Die Schattenseiten der Milchindustrie

Wer denkt schon, wenn er ein Glas Milch trinkt, darüber nach, wie es der Kuh, während sie die Milch gegeben hat, ergangen ist. Leider ist die industrielle Tierhaltung nach wie vor mit sehr viel Leid verbunden. Lisa Kainz von PETA gibt einen Einblick.

von Gastbeitrag - Die Schattenseiten der Milchindustrie © Bild: PETA Deutschland e.V.
Lisa Kainz ist Agrarwissenschaftlerin und Fachreferentin bei PETA
© Lisa Kainz

Für die meisten Menschen wäre es unvorstellbar, einer Mutter das eigene Kind kurz nach der Geburt zu entreißen – und glücklicherweise bleibt dieser Horror menschlichen Müttern in der Regel erspart. Doch Kühe in der Milchindustrie sind gezwungen, dies sogar mehrmals in ihrem Leben über sich ergehen zu lassen. Haben sie ein Kind zur Welt gebracht, steht auch ihrem Nachwuchs ein Leben voller Leid bevor. Den wahren Preis für ein Glas Milch, den Käse auf der Pizza oder die Sahnesoße zur Pasta zahlen die Tiere. Und das, obwohl der Mensch nicht auf die Milch anderer Lebewesen angewiesen ist.

Lebewesen für ein Glas Milch zu Maschinen degradiert

Leider unterscheidet die Gesellschaft noch immer willkürlich zwischen sogenannten Nutz- und Haustieren und kategorisiert fühlende Lebewesen somit nach ihrem Nutzen für den Menschen. Der Begriff für diese diskriminierende Denkweise, bei der unsere Mitlebewesen aufgrund ihrer Artzugehörigkeit ausgebeutet und benachteiligt werden, lautet Speziesismus. Wir lieben die einen, aber essen die anderen. Doch nicht die Unterschiede sollten ausschlaggebend für einen respektvollen Umgang mit anderen Geschöpfen sein, sondern die Gemeinsamkeiten. Und Fakt ist: Ein Rind oder ein Huhn empfindet ebenso Schmerzen und Angst wie ein Hund oder eine Katze, und sie alle möchten leben.

Alle tierischen Produkte - vor allem aus der industriellen Tierhaltung - sind unweigerlich mit Tierleid verbunden, auch wenn es manchmal nicht auf den ersten Blick erkennbar ist, so etwa bei Milch: Vielen Menschen ist nicht bewusst, dass Kühe neun Monate lang schwanger sind und nur Milch geben, wenn sie ein Kind zur Welt gebracht haben. Kuhmütter und ihr Nachwuchs haben eine enge Bindung zueinander, erkennen einander sogar allein am Geruch. Jedes Rind hat individuelle Persönlichkeitsmerkmale und Tiere können nachweislich ebenso wie der Mensch Freude, aber auch Schmerzen und Angst empfinden. Genau wie menschliche Mütter kümmern sich auch Kühe liebevoll um ihre Kinder, umsorgen sie und spielen mit ihnen. In der landwirtschaftlichen Tierhaltung haben sie allerdings keine Möglichkeit dazu: Das Neugeborene wird Kuhmüttern sofort oder kurz nach der Geburt entrissen, damit es die Milch, die gewinnbringend verkauft werden soll, nicht trinkt. Oft rufen die beiden anschließend noch mehrere Tage nacheinander.

© PETA Deutschland e.V. Kuh in Anbindehaltung

Auch danach geht das Leid sowohl für die Muttertiere als auch für ihre Kinder weiter. Um den Milchfluss möglichst konstant hoch zu halten, werden weibliche Tiere im Laufe ihres kurzen Lebens immer wieder gezwungen, die "künstliche Befruchtung" über sich ergehen zu lassen und somit zu regelrechten Milchmaschinen degradiert. Männliche Rinder geben keine Milch, gelten in der Milchindustrie folglich als wertlos und werden oft schon im Kindesalter getötet und zu Kalbfleisch verarbeitet. Oder aber sie werden beispielsweise nach Spanien transportiert, weil dort die Mast billiger ist. Von dort aus folgen oftmals qualvolle Transporte in Nicht-EU-Länder sowie ein grausamer Tod ohne Betäubung.

Seelische und physische Qualen vom ersten Lebenstag an

Nach der Trennung von ihren Müttern werden Kuhkinder meist isoliert in sogenannte Kälberboxen gesperrt, die kaum größer als eine Badewanne sind, und mit unnatürlicher Ersatznahrung ernährt. Für die Haltung in diesen Boxen ist ab der zweiten Lebenswoche nicht einmal mehr Einstreu wie Stroh vorgeschrieben, sodass die Tierkinder – die aufgrund der ungeeigneten Nahrung oft an Durchfall leiden oder sterben – häufig auf dem blanken Boden stehen und liegen müssen. Schon in den ersten Lebenswochen müssen sie schmerzhafte Eingriffe über sich ergehen lassen: Arbeiter schießen ihnen nummerierte Marken durchs Ohr, enthornen viele von ihnen mit einem mehrere Hundert Grad heißen Eisen und kastrieren männliche Tiere teils ohne Narkose.

© PETA Deutschland e.V. Kälberboxen

Die weiblichen Tiere werden mit Beginn der Geschlechtsreife wie Maschinen behandelt und in den meisten Milchbetrieben per Hand mit ausgewähltem Sperma "befruchtet" – und das immer früher, meist schon im Alter von gerade einmal eineinhalb Jahren. Dies setzt den Tieren zum einen psychisch stark zu, zum anderen kann es auch zu großen Problemen bei der Geburt führen. Im Laufe der letzten Jahrzehnte wurden Kühe auf immer mehr "Milchleistung" hin gezüchtet, erhalten zudem große Mengen an artfremdem Kraftfutter und bekommen immer öfter – teils auch präventiv – Antibiotika verabreicht.

Tiere erkranken infolge der Haltungsbedingungen und unnatürlich hohen Milchleistung

In der Milchindustrie ist ein Großteil der Rinder gezwungen, ihr gesamtes Leben ausschließlich im Stall zu verbringen, oftmals auf harten Spaltenböden. Die Betriebe bezeichnen diese sogenannten Laufställe fälschlicherweise als tierfreundlich, dabei können die Tiere kaum eine ihrer arttypischen Verhaltensweisen ausleben. Bis heute – und vor allem in kleineren Betrieben – werden Kühe monatelang, zumindest aber über den Winter, in der Anbindehaltung gehalten. Dabei sind sie an einem Platz angebunden, sodass sie sich nicht einmal umdrehen können.

© PETA Deutschland e.V. Kälbertransport

Hinzu kommt, dass Kühe normalerweise Milchmengen produzieren würden, die ausreichend wären, um ihren Nachwuchs zu ernähren. Dies entspräche etwa acht Litern am Tag. Durch die leistungsorientierte Zucht und Ernährung der Tiere haben sich die Mengen auf ein unnatürliches Maß erhöht: Teilweise geben Kühe heutzutage bis zu 50 Liter Milch pro Tag. Dies hat fatale gesundheitliche Folgen. Zahlreiche Tiere leiden beispielsweise an schmerzhaften Euter-Entzündungen, unter einer Labmagenverlagerung, Lahmheit oder Fertilitätsproblemen. Viele Kühe sind mit etwa vier oder fünf Jahren völlig ausgezehrt, krank oder geben aus anderen Gründen nicht mehr so viel Milch wie in den Vorjahren. Wegen des dadurch bedingten geringeren Profits lassen die Betriebe sie im Schlachthaus töten – dabei beträgt die natürliche Lebenserwartung einer Kuh etwa 20 Jahre.

Kein anderes Säugetier trinkt artfremde Muttermilch

Wahrscheinlich können sich die wenigsten Menschen vorstellen, die Milch einer Maus, eines Hundes oder einer Katze zu trinken. Doch auch bei Kuhmilch handelt es sich um die Muttermilch einer anderen Spezies – und der Mensch ist das einzige Säugetier, das artfremde Muttermilch trinkt. Dabei ist es weder aus kulinarischer noch aus ernährungsphysiologischer Sicht notwendig, zumal der Konsum von Milch und Milchprodukten sogar mit verschiedenen Erkrankungen in Verbindung gebracht wird. Sich für eine vegane Lebensweise zu entscheiden und dem immensen Tierleid eine Absage zu erteilen, bedeutet aber keinesfalls, den Kaffee nur noch schwarz zu trinken oder Sahne, Käse und Eis vom Speiseplan streichen zu müssen. Denn es gibt mittlerweile für nahezu jedes gewohnte Produkt eine große Bandbreite an tierfreundlichen Alternativen auf der Basis von Reis, Mandeln, Hafer, Soja, Lupinen oder Kokos.

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