Wie viele Weinsteins
gibt es in Hollywood?

Viele, die sich nun entsetzt zeigen, sollen längst Bescheid gewusst haben

Seit dem Bekanntwerden der Sex-Vorwürfe gegen Harvey Weinstein haben sich bereits zahlreiche Hollywoodstars vom Filmproduzenten distanziert. Täglich werden es mehr und alle geben sich zutiefst empört. Dabei soll ganz Hollywood längst Bescheid gewusst haben. Und Weinstein ist auch kein Einzelfall.

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Missbrauch - Wie viele Weinsteins
gibt es in Hollywood?

Harvey Weinstein soll mehrere Frauen, darunter bekannte Schauspielerinnen, sexuell belästigt haben. Die "New York Times" hatte die Vorwürfe kürzlich enthüllt. Der Filmproduzent soll Frauen versprochen haben, ihnen im Gegenzug für sexuelle Gefälligkeiten bei ihrer Filmkarriere zu helfen. Unter den mutmaßlichen Opfern sind die Schauspielerinnen Ashley Judd und Rose McGowan. Manche Vorfälle reichen laut "NYT" fast drei Jahrzehnte zurück. Mit mindestens acht Frauen habe Weinstein sich außergerichtlich geeinigt.

Zahlreiche Weggefährten, darunter Meryl Streep, Judi Dench, George Clooney, Kate Winslet, Gwyneth Paltrow oder Mark Ruffalo äußerten sich empört über Harvey Weinstein. Seine Frau, die Designerin Georgina Chapman trennte sich von ihm. Alle zeigten sich zutiefst schockiert und behaupten, von nichts gewusst zu haben. Meryl Streep etwa betonte, dass "nicht jeder" von Weinsteins Fehlverhalten gewusst habe. "Ich glaube nicht, dass all die investigativen Journalisten es über Jahrzehnte versäumt hätten darüber zu schreiben", fügte sie hinzu.

Kate Winslet, die für ihre Rolle in der Weinstein-Produktion "Der Vorleser" 2009 einen Oscar gewann, beschrieb das Verhalten als "fraglos beschämend und entsetzlich und sehr, sehr falsch". Von den Gerüchten hat sie offenbar schon früher gehört, doch sie "hatte gehofft, dass diese Geschichten nur erfundene Gerüchte seien, und vielleicht waren wir alle naiv. Und es macht mich so wütend", sagte die 42-Jährige dem Magazin "Variety".

Brad Pitt konfrontierte Weinstein schon vor Jahren

In der "New York Times" vom Dienstag berichteten die Hollywoodstars Gwyneth Paltrow und Angelina Jolie, sie hätten sich Weinsteins sexuellen Belästigungen widersetzt. Dem Bericht zufolge forderte Brad Pitt, der damals mit Paltrow zusammen war, Weinstein auf, dieses Verhalten zu unterlassen. Laut "New Yorker" sorgte der Produzent mit Hilfe seiner Pressesprecher und Anwälte jahrzehntelang dafür, dass sein Verhalten nicht öffentlich gemacht wurde.

Auch Model und Schauspielerin Cara Delevingne hat Harvey Weinstein sexuelle Belästigung vorgeworfen. Die 25-jährige Britin ließ am Mittwoch eine Erklärung veröffentlichen, in der sie einen "unangenehmen Anruf" von Weinstein schilderte. Darin habe er sie über ihre Sexualität ausgefragt. "Er sagte mir, wenn ich homosexuell wäre oder entschiede, mit einer Frau zusammen zu sein, insbesondere in der Öffentlichkeit, würde ich niemals eine Rolle als heterosexuelle Frau bekommen oder es als Schauspielerin in Hollywood schaffen", erklärte Delevingne. Ein oder zwei Jahre später sei sie zu einem Treffen mit Weinstein und einem Regisseur in einer Hotellobby eingeladen worden. Nachdem der Regisseur gegangen sei, habe Weinstein damit angegeben, dass er Schauspielerinnen, die mit ihm geschlafen hätten, zu einer Karriere verholfen habe.

»Ich stoppte ihn und schaffte es aus dem Zimmer hinaus.«

Dann habe er sie in sein Hotelzimmer eingeladen. Delevingne schlug die Einladung nach eigener Aussage zunächst aus, sei dann aber mit Weinstein mitgegangen, nachdem dessen Assistentin ihr gesagt habe, dass ihr Wagen noch nicht bereit stehe. "In diesem Moment habe ich mich sehr machtlos gefühlt", erklärte die Schauspielerin. In Weinsteins Hotelzimmer habe sich eine andere Frau befunden und der Produzent habe sie aufgefordert, sich zu küssen. Delevingne erklärte, dies habe sie abgewendet, indem sie angeboten habe etwas vorzusingen. Danach habe sie erneut gesagt, dass sie gehen müsse. "Er brachte mich zur Tür und stellte sich davor und versuchte, mich auf den Mund zu küssen", schrieb die 25-Jährige. "Ich stoppte ihn und schaffte es aus dem Zimmer hinaus."

Cara Delevingne bekam nach eigener Aussage schließlich eine Rolle in dem damals besprochenen Filmprojekt und habe sich "furchtbar" gefühlt, weil sie immer gedacht habe, dass Weinstein ihr die Rolle gegeben habe "wegen dem, was passiert war". Bisher habe sie nicht über den Vorfall gesprochen, weil sie Weinsteins Familie nicht habe verletzen wollen und sich "schuldig" gefühlt habe, "als ob ich etwas falsch gemacht hätte".

Seth MacFarlane äußerte sich bereits 2011

US-Schauspieler Seth MacFarlane hat nach eigenen Worten schon 2011 von einem Belästigungsvorwurf gegen den Filmproduzenten Harvey Weinstein erfahren - und darauf auch öffentlich reagiert. Seine Freundin und Kollegin Jessica Barth habe ihm damals von einem Vorfall erzählt, bei dem Weinstein sie belästigt habe, wie der 43-Jährige am Mittwoch via Twitter berichtete. Deshalb habe er bei der Verkündung der Oscar-Nominierungen 2013 nicht an sich halten können und einen heftigen Witz über den Filmproduzenten gemacht. Nachdem er die Nominierten als "Beste Nebendarstellerin" bekanntgegeben hatte, sagte MacFarlane damals: "Herzlichen Glückwunsch. Die fünf Damen müssen nun nicht mehr so tun, als ob sie Harvey Weinstein attraktiv finden." In einer Videoaufzeichnung ist lautes Gelächter und ein Raunen im Publikum zu hören.

Viele Schauspieler sollen bereits längst von Harvey Weinsteins abscheulichen Methoden gewusst haben. Rose McGowan, die ebenfalls von ihm belästigt wurde, echauffiert sich nun etwa über Ben Affleck. Der schrieb auf Facebook: "Ich bin traurig und wütend, dass ein Mann, mit dem ich zusammengearbeitet habe, seine Macht über Jahrzehnte hin ausgenutzt hat, um Frauen einzuschüchtern, sexuell zu belästigen und zu manipulieren." Rose McGowan wirft Affleck nun allerdings vor, längst davon gewusst und geschwiegen zu haben.

Vorwürfe gegen Ben Affleck

Im Zuge der Weinstein-Affäre kam auch ein Vorfall Ben Affleck betreffend ans Tageslicht. "Ich habe mich unangemessen gegenüber (Hilarie) Burton verhalten und es tut mir aufrichtig leid", twitterte der Schauspieler aus "Batman v Superman". 14 Jahre ist der Zwischenfall in der MTV-Sendung "Total Request Live" (TRL) her, und auf den ersten Blick wirkt er harmlos: Im Interview mit Moderatorin Burton steht der junge Affleck plötzlich auf und legt seinen Arm um ihre Schulter. Tatsächlich habe er dabei aber ihren Busen begrapscht, erklärte Burton in einem Video später. "Ich musste damals lachen, um nicht zu weinen", schrieb sie auf Twitter am Mittwoch. Natürlich ist dieser Vorfall nicht mit den Missbrauchs- und Vergewaltigungsvorwürfen gegen Weinstein zu vergleichen, doch er zeigt, wie viele Männer in Hollywood ticken.

Auch Bens Bruder Casey Affleck soll einst eine Kollegin sexuell belästigt haben, die Sache wurde aber - wie so viele andere - unter den Teppich gekehrt. Auch Regisseuren wie Woody Allen oder Roman Polanski wurde in den letzten Jahren immer wieder Missbrauch vorgeworfen, passiert ist nie etwas.

Als Sängerin Kesha ihren langjähriger Musikproduzenten Lukasz 'Dr. Luke' Gottwald verklagte, da er sie jahrelang körperlich und verbal missbraucht haben soll, wurde sie der Verleumdung bezichtigt. Unterstützung erhielt sie von ihrer Kollegin Taylor Swift, die 250.000 Dollar spendete.

Taylor Swift selbst errang im August in einem Grapsch-Prozess gegen den früheren Radio-DJ David Mueller einen Sieg. Die Geschworenen stellten sich auf die Seite der Sängerin, Mueller musste Swift als Entschädigung ein symbolisches Schmerzensgeld in Höhe von einem Dollar zahlen. Der Disput drehte sich um einen Vorfall bei einem Fototermin im Juni 2013 in Denver, bei dem Mueller der Sängerin unter den Rock gegriffen haben soll. Der DJ, der die Grapschvorwürfe abstritt, hatte damals seinen Job bei einem Radiosender verloren. In seiner Klage gegen Swift und ihr Team behauptete er, deren Anschuldigungen hätten zu der Kündigung geführt. Swift konterte mit einer Gegenklage wegen Körperverletzung und sexueller Belästigung.

Weinstein ist kein Einzelfall

Harvey Weinstein ist wohl bei weitem nicht der einzige Mann in Hollywood, der Frauen zu Dingen genötigt hat, die ihnen nicht gefielen. Ursula Kussyk vom Verein Notruf - Beratung für vergewaltigte Frauen und Mädchen schilderte im Gespräch mit der APA am Dienstag, warum Betroffene oft erst viel später über solche Taten reden und dass Frauen auch heute häufig vermittelt wird, sie seien "selber daran schuld".

»Die hat's ja selbst gewollt. Männer sind halt so.«

"Die hat's ja selbst gewollt. Männer sind halt so". Zwei Aussagen, die von sexueller Belästigung oder Vergewaltigung betroffene Frauen und Mädchen noch immer sehr oft zu hören bekommen, wenn sie mit ihren Erfahrungen an die Öffentlichkeit gehen oder den Täter vor Gericht zur Verantwortung ziehen wollen. Zwei Ausreden, die von Tätern immer noch als Rechtfertigung zum Kleinreden ihrer Handlungen verwendet werden, sagte Ursula Kussyk. Die diplomierte Sozialarbeiterin ist seit 1991 für den Verein Notruf tätig, der Beratung für von sexueller Gewalt betroffene Frauen und Mädchen anbietet. Schuldzuschreibungen seien einer der Gründe, dass Tatbestände sexueller Gewalt erst Jahre oder Jahrzehnte später bekannt werden, so Kussyk.

Das sogenannte Victim Blaming bzw. die Täter-Opfer-Umkehr führe häufig zum Schweigen der Betroffenen. "Sie schieben sich auch selbst die Schuld zu und glauben, die Übergriffe provoziert zu haben. Aus Scham teilen sie sich niemandem mit. Ich habe Klientinnen erlebt, die isoliert wurden, nachdem sie über eine Vergewaltigung gesprochen haben. Sie geben sich selbst die Schuld, wenn die Familie zerbricht", schilderte Kussyk, "da sagen sie oft lieber nichts." Im Polizei- und Justizbereich herrschen jene "Einstellungen, die es in der Gesamtgesellschaft gibt. Es gibt zum Beispiel sicher sehr engagierte Polizistinnen, aber es kommt einfach immer drauf an, wen man dort erwischt."

Wenn es dann um Arbeitsverhältnisse gehe, bestehe zudem die Angst vor Jobverlust und Mobbing. "Bekannte, reiche Männer können dann noch einmal einen Hemmschuh darstellen. Die können sich auch die besten Anwälte leisten", beschrieb Kussyk. Oft zitierte Aussagen seitens der Täter, zum Tatzeitpunkt - beispielsweise in den 60er-und 70er-Jahren - habe eine "andere Kultur" geherrscht, seien natürlich keineswegs eine Entschuldigung. "Dass es falsch gewesen ist, was sie getan haben, werden die auch damals schon gewusst haben. Es gab früher aber eine mangelnde Strafverfolgung und eine Tabuisierung dieser Delikte. Ein Verbrechen wird ja nicht deshalb akzeptabler, weil es tabuisiert wird, es 'alle machen' oder keine Folgen nach sich zieht", sagte Kussyk.

Model ruft zu Rebellion gegen sexuelle Gewalt auf

Das italienische Model Ambra Battilana Gutierrez, das ebenfalls schwere Vorwürfe gegen den Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein erhoben hatte, hat Frauen aufgerufen, gegen sexuelle Gewalt zu rebellieren. "Es ist Zeit, dass die Frauen sexuelle Gewalt anzeigen, auch wenn viel Zeit vergangen ist", sagte die 24-Jährige laut der römischen Tageszeitung "La Repubblica" am Donnerstag.

Die aus dem norditalienischen Piemont stammende Battilana Gutierrez hatte beim Prozess gegen Ex-Premier Silvio Berlusconi wegen Amtsmissbrauchs und Sex mit der minderjährigen Marokkanerin Ruby ausgesagt. Sie hatte dabei erzählt, nach ihrer Wahl zur Miss Piemont 2010 in Berlusconis Villa eingeladen worden zu sein, wo sie vom Ex-Premier belästigt worden sei. Daraufhin war sie von Berlusconi wegen Rufschädigung verklagt worden. "In Italien hat man behauptet, dass ich Geld erpressen wollte. Daraufhin bin ich in die USA gezogen", berichtete Battilana Gutierrez. Hier habe sie eine Karriere als Model und Schauspielerin versucht. In diesem Zusammenhang habe sie im März 2015 in New York Weinstein getroffen, der sie in sein Büro eingeladen habe, um ihr einen Job anzubieten.