Getötete 7-Jährige:
Angeklagter bekennt sich schuldig

Ein 16 Jahre alte Bursche, der am 11. Mai 2018 in Wien-Döbling eine Siebenjährige getötet haben soll, steht heute vor Gericht.

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Mordprozess - Getötete 7-Jährige:
Angeklagter bekennt sich schuldig

Vor dem Beginn des Mordprozesses gegen einen 16 Jahre alten Burschen, der im vergangenen Mai in einer Gemeindebau-Anlage in Döbling ein siebenjähriges Mädchen aus der Nachbarschaft getötet haben soll, hat ein Großaufgebot von Polizei und Justizwache Stellung bezogen. Die Verhandlung wurde kurzfristig in den Saal 303 im dritten Stock verlegt, der Trakt wurde komplett gesperrt.

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Strenge Sicherheitsvorkehrungen

Es herrschten strengste Sicherheitsvorkehrungen in und um das Gebäude. Vor dem Eingang hatte sich gegen 8.00 Uhr eine meterlange Warteschlange gebildet - ebenso wie vor einer technisch hochmodernen mobilen Schleuse, über die man Zutritt zur Verhandlung erhielt. Im Saal, wo ebenfalls zahlreiche bewaffnete Sicherheitskräfte postiert waren, gab es keinen Internetempfang, sodass eine Live-Berichterstattung via WLAN nicht möglich ist. Für das gesamte Landesgericht gilt ein absolutes Fotografier- und Filmverbot.

Der Vater der getöteten Siebenjährigen saß zuletzt in Südtirol wegen Schlepperei im Gefängnis. Im Juni kehrte er von einem genehmigten Freigang nicht in die Justizanstalt zurück. Seither ist er von der Bildfläche verschwunden. Es wurde befürchtet, der Mann könne versuchen, zur Verhandlung gegen den 16-Jährigen zu erscheinen. Deshalb wurden die umfangreichen Sicherheitsvorkehrungen getroffen.

Zuletzt hatte der Angeklagte behauptet, Stimmen hätten ihm die Bluttat befohlen. Da der 16-Jährige die inkriminierten Tathandlungen nach seiner Festnahme grundsätzlich nicht bestritten hat, dürften zwei einander widersprechende psychiatrische Gutachten im Mittelpunkt der Verhandlung stehen. Während der eine Sachverständige dem Burschen Zurechnungsfähigkeit zum Tatzeitpunkt bescheinigt, geht der andere davon aus, dass eine seit längerem unbehandelte Schizophrenie des Musterschülers handlungsbestimmend war. In diesem Fall wäre der Angeklagte nicht schuldfähig, könnte somit nicht bestraft werden, sondern wäre allenfalls - dies zeitlich unbegrenzt - in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher einzuweisen.

Auch Geschworene streng kontrolliert

Auch die Geschworenen mussten sich am Mittwoch bei dem Mordprozess in Wien den eingehenden Sicherheitskontrollen im Eingangsbereich und vor dem Gerichtssaal unterziehen, was nicht jedem Laienrichter behagte. Einer protestierte ein wenig. Den Hinweis der Polizeikräfte, die Maßnahme diene auch seiner eigenen Sicherheit, ließ der Geschworene nicht gelten: "Ich fürchte mich nicht. Vor niemanden."

»Ich fürchte mich nicht. Vor niemanden«

20 Minuten vor der Verhandlung erschien Verteidigerin Liane Hirschbrich, die von einem bulligen, hünenhaften Leibwächter in den Gerichtssaal geleitet wurde. Dem Vernehmen nach soll sie diesen eigens für die Verhandlung angeheuert haben.

Angeklagter in Schutzweste

Um 9.23 Uhr wurde der Angeklagte in den Gerichtssaal gebracht. Der 16-Jährige trug eine dunkle Hose, Sneakers, ein weißes Hemd und eine Schutzweste. Der Bursche wurde von seiner Verteidigerin begrüßt, als er auf einem Sessel Platz nahm. Auf die Frage, wie es ihm gehe, meinte er: "Angespannt." Dann musterte er interessiert das Publikum.

»Angespannt«

Der Angeklagte wurde von drei ebenfalls mit Schutzwesten ausgestatteten Justizwachebeamten abgeschirmt. Zahlreiche weitere Justizwachebeamten hatten sich mit Blickrichtung zum Publikum postiert. Unter den Zuhörern befanden sich die Mutter der getöteten Siebenjährigen, ein Bruder und ein Onkel des Mädchens.

Staatsanwältin: Mädchen "brutal getötet"

Der 16-Jährige habe das Mädchen "brutal getötet", sagte die Staatsanwältin in ihrem Eingangsplädoyer beim Mordprozess in Wien. Ende 2017 hätte der Bursch begonnen, sich mit dem Thema Mord auseinanderzusetzen und sich überlegt, "was die beste Variante wäre". Am 11. Mai 2018 hätten sich die Mordgedanken des Schülers "manifestiert".

Eine Siebenjährige, die mit ihrer Familie in derselben Gemeindebau-Anlage lebte, hatte an diesem Tag den Angeklagten und dessen jüngeren Bruder - wie oft zuvor in der Vergangenheit - besucht. Das Mädchen spielte mit dem kleinen Bruder auf der Playstation, der 16-Jährige gab ihr danach ein Eis, ehe er sie - wie die Staatsanwältin ausführte - "mit den Händen am Hals gepackt und gewürgt hat". Die Siebenjährige habe gehustet, der Angeklagte habe darauf "beschlossen, ihr den Hals abzuschneiden", sagte die Staatsanwältin. Ein Halsschnitt hätte zum Tod geführt.

»Er ist so schwer krank, dass er nicht weiß, was er tut«

"Er ist so schwer krank, dass er nicht weiß, was er tut und nicht Recht von Unrecht unterscheiden kann", meinte Verteidigerin Liane Hirschbrich. Ihr Mandant sei "psychisch sehr schwer krank", insistierte die Anwältin.

Angeklagter bekennt sich schuldig

»Bekenne mich schuldig«

"Ich bekenne mich schuldig", sagte der wegen Mordes angeklagte 16-Jährige eingangs seiner Befragung. In klaren Worten schilderte er, Stimmen hätten ihm die Bluttat befohlen.

»Eine Stimme im Kopf hat gesagt, dass ich sie würgen soll«

"Eine Stimme im Kopf hat gesagt, dass ich sie würgen soll. Das tat ich auch. Ich habe weitere Anweisungen gehört. Dass ich sie in die Duschkabine bringen soll, ein Messer holen und zustechen soll." Weitere Details wollte er nicht preisgeben: "Ich kann es nicht noch näher schildern. Ich kann mich nicht erinnern, den Kopf ganz abgetrennt zu haben."

Nach der Tötung hätte ein Freund an der Tür geläutet. Er habe aufgemacht, der Freund habe die Leiche gesehen. "Er hatte Angst und war geschockt", berichtete der 16-Jährige. Er habe dann alleine die Leiche gewaschen und "in ein Sackerl gepackt und entsorgt". Die Stimme habe ihm gesagt: "In den Müll."

Stimmen hätten ihm Bluttat befohlen

Die Stimmen höre er schon seit Jahren, meinte der Angeklagte. Einmal sei er mit einem Messer vor dem Bett seines Vaters gestanden und sei zum Zustechen aufgefordert worden: "Ich konnte mich dagegen wehren." Die Stimmen höre er "den ganzen Tag". Darüber hinaus nehme er auch Personen wahr, die - wie er nach seiner Festnahme erfahren habe - in Wahrheit gar nicht existieren. In diesem Zusammenhang erwähnte er eine 15-Jährige namens Antonia Weißenberg: "Ich dachte, die war real. Die war immer da, wenn ich sie gebraucht habe."

Wenn er sich den Stimmen widersetze, bekomme er Kopfweh. Von den Stimmen hätte er befreundeten Burschen aus der Nachbarschaft erzählt: "Ich habe mir keine Hilfe erwartet. Ich wollte, dass meine Freunde wissen, wie es mir geht." Die Frage eines Geschworenen, ob er die Stimmen auch jetzt höre, bejahte der 16-Jährige: "Sie sagen mir, dass ich mich beruhigen soll, dass es nicht so schlimm ist."

Psychiater bejaht Schuldfähigkeit

Der von der Staatsanwaltschaft beigezogene Gerichtspsychiater Peter Hofmann bescheinigte dem Angeklagten Zurechnungsfähigkeit zum Tatzeitpunkt und damit grundsätzlich Schuldfähigkeit. Damit könnte - sollten die Geschworenen Hofmann folgen - der 16-Jährige wegen Mordes bestraft werden, wofür das Jugendgerichtsgesetz einen Strafrahmen von bis zu 15 Jahren vorsieht.

Der 16-Jährige habe im vergangenen Mai, als er auf das sieben Jahre alte Mädchen losging, neben erheblichen Zwangsstörungen - einem Kontroll- und Waschzwang mit bis zu 40-maligem Händewaschen am Tag - und einer Neigung zu Selbstüberhöhung eine narzisstisch-schizoide Persönlichkeitsstörung aufgewiesen, erläuterte der Gutachter. Die schizophrene Erkrankung habe sich aber erst "im Vorstadium" befunden, sagte Hofmann. Die Diskretions- und Dispositionsfähigkeit des Schülers wären nicht aufgehoben gewesen.

»Die schizophrene Erkrankung war zum Zeitpunkt der Tat nicht handlungsbestimmend«

"Die schizophrene Erkrankung war zum Zeitpunkt der Tat nicht handlungsbestimmend", stellte der langjährige Gerichtsgutachter fest. Dem Bursch hätten allenfalls "Vorläufersymptome" zu schaffen gemacht. Erst mit Ende Juni habe sich "ein Vollbild der Schizophrenie" herausgebildet, was Hofmann auf die Inhaftierung und die damit verbundenen Lebensumstände des Jugendlichen zurückführte. Diese hätte dem 16-Jährigen nämlich erhebliche Stressfaktoren bereitet, weil auf ihn - vermutlich aus dem Umfeld der aus Tschetschenien stammenden Familie des umgekommenen Mädchens - ein Kopfgeld ausgesetzt wurde und er sich deswegen im Gefängnis nicht sicher fühlte. Aufgrund der ihm angelasteten Tat sei der Angeklagte außerdem "familiär entwurzelt" und seiner sozialen Perspektiven beraubt, legte Hofmann dar. Diese Faktoren hätten der schizophrenen Erkrankung zum Durchbruch verholfen.

Für den Fall einer anklagekonformen Verurteilung sprach sich der Sachverständige für die zusätzliche Einweisung des Burschen in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher aus. Er stufte den Angeklagten aufgrund seiner geistig-seelischen Veranlagung als hochgefährlich ein. Die inzwischen offenkundig zutage getretene Schwere der Erkrankung "verschlimmert das Problem", hielt Hofmann fest. Die Gefahr, dass der Bursch ohne die im Maßnahmenvollzug gewährleistete haftbegleitende therapeutische Behandlung wieder Straftaten mit schweren Folgen - der Experte erwähnte in diesem Zusammenhang "Tötungsdelikte und absichtliche schwere Körperverletzungen" - setzen wird, sei beträchtlich.

Hinsichtlich des Motivs für die Bluttat bemerkte der Gerichtsgutachter: "Es gibt auch schwere Taten, die ohne Schizophrenie begangen werden." Bei seiner ersten Begegnung mit dem 16-Jährigen hätte dieser noch nicht von Stimmen und Erscheinungen gesprochen, sondern habe ihm erklärt, er habe "wissen wollen, wie es ist, wenn man jemanden tötet".

Von Stimmen "blitzartig überfallen"

Im Unterschied zu seinem Kollegen Peter Hofmann zeigte sich der Linzer Kinder- und Neuropsychiater Werner Gerstl überzeugt, dass der Angeklagte im Tatzeitpunkt nicht zurechnungsfähig war. Eine innere Stimme hätte den 16-Jährigen "blitzartig überfallen" und ihm "Pack zu!" gesagt. Da habe der Bursch "in einem übermäßigen Aggressionsstau diesen ganz schlimmen Mord begangen".

Gerstl meinte, der Angeklagte habe bereits mit acht oder neun Jahren zu halluzinieren begonnen, wobei er sich bei seinen Ausführungen auf eine eingehende Untersuchung und die dabei getätigten Angaben des 16-Jährigen bezog. Diese Untersuchung fand allerdings fünf Monate nach dem letzten Termin statt, den Hofmann mit dem Angeklagten hatte.

"Als er gemerkt hat, dass die Stimmen lauter werden, hat er nachgelesen. Mit zehn Jahren, in Fachbüchern, im Internet", gab Gerstl die Erinnerungen des Angeklagten wieder. Sehr früh sei bei diesem die Vermutung gereift, er leide an Schizophrenie, was er seinen Eltern auch mitgeteilt hätte. Diese hätten das aber nicht wahrhaben wollen. Die Mutter habe ihm empfohlen, mehr zu essen, der Vater die Auffassung vertreten, der Sohn bilde sich seine Erkrankung nur ein. Die Stimmen hätten den Angeklagten zunächst nicht gestört, erläuterte der Psychiater: "Er war mit ihnen im Dialog." Bis zu elf Stimmen habe der Schüler gleichzeitig vernommen.

Mit der Zeit hätte sich aber "eine manifeste Form der schizophrenen Erkrankung" entwickelt, bemerkte Gerstl. Zu den imperativen Stimmen wären Erscheinungen, wieder kehrende halluzinatorische Gestalten getreten: "Figuren, die ihm Angst gemacht haben." Ab November oder Dezember 2017 sei das psychopathologische Geschehen gefährlich geworden. Der Bursch habe etwa einen Freund gefragt, ob er lieber den Bauch aufgeschlitzt bekommen wolle oder von schwarzen Handschuhen erdrosselt werden möchte. In Bezug auf eine Freundin habe er konkrete Tötungsgedanken und Mordfantasien entwickelt, legte der Gutachter dar, wobei er sich auf von Kriminalisten sichergestellte Chat-Verläufe bezog.

Stimmen wurden "immer mordlustiger"

Im Februar und März wurden die Stimmen laut Gerstl "immer mordlustiger". Der 16-Jährige sei in einen "Prozess des Gefährlich-Werdens mit sukzessiver Progredienz" geraten. Er schließe aus, "dass allein Stress das Vollbild einer Schizophrenie ausgebildet hat, die vorher nicht vorhanden gewesen sein soll", widersprach Gerstl in aller Deutlichkeit der Einschätzung Hofmanns.

Auf die Frage des vorsitzenden Richters, weshalb er zu einem anderen Ergebnis als Hofmann komme, verwies Gerstl auf den späteren Untersuchungszeitpunkt. Außerdem sei er "mehr auf die Entwicklungspathologie eingegangen" und bediene sich einer anderen Exploration: "Ich hab' eine andere Technik."

Kein "Obergutachten"

Der Prozess wird in der Nacht auf Donnerstag zu Ende gehen. Dem von Staatsanwaltschaft und Verteidigung gestellten Antrag auf Beiziehung eines dritten psychiatrischen Sachverständigen wurde von den drei Berufsrichtern nicht Folge gegeben.

Staatsanwältin Monika Gansterer hielt ein "Obergutachten" für erforderlich, nachdem sich der vom Gericht bestellte Sachverständige Werner Gerstl und der von der Anklagebehörde nominierte Gutachter Peter Hofmann in einem entscheidenden Punkt widersprochen hatten. Hofmann hielt den Angeklagten für im Tatzeitpunkt zurechnungsfähig, Gerstl schloss das dagegen aus. Nach Ansicht von Gansterer, der sich Verteidigerin Liane Hirschbrich anschloss, hätte ein dritter Experte diese Unstimmigkeiten aufklären sollen.

Der Senat hielt das für nicht erforderlich. Von der Beiziehung eines weiteren psychiatrischen Sachverständigen sei keine "Verbreiterung der Entscheidungsgrundlagen" zu erwarten, begründete der vorsitzende Richter Daniel Rechenmacher die Abweisung dieses und sämtlicher weiterer, von Hirschbrich vorgebrachter Beweisanträge, die auch die zeugenschaftliche Vernehmung der ihren Mandanten behandelnden Ärzte verlangt hatte. Die Schizophrenie des 16-Jährigen zeichne sich durch einen "dynamischen Krankheitsverlauf" aus, ein weiterer Experte könne daher keine neuen, der Wahrheitsfindung dienlichen Feststellungen treffen.

Geschworene müssen entscheiden

Damit müssen die Geschworenen entscheiden, welchem der zwei Gutachten sie folgen. Es hängt somit von acht juristischen Laien ab, ob der 16-Jährige wegen Mordes zu einer Freiheitsstrafe von bis zu 15 Jahren oder als nicht schuldfähig eingestuft wird und damit nicht verurteilt werden kann. Mit dem Urteil dürfte nicht vor 22.00 Uhr zu rechnen sein.