Monteverdis „Poppea“
als Krachkomödie in Überlänge

Heinz Sichrovsky über eine am Dauerfrohsinn verendende Qualitätsproduktion

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Leben - Monteverdis „Poppea“
als Krachkomödie in Überlänge © Bild: Monika Rittershaus

Ein bahnbrechendes Opernwerk aus dem Jahr 1642: Monteverdi war mit dieser musikalischen Tragigroteske der Entwicklung um Jahrhunderte voraus. Formal und inhaltlich schuf er ein Musikdrama modernen Zuschnitts. Die halbe Operngeschichte bediente sich der Struktur des hohen und des niederen Paars, und die auch musikalische Zeichnung des Sexualneurotikers Nero wirkte wegweisend für eine Unzahl an Opernpsychopathen. Grelle Komik wechselt mit Todes- und Entsagungsszenen von bewegender Wahrhaftigkeit und Tiefe des Empfindens.

Die Aufführung im Theater an der Wien dauert beinahe vier Stunden, und das hat im Regisseur Claus Guth begründete Bedenken geweckt. Also prügelt er zwecks Erzeugung von Kurzweil auf die Klamaukpauke, und das zum Teil grandios. Die Geschichte des römischen Kaisers Nero, der um der Konkubine Poppea willen seine Ehefrau Ottavia verstoßen will und dazu Auswegstrategien aus den charakterlichen Mindestanforderungen sucht, wird zitatenreich zur Knallkomödie banalisiert. Monty Python gibt die Ästhetik (Bühne und Kostüme: Christian Schmidt) vor, die Amme Nutrice, hier mit dem fulminant singenden und agierenden Tenor Marcel Beekman besetzt, ist als Tootsy kostümiert, und die Soldaten, die vor Poppeas Haus das Lotterleben des Kaisers schützen sollen, kommen aus einer Mafiakomödie. Mit der pausenlos und virtuos eingesetzten Frohsinnskeule manövriert sich Guth allerdings in die Falle: Wenn keiner Figur Tiefe und Ernsthaftigkeit zugestanden wird, marginalisiert sich die Tragödie. Selbst der vom Kaiser angeordnete Selbstmord des moralisch unkorrumpierbaren Philosophen Seneca, ein Höhepunkt nicht nur der frühen Opernliteratur, verbleibt da im Bereich unschlüssiger Halblustigkeit.

© Monika Rittershaus

Der grandiose Franz-Josef Selig lässt sich durch nichts beirren: Was er an Schönheit und Ausdruck des Singens mobilisiert, reduziert die szenischen Unzukömmlichkeiten zu unmaßgeblichen Belästigungen. Ansonsten aber führt das Verfahren in eben jenes Dilemma, das vermieden werden sollte: Nach zwei Stunden werden die Heiterkeitsobwaltungen gnadenlos langweilig.

Herbert von Karajan und Nikolaus Harnoncourt – also die überlebensgroßen musikalischen Antipoden des 20. Jahrhunderts – haben sich dem Werk radikal genähert: Karajan mit hochromantischer Orchesterbesetzung, der man zu Unrecht die Legitimität absprach, Harnoncourt mit der Schroffheit und Kompromisslosigkeit der damals jungen Originalklangbewegung. Im Theater an der Wien tritt das „Ensemble Matthäus“ an, eine formidable Originalklangtruppe, die unter dem Dirigenten Jean-Christophe Spinosi phantastische Farben und ekstatische dynamische Effekte erzielt. Unglücklicherweise hat Regisseur Guth zuletzt ein Faible für elektronisch verfremdete Geräuschflächen entwickelt. In Salzburg hat er durch sie die Dialoge im „Fidelio“ substituiert und der Aufführung damit den Rest gegeben. In Wien werden sie vom Orchester erzeugt und zur Überbrückung der Umbauten genutzt. Sie stören erheblich.

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Das Problem der zum Teil hervorragenden Besetzung ist ein grundsätzliches: Selig ausgenommen, sind die wichtigsten Rollen nicht mit den besten Sängern besetzt. Der Countertenor Valer Sabadus als Nero vor allem ist ein tendenziell piepsiger Stimmzniacht, der durch die Fachkollegen Christophe Dumaux (Ottone) und Jake Arditti (Amor) übertroffen wird. Er teilt mit der attraktiv agierenden, aber konsequent zu tief singenden Titelsängerin Alex Penda den Hang zum Distonieren. Erfreulich hingegen Sabina Puértolas als Drusilla, Emilie Renard als Page und der krachkomische Tenor José Manuel Zapata als Amme Arnalta (wenn er nicht zur Persiflage auf einen Countertenor genötigt wird). Jennifer Lamore als unglückliche Kaiserin bringt vor allem Persönlichkeit und Erfahrung ein.

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