällt oder nicht. Was meinem Opa der Ponfuneberer war mir bereits der Leichenbestatter. Globalisierung bedingt Spracharmut weil es zu konformen Entwicklungen führt. Einheits Big Mac statt burgenländischer Sauerkrautsuppe. Ein Preis mehr für unsere kapitalistische Konsumgesellschaft...

Hugo-Boatwisch melden

Wie wär's, würde man in den österreichischen Pflichtschulen das Fach "Muttersprache" einführen. Die TV-geprägten Kinder und Jugendlichen würden sich wundern über diese "Fremdsprache".
Stell dich doch mal zu Unterrichtsende vor eine Schule in Wien - du glaubst du bist irgendwo im nördlichen Deutschland! Wollen wir das denn auch so?

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das wir auch noch gefördert

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Nicht nur, dass das Teutsche im Deutschen überhand nimmt - gehn Sie mal ins Burgtheater - kommen noch die Anglizismen dazu. Das ist doch mega cool! Meine Frau - Thailänderin - lernt Deutsch - natürlich mit deutschen Lehrbüchern, wobei ich manchmal im Duden nachschauen muß, was dieses Teutsche Wort bedeutet! Na dann Danke!

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Du musst im Duden über die Bedeutung eines deutschen Wortes nachlesen das in einem Deutschkurs verwendet wird? Na dann Gratulation!

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