"Er ist zu den Buben
ins Bett gekommen"

Taten in Neustift waren laut Betroffenen bekannt, Täter sei gedeckt worden

In der Debatte über Missbrauch im österreichischen Sport haben nun ehemalige Schüler und die Mutter eines Betroffenen in der Tageszeitung "Der Standard" (Montagsausgabe) berichtet, dass die Taten in der damaligen Skihauptschule Neustift in den 70er-Jahren keine Einzelfälle und der Schulleitung bekannt waren. Der Täter sei sogar gedeckt worden und blieb im Schuldienst, lautet der Vorwurf.

von Missbrauchsvorwürfe Neustift - "Er ist zu den Buben
ins Bett gekommen" © Bild: shutterstock

Der Tiroler Skiverband (TSV), dem die Schulleitung damals unterstand, war für eine Stellungnahme für die APA vorerst nicht erreichbar. Der Heimleiter sei offenbar ein Pädophiler gewesen. "Das war ein Mordstheater an der Schule. Alle wussten es damals", erzählte die Mutter eines ehemaligen Schülers dem Standard. Er war offenbar jede Woche zu den Buben ins Bett gekommen. Ihr Sohn habe sie jedoch angefleht, nichts zu unternehmen, um seinen Traum von der Karriere als Skifahrer nicht zu gefährden.

»Das war ein Mordstheater an der Schule. Alle wussten es damals«

Laut einem Protokoll einer Sitzung des TSV war die Absetzung des Heimleiters schon 1976 Thema in den höchsten Gremien des Verbandes. Doch erst 1979 wurde er offenbar abgesetzt, da sich die Schule im Herbst nach einem neuen Heimleiter umsehen musste, wie der TSV bereits vergangene Woche bekannt gegeben hatte. Warum der Mann noch drei weitere Jahre im Schuldienst verbleiben konnte und wohin er nach 1979 ging, sei noch unklar.

40 bis 50 Leute bei Werdenigg gemeldet

Die ehemalige Skirennläuferin Nicola Werdenigg, die die Debatte ins Rollen gebracht hatte, sagte indes gegenüber der "Tiroler Tageszeitung" (Montagsausgabe), dass sich bei ihr inzwischen 40 bis 50 Leute gemeldet hätten. Dabei sei es nicht mehr um Kleinigkeiten gegangen, meinte sie, Details wollte sie jedoch nicht bekannt geben. Auf APA-Nachfrage bei der Staatsanwaltschaft haben sich bis Montagvormittag keine weiteren Personen bei der Anklagebehörde gemeldet.

Ex-Schuldirektor will nichts gewusst haben

Im Zusammenhang mit den Missbrauchsvorwürfen in der ehemaligen Skihauptschule Neustift hat sich der ehemalige Direktor der Schule zu Wort gemeldet. Dieser habe schriftlich gegenüber dem jetzigen Direktor der Schule angegeben, von den Vorfällen damals nichts gewusst zu haben, berichtete die "Tiroler Tageszeitung" in ihrer Online-Ausgabe.

Der Mann stand der Schule von 1969 bis 1981 vor. Zudem müsse man laut dem ehemaligen Direktor richtig stellen, dass das Internat in seiner Zeit nichts mit der Schule zu tun gehabt hätte, sagte der jetzige Direktor, Thomas Wirth, der "TT". Zu den Schilderungen von Betroffenen wollte der ehemalige Direktor nichts sagen. Der Pädagoge gab laut dem Bericht zudem deutlich zu verstehen, dass er in Ruhe gelassen werden möchte.

Land Tirol suspendierte Pädagogen

Im Zusammenhang mit den Missbrauchsvorwürfen in der ehemaligen Skihauptschule Neustift hat das Land Tirol erste Konsequenzen gezogen. Ein in den 1990er-Jahren an der Skihauptschule im Schul- und Trainingsbereich tätiger Pädagoge wurde nach einer Prüfung vorläufig suspendiert, teilte das Land am Montagabend in einer Aussendung mit.

Dem Pädagogen wird vorgeworfen, anzügliche Gespräche mit SchülerInnen geführt zu haben und sie im Zuge von Massagen und Sicherungsarbeiten im Training und Sportunterricht "unpassend berührt" zu haben. "Wir unternehmen alle möglichen Anstrengungen, um erhobene Vorwürfe lückenlos aufzuklären und Konsequenzen zu ziehen", erklärte Bildungslandesrätin Beate Palfrader (ÖVP). Bis zur Klärung der strafrechtlichen und disziplinärrechtlichen Verantwortung bleibe der betroffenen Pädagoge vorläufig suspendiert.

Die Bildungsabteilung des Landes Tirol und der Landesschulrat haben in den vergangenen Tagen Akten von den 1970er-Jahren bis heute durchforstet. Dabei sei man auf den nunmehrigen Fall gestoßen, hieß es.

Ex-Heimleiter verwundert über Anschuldigungen

Der Ex-Heimleiter der Skihauptschule Neustift, gegen den von ehemaligen Schülern und Eltern geäußerte Missbrauchsvorwürfe bestehen, lebt nach einem Bericht der Tageszeitung "Der Standard" (Dienstag-Ausgabe) nun in Vorarlberg. Er sei mehr als verwundert über die Anschuldigungen gegen ihn, denn die Vorwürfe stimmten allesamt nicht. "Das sind alles Vorverurteilungen", sagte der Mann auf Anfrage.

»Das sind alles Vorverurteilungen«

Wenn man ihm Nähe zu Schülern unterstelle, dann müsse man die damaligen räumlichen Verhältnisse im Neustifter Internat - "da könnte man ewig lang darüber reden" - kennen: ein altes Bauernhaus, ein einziges Bad mit einem Boiler für 15 Schüler. Die Heimleiterwohnung sei keine Wohnung, sondern nur ein Zimmer gewesen. "Da Nähe interpretieren? Das kann man machen oder auch nicht." Auf die Frage, ob er sich Schülern sexuell genähert habe, antwortete der Mann: "Dazu sage ich nichts."

Als Heimleiter sei er 1976 von sich aus gegangen. "Weil ich nach sieben Jahren Arbeit rund um die Uhr genug hatte. Ich hab mir eine Wohnung in Zirl gekauft und bin dorthin gezogen", zitiert das Medium den Befragten. Vier Punkte hätte er zu den Schilderungen der Skirennläuferin Nicola Werdenigg, die mit ihrer Aussage den Fall ins Rollen gebracht hat, klarzustellen: "Erstens: Es hat kein Aufnahmeritual gegeben. Zweitens: Ich habe Schülern nie Alkohol verabreicht. Drittens: Schüler waren nie in meinem Zimmer, um in der Gruppe zu onanieren. Viertens: Es hat keinen Zwang gegeben, weder zum Essen noch zu sonst etwas." Vollkommener Nonsens sei die Aussage, er habe im Biologieunterricht gesagt, Mädchen sollten öfter die Wäsche wechseln.

Ehemaliger Schüler bestätigt Vorwürfe

Ein ehemaliger Schüler widersprach dem aber und bestätigte die bisherigen Schilderungen: "Dass sich der Heimleiter an Schülern vergeht, war allgemein bekannt. Es ist überhaupt nicht vorstellbar, dass die Lehrer das nicht wussten. Er wurde gedeckt. Er hat jede Situation genützt, um Kinder zu massieren und unpassend zu berühren. Beim ersten Mal war es schwierig zu deuten. Beim fünften, sechsten Mal konnte man es begreifen. Ich habe es immer vermieden, mit ihm alleine zu sein."

Ein ehemaliger Lehrer wiederum beschreibt die Zustände in Neustift in den 1970er-Jahren als "großes Provisorium". In der 1969 als Schulversuch gegründeten Einrichtung wurde "alles dem sportlichen Erfolg untergeordnet". Der Heimleiter sei zu Schulbeginn 1976 plötzlich nicht mehr da gewesen. Dass es gegen den Mann Missbrauchsvorwürfe gegeben habe, sei ihm damals nicht bewusst gewesen, sagte der Lehrer.

»Niemand fühlte sich zuständig, eine Anzeige zu erstatten«

Erst nachdem P. 1979 endgültig die Schule verlassen habe, seien derartige Gerüchte aufgekommen. "Doch niemand fühlte sich zuständig, eine Anzeige zu erstatten." Er mache sich Gedanken, ob er es nicht hätte sehen müssen. Der Heimleiter, an der Skihauptschule Neustift auch als Lehrer tätig, unterrichtete später an der Pädagogischen Akademie in Feldkirch, wechselte damit vom Landes- in den Bundesdienst.

Prinzipiell sei es nach Missbrauchsfällen bei Bundesschullehrern ausgeschlossen, dass sie in einem anderen Bundesland wieder als Lehrer aufgenommen werden, hieß es auf Anfrage des "Standard" aus dem Ministerium. Bei Pflichtschullehrern entscheiden die Länder. Das Ministerium hatte bisher keinen Einblick, welche Pflichtschullehrerinnen und -lehrer in welchem Bundesland unterrichten. Mit der Einführung der Bildungsdirektionen ändere sich das.

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