Reden wir (wieder) miteinander

Neue Köpfe, neue Umgangsformen? Die Neuen auf der Regierungsbank könnten die Gelegenheit nutzen, jenseits von Sprechblasen einen neuen Stil zu pflegen.

von Leitartikel - Reden wir (wieder) miteinander © Bild: News/ Matt Observe

Für die einen ist es einfach nur die "gute Kinderstube", für andere ein zivilisatorischer Akt: zu wissen, was man sagt -und was eben nicht. Zu wissen, was geht -und was nicht. Was am rauchvernebelten Stammtisch gerade noch akzeptabel ist, aber nicht mehr außerhalb dieser geschützten Wände. Und schon gar nicht im öffentlichen Raum. Aber dieser moralische Kompass fehlt vielen -oder ist verloren gegangen. Schleichend. Einfach so. Es mangelt an Anstand und -ganz banal -an Umgangsformen; an vermeintlichen Kleinigkeiten. Eine Mail ohne Anrede? Gang und gäbe. Der Adressat ist anderer Meinung? Dann hat sie oder er "irgendwas nicht kapiert", ist ein Sympathisant der "links-linken Reichshälfte"; gerne auch ein Trottel. Ach ja, und Frauen sind per se sowieso mehrheitlich unfähig -und vor allem schuld, wenn es gerade nicht so läuft.

Das es so ist, wie es ist, wurde auch durch politische "Vorbilder" befeuert: Der eine rennt mit (türkisen) Socken durch das Parlament, andere spielen gerne und oft mit dem Handy oder versuchen, mit verdrehten Augen und affektiertem Gähnen Redebeiträge zu parieren. Und zu guter Letzt ist uns allen noch das höhnische Gelächter (von wem auch immer) im hohen Haus rund um den Misstrauensantrag der nunmehr geschassten Regierung in den Ohren. Es gelte, in Gesprächen das zu suchen, "was verbindet", sagt der in diesen Tagen omnipräsente Bundespräsident in Richtung alter und neuer Regierungsmitglieder. Es "reicht eben nicht in einer Demokratie, wenn man mit den anderen nur redet, wenn man sie braucht". Es braucht tragfähigen Dialog und grundsätzlichen Respekt. Selbstverständlichkeiten im Umgang miteinander also. "Ja eh", möchte man meinen, um gleichzeitig festzustellen, dass es im Jahr 2019 einen Bundespräsidenten braucht, um das anzusprechen und auszusprechen. Der junge nunmehrige Alt-Bundeskanzler Sebastian Kurz hat es nicht geschafft, das Land zusammenzuhalten. Unter dem Deckmantel von "wir streiten nicht und patzen niemanden an" standen Hetze, Spaltung und Ausgrenzung auf der Tagesordnung. Gern geschickt platziert, ziemlich oft aber ungeniert ausgesprochen. Mit den Einzelfällen sind auch in der Gesellschaft die Hemmschwellen gesunken. Trauriger Höhepunkt: die zerschnittenen und mit Hakenkreuzen beschmierten Porträts der Holocaust-Überlebenden an der Wiener Ringstraße.

Es liegt jetzt an der Übergangsregierung, zu zeigen, wie eine Zusammenarbeit jenseits von "Wir streiten nicht" aussehen kann. Es ist eine Chance. Sich "zusammenzureden", Kompromisse zu finden, aufeinander zuzugehen, andere einzubinden, ist schließlich auch etwas, das dieses Land in der Vergangenheit ausgemacht hat. Das muss man wollen, und man muss bereit sein, das "Ich, ich, ich" dafür hintanzustellen. Vor allem aber ist es Aufgabe eines Staatsmannes, gerne auch einer Staatsfrau.

Und weil wir schon einmal dabei sind: Es ist auch die Aufgabe, einfach seinen Job zu machen, ohne das bei jeder Gelegenheit zu betonen und sich verbal auf die Schulter zu klopfen. Dafür werden Politiker gewählt. Und mit Steuergeld bezahlt. Schließlich rennen wir Mütter auch nicht jeden Tag durch die Gegend und erklären allen lang und breit, was wir für einen tollen Job machen. Jeden Tag. Für eine selbstgebastelte Papierblume am Muttertag ...

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