Monopoly: Was hinter dem beliebtesten Spiel der Welt steckt

Die Nazis verboten es, Atlantic City wollte seinetwegen Straßen umbenennen, in Israel löste es Proteste aus: Monopoly prägt unsere Vorstellung von Grundbesitz und Reichtum. Dabei war das Brettspiel eigentlich als Kapitalismuskritik geplant.

von Monopoly: Was hinter dem beliebtesten Spiel der Welt steckt © Bild: iStockphoto.com

Im Grunde beginnt jede Partie Monopoly wie eine Erstbesiedlung: Der Würfel, eine Art Schicksal, entscheidet, wo man landet. Es folgt eine Kolonisation light ohne lästige Indigene oder sonstige Bauernopfer, die man erst beseitigen muss. Das anfangs einzige Gut - Grund - verkauft eine überraschend unbestechliche Zentralbank zu fixen Preisen an Erstankömmlinge. Nun zeigt sich, wer zum Glück auch Spekulationsgeschick hat. Es gibt zwei Strategien: systematisch ein Portfolio aufbauen wie im konventionellen Kapitalismus oder alles auf bestimmte Karten setzen wie im Casino-Kapitalismus. Die Akkumulation von Boden geht noch recht gesittet voran, dann mischen Zug für Zug niedere Instinkte mit. Der Mensch wird dem Menschen ein Immobilienhai. Ehe man sich's versieht, muss die Mehrzahl der Spieler nur noch Mieten, Schulden, Steuern abdrücken und sich rundenlang demütigen lassen, obwohl ihr Ruin längst feststeht.

Seit bald 90 Jahren, in mittlerweile 114 Ländern und 47 Sprachen lernen Menschen, dass man spielend reich wird, indem man Grundeigentum anhäuft und ein Immobilienimperium darauf errichtet. Das Prinzip wanderte in einer Schachtel von den Truhen der Großeltern in die Schränke der Enkel und prägte über Generationen hinweg unsere Wahrnehmung von Kapital, Vermögen und Status. Monopoly ist eines der erfolgreichsten Brettspiele der Welt. So beliebt, dass die Nasa zwei Sonderanfertigungen mit nicht entflammbarem Papier für ihr Spaceshuttle "Atlantis" bestellte. So bekannt, dass es in zwei "Simpsons"-Folgen eine Gastrolle spielte. So einflussreich, dass es eine der größten Schweizer Tageszeitungen kränkte.

22 Grundstücksfelder

Um den Affront mitzufühlen, muss man wissen: Im klassischen Monopoly folgen auf "Start" 22 Grundstückfelder in steigendem Wert, farblich gestaffelt - von Violett, Hellblau, Pink über Orange, Rot, Gelb nach Grün und Dunkelblau. Auf der Schweizer Grundversion rückt der Spieler so vom günstigen Churer Kornplatz bis zum teuren Zürcher Paradeplatz vor. 2001 präsentierte der Spieleverlag Winning Moves eine Zürcher Edition, auf der Geschäfte und Institutionen sich für echtes Geld mit Logo und Straßennamen des Hauptsitzes verewigen konnten. Wer welchen Platz bekam, bestimmte der Verlag.

Die Universität in der Künstlergasse und Marsano, die "erste Adresse für Blumen" in der Bahnhofstraße, erhielten ein grünes Feld im höheren Preissegment, der Diogenes Verlag belegte mit der Sprecherstraße mittelpreisiges Gelb, der "Tages-Anzeiger" landete mit der Werdstraße im unteren Drittel auf Hellblau - auch noch weit abgeschlagen von der "Neuen Zürcher Zeitung" an der Falkenstraße, die respektables Signalrot abstaubte. Konsterniert bemerkte ein "Tagi"-Journalist: "Während die Einstufung der Spiegelgasse im 'Kapitalistenspiel' Monopoly noch nachvollziehbar scheint -immerhin wohnte dort der Kapitalistenfeind Lenin -und im Fall der Niederdorfstraße das 'Ballermann-Image' auf die Bodenpreise drücken dürfte, wirft die schlechte Platzierung der Werdstraße mit dem Hauptsitz des ' Tages-Anzeigers' doch Fragen auf." Wir haben auch Fragen. Wer bestimmt überhaupt, wer bei Monopoly in Toplage, wer im Abseits steht? Was verrät die Verteilung über unser Wertesystem? Und warum nehmen erwachsene Menschen ein Spiel für Kinder ab acht Jahren derart persönlich?

1933 entwickelt

Das Standardspielbrett aus den USA entstand Neujahr 1933 in Atlantic City, New Jersey. Die Quäker Ruth und Cyril Harvey planten einen Spieleabend mit Freunden aus der Gemeinde. Brettspiele waren in Mode und eine willkommene Beschäftigung für all die Amerikaner, die durch die Great Depression ihren Job verloren hatten. Cyril war Schulleiter der "Friends School" und hatte dort ein Spiel aufgeschnappt, das von besseren Zeiten träumen ließ. Eine Quäkerin aus Illinois hatte es entwickelt, es hieß "The Landlord's Game", manche nannten es auch "The Monopoly Game". Wäre es nicht nett, dachte Cyrils Ehefrau Ruth, dessen beliebigen Schauplatz nach Atlantic City zu verlegen?

Sie zeichnete das Muster des Spiels auf einem großen Wachstuch nach, ergänzte die Felder mit echten Straßennamen und Immobilienpreisen und trennte die Milieus durch verschiedene Farben.

Die Harveys wohnten in der Pennsylvania Avenue -auf dem Brett ein teures Grün. Ihre wohlhabenden Freunde, die Joneses, residierten am Park Place, dunkelblau. Höchstes Gut wurde das Herz der Stadt, der Boardwalk, eine zehn Kilometer lange Vergnügungsmeile. Das schwarze Dienstmädchen der Harveys lebte in der Baltic Avenue, in einem Schwarzenviertel nahe der Mediterranean Avenue -die beiden untersten Kasten auf dem Spielbrett.

Auch die ersten ausländischen Monopoly-Adaptionen verwendeten für ihr Spielfeld reale Straßennamen und Werte. Der Paradeplatz, unter dem barrenweise Gold lagern soll, war schon in der Schweizer Version von 1939 das kostbarste Feld. Die teuersten Grundstücke der britischen Ausgabe liegen bis heute in Londons dunkelblaublütigem Bezirk City of Westminster, dem Feudalismus nah. Die erste deutsche Version vergab den wertvollsten Platz an Berlins Insel Schwanenwerder, wurde jedoch kurz nach Erscheinen von Joseph Goebbels konfisziert. Der Propagandaminister, der im Nobelviertel Schwanenwerder mit anderen NS-Bonzen jüdischen Eigentümern ihre Grundstücke abgenötigt hatte, diffamierte Monopoly als jüdisches Schacher-und Wucherspiel.

Streit um Straßen

Ab 1953 setzte Westdeutschland als einzige Nation auf ein Monopoly mit fiktiven Straßennamen - zu viel Nationalstolz wollte man sich trotz des Wirtschaftswunders wohl nicht leisten. In den kommunistischen Staaten war das asoziale Spiel des Klassenfeinds lange verboten; in Nordkorea und Kuba steht Monopoly bis heute auf dem Index. Wären ja auch öde Editionen: das ganze Spielfeld ein Gefängnis.

Monopoly war immer mehr als ein Spiel. "Brillant konzipiert, denn es bildet das ganze Geschäftsumfeld irre genau ab", schrieb der Pulitzer-Preisträger John McPhee 1972 in einem Essay, für den er die Spielfelder mit ihren Vorbildern vor Ort verglich. Im folgenden Jahr berichtete die "New York Times" von einem Streit zwischen Atlantic City und Monopoly-Macher Parker Brothers: Die Küstenstadt wollte die Mediterranean und die Baltic Avenue umbenennen, weil die zwei billigsten Straßen von Monopoly tatsächlich sehr schäbig waren. Es verwirre Touristen, zu sehen, wie nah sich Spiel und Realität kamen, erklärte der Pressesprecher der Stadt. Verlagspräsident Edward P. Parker legte ein pathetisches Veto ein: "Wollen Sie einem Monopoly-Fanatiker aus Kalifornien erzählen, dass die Straßen, für die er extra herkam, nicht mehr existieren? Möchten Sie eine Invasion protestierender Monopoly-Spieler verantworten, die alle fordern, dass Sie direkt ins Gefängnis gehen, ohne in Würde Start zu passieren?"

"Monopoly Imperium"

Atlantic City behielt seine Straßennamen bei und wurde bald selbst zum Spielball. Nachdem in der Stadt mit dem Spitznamen "Monopoly City" 1978 das erste Casino worden war, spielte eine Allianz aus Politikern, Geschäftsleuten und Mafia Monopoly um vier Hektar Land. Der Ex-Anwalt des Stadtplanungskomitees Nelson Johnson schrieb einen Besteller über das "Boardwalk Empire: The Birth, High Times, and Corruption". Das letzte Kapitel handelt nur noch vom Casino-Kapitalisten Donald Trump, der die Stadt durch mehrere Pleite Casinos schröpfte.

© Getty Images/Krystian Dobuszynski 400 Quadratmeter war das größte Monopoly-Spiel der Welt. Darauf wurde im Jahr 2015 in Warschau gespielt

Atlantic City befand sich spätestens seit der Weltwirtschaftskrise im freien Fall. Vielleicht befürchtete der neue Monopoly-Verleger Hasbro, ihr Abwärtstrend könnte seinen Umsatz gefährden, jedenfalls erhielt das US-Monopoly zum ersten Mal nach über 70 Jahren andere Platz- und Straßennamen. Gegen den offiziellen Einspruch von Atlantic City wurde New Yorks Times Square der neue Boardwalk. 2016, im selben Jahr, in dem Donald Trump prahlte, wie er die saftige Cashcow Atlantic City geschlachtet hatte, ging die Stadt bankrott.

Es ist die Quintessenz des Kapitalismus und des Spiels Monopoly: Am Ende gewinnt immer nur einer - beziehungsweise das eine Prozent der Weltbevölkerung, das über rund 45 Prozent des weltweiten Vermögens verfügt und mit jedem Schulterzucken noch reicher wird. Amerikaner sind exzellente Zocker - bewusst nicht gegendert, denn die Edition "Ms. Monopoly. Das erste Spiel, bei dem-Frauen mehr verdienen als Männer" kam erst 2019 auf den Markt. Derzeit stellen die Vereinigten Staaten acht der zehn reichsten Menschen. Und die Amerikaner lieben ihr Land. Bill Gates etwa ist der größte Besitzer von Ackerland in den USA, weiß aber noch nicht, was er damit anfangen will. Das Warten lohnt sich, die Agrarpreise steigen rasant. Jeff Bezos bastelt an seinem Raumfahrtprojekt, um neuen Grund im All zu erobern. Männer hinter Weltmarken sind die neuen Immobilienmoguln - und "Monopoly Imperium" zieht gleich: Hier teilen sich Coca Cola, Samsung und Nestlé die begehrten Plätze. Nur noch vier statt sonst acht Raubtierkapitalisten können etwas reißen "wie Mark Zuckerberg, Rupert Murdoch oder Donald Trump". Und natürlich gibt es nur noch große Scheine.

Kreditkarte statt Bargeld

Weil Zeit im Turbokapitalismus verdammt viel Geld ist, zahlt man bei "Monopoly Banking Ultra" mit Kreditkarte statt cash. "Monopoly Speed" mit der neuen Inflationswährung Monopoly-Dollar dauert keine zehn Minuten mehr. Und für alle, die schon ganz blind vor Gier sind, hat Monopoly noch eine Braille Edition aus den 70ern auf Lager.

Es gibt mittlerweile unfassbar viele Monopoly-Varianten, darunter etliche Sammlereditionen. Der Brite Neil Scallan hat bisher rund 183.000 Euro in-3.029 verschiedene Monopoly-Sets gesteckt - künstliche Verknappung zieht nicht nur auf dem Immobilienmarkt. Die Franchiseeditionen reichen von "Star Wars" bis Pummeleinhorn, die unzähligen regionalen Versionen bis ins ländliche Emmental. Die 160 Lizenznehmer der Marke lassen sich gern von Sponsoren schmieren, um ihre Kosten zu decken. Das Spielbrett wird zur Spielwiese lokaler Spekulanten. Die erste Dublin-Edition 2018 war so mit Sponsoring zugepflastert, dass der Werberat die "mangelnde Transparenz" abmahnte.

Die "World Edition"

Heute stimmt über die meisten Neuauflagen und Erstausgaben allerdings die Fangemeinde online ab. Der demokratische Ansatz zeichnet das Wunschbild einer neuen Welt-und Gesellschaftsordnung aufs Spielfeld: Als Deutschland 2007 eine Länderedition mit echten Straßen plante, vereinigte das akademische Proletariat sein Bildungskapital und wählte eine kleine Universitätsstadt aufs teuerste Feld. Beim Voting für eine Schweizer Kantonsversion im selben Jahr belegte nicht das finanzstarke Zug den Paradeplatz, sondern Uri, das vor allem reich an Natur ist.

Auch bei der "World Edition" überließ man die Besetzung der Felder mit Metropolen den Fans. Eine der nominierten Städte war Jerusalem -auf der Verlagswebsite dem Staat Israel zugeordnet. Propalästinensische Interessengruppen intervenierten, die israelische Regierung machte Gegendruck. Der Verlag entfernte schließlich alle Länderangaben unter den Städtenamen und entschuldigte sich: "Dies ist ein Spiel. Wir wollten nie eine politische Debatte führen." "Monopoly World" wurde eine Rundreise von der Betonwüste Taipehs bis in Kanadas Kulturhauptstadt Montreal. Jerusalem landete auf Gelb -der Farbe des Neids, aber auch der Erleuchtung. Mit Solidarität gewinnt man kein Geld. Das musste schon die Quäkerin Elizabeth Magie erfahren -die Erfinderin des Konzepts von Monopoly.

Die Stenotypistin wollte nie ein Kapitalistenspiel schaffen, sondern, im Gegenteil, vor dem Monopol auf Boden warnen. Sie hatte die wirtschaftliche Blüte in den USA Ende des 19. Jahrhunderts von klein auf erlebt. Ihr Idol, der amerikanische Volkssozialist Henry George, war überzeugt, dass die moderne Zivilisation an Bodenspekulation zugrunde gehen werde. 1902, am Kipppunkt der Konjunktur ihrer Heimat, entwarf Magie deshalb das zweigleisige didaktische "The Landlord's Game", das ihren Mitmenschen die Vorteile von Kooperation und Gemeinsinn gegenüber Profitgier und Privateigentum vermitteln sollte. Da es bloß geistigen Gewinn versprach, zeigte kein Verleger Interesse daran. Lizzie Magie vertrieb ihr Spiel selbst, Ruth Harvey verpasste ihm 30 Jahre später den persönlichen Anstrich. Reich wurde damit keine der Frauen, sondern ein Mann: Der arbeitslose Heizungsingenieur Charles Darrow kopierte Harveys Version mitsamt Schreibfehler (Marvin statt Marven Gardens), strich den solidarischen Spielmodus und verkaufte die egozentrische Version als Monopoly an Parker Brothers.

Anti-Monopoly

Darrows Bluff machte 2015 die Autorin Mary Pilon in "The Monopolists" publik. Aufgeflogen war er bereits Jahre zuvor durch einen Urheberrechtsstreit, den die Marke Monopoly ausgerechnet gegen ein Spiel verlor, das "Anti-Monopoly" heißt und seinen Namen zum Ziel hat. Ein Ökonomieprofessor aus San Francisco hatte es im Sinne einer freien Marktwirtschaft konzipiert. Inzwischen hat Hasbro sich "Anti-Monopoly" einverleibt und bringt selbst regelmäßig linke Alternativen heraus, um an der Kapitalismuskritik gleich mitzuverdienen. Zuletzt 2019 "Monopoly Socialism", bei dem man Konzessionen erwirbt und gemeinsam ein veganes Restaurant verwaltet. Auf der Schachtel steht deutlich: Parodie. Das Spiel ist ein Witz.

Für Monopoly dagegen wird es ernst. Die Jugend will kein Spiel mehr spielen, das ihr in 2-D einen eindimensionalen Aufstieg vorheuchelt. Auch wenn alle Mitspieler netterweise dasselbe Startkapital und bei jedem Queren von "Start" einen festen Geldbetrag, quasi ein bedingungsloses Grundeinkommen, erhalten. Sonst wäre der Spaß ja gleich verdorben. Auf dem Boden der Tatsachen hat die Schweiz kürzlich gegen das Grundeinkommen gestimmt, und man erbt entweder die Villa der Eltern am Zürichsee oder besitzt eben: nichts. Die Spielversion für Millennials erschien 2018 deshalb wie das hämische Grinsen eines Monopoly-Gewinners: Grundstücke gibt es keine mehr, stattdessen fährt man planlos übers Brett, sammelt Erfahrungen, shoppt ein bisschen oder chillt einfach.

"Es hätte auch 'Das Spiel des Lebens' heißen können", sagte Lizzie Magie einmal über ihre Urfassung von Monopoly. Den authentischsten Ableger lieferte nun die Satireseite "Luxembourg Wurst". Während die Global Player und Landlords den Shutdown 2020 mit Staatshilfen aussaßen, kreierte sie eine Länderedition, in der alle Grundstücke so teuer sind, dass kein Spieler sie sich jemals leisten kann. Im Grunde endet das Spiel nie.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich im News 50/2021.