Macht Milch dick und krank?

Am 1. Juni ist alljährlich Weltmilchtag, doch der Ruf der Milch litt in den vergangenen Jahren. Manche Vorurteile halten sich hartnäckig. Zu Recht?

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Weltmilchtag - Macht Milch dick und krank?

Jeder Österreicher verbraucht durchschnittlich 74,5 Liter Milch pro Jahr. Doch während für die einen Milch und Milchprodukte zu den Grundnahrungsmitteln zählen, gibt es mittlerweile auch Milchverweigerer.

Milch ist in Europa ein traditionelles Lebensmittel. Bereits bei den Sumerern, die vor mehr als 5.000 Jahren lebten, war Milch als Nahrungsmittel sehr beliebt. Doch in den vergangenen Jahren geriet sie in Verruf. Sie mache dick und krank, behaupteten die Gegner. Gleichzeitig stieg die Zahl der angebotenen Ersatzprodukte aus Soja, Hafer, Reis und Nüssen, zu denen nicht nur Veganer greifen.

Die sogenannte Ernährungspyramide veranschaulicht, aus welchen Bestandteilen unser Essen optimalerweise bestehen sollte. Die Grundlage bilden rund zwei Liter Wasser oder ungesüßte Tees pro Tag.

An Lebensmitteln sollten neben Gemüse, Obst und Kohlehydraten täglich auch drei Portionen Milch beziehungsweise Milchprodukte am Speiseplan stehen.

Die Experten des Gesundheitsministeriums empfehlen dabei zwei "weiße" Portionen wie Milch, Buttermilch oder Hüttenkäse und eine "gelbe", also Käse.

Ist es daher wirklich sinnvoll, Milch und Käse ganz vom Speiseplan zu streichen? Nein, sagt Jürgen König, Leiter des Instituts für Ernährungswissenschaften der Universität Wien. Im Gegenteil: "Die Österreicher essen im Schnitt zu wenige Milchprodukte. Dabei sind diese die wichtigsten Kalziumlieferanten."

Kalzium ist wichtig für den Aufbau der Knochen. Rund 60 Prozent davon nehmen wir aus der Milch auf. Allerdings macht Kalzium alleine noch keinen starken Knochenaufbau. "In Hinblick auf die Knochengesundheit nützt das Kalzium nur, wenn man zusätzlich für ausreichend Bewegung und körperliche Aktivität sorgt", sagt Sport-und Umweltmediziner Piero Lercher. Außerdem ist Vitamin D für eine optimale Kalziumaufnahme in unserem Körper notwendig. Dieses Vitamin kommt unter anderem in fettem Fisch vor, in der Haut wird es bei Sonneneinstrahlung gebildet. Das bedeutet wiederum: Nur wer nicht den ganzen Tag in der Wohnung und im Büro sitzt, sondern auch ins Freie geht, ist ausreichend versorgt.

Wichtige Nährstoffquelle

Milch ist reich an Energie- und Nährstoffen. Kuhmilch besteht zu 87 Prozent aus Wasser. Der Fettanteil von Vollmilch liegt bei rund 3,6 Prozent. Der Rest sind Milcheiweiß, Kohlehydrate und wichtige Vitamine und Nährstoffe wie eben Kalzium, Vitamin A und Vitamin B2. 100 Gramm Vollmilch haben allerdings 64 Kalorien. "Manche Milchprodukte haben einen relativ hohen Fettanteil", bestätigt Ernährungswissenschaftler König. Er empfiehlt daher, auf den Fettgehalt zu achten. So sollten alle, die auf ihre Figur achten müssen oder wollen, zu Magermilch zu greifen. Diese hat einen Fettanteil von rund einem Prozent und enthält im Vergleich zur Vollmilch nur etwa halb so viele Kalorien.

Allerdings gilt ohnehin: Wer sich ausreichend bewegt und abwechslungsreich ernährt, braucht sich um den Fettgehalt nicht zu kümmern.

Unterschiedlichste Studien

Im Laufe der vergangenen Jahre erschienen Studien mit unterschiedlichsten Ergebnissen. Während die einen zu dem Schluss kommen, Milch schütze vor Darmkrebs, behaupten andere, Milch begünstige Prostata- oder Eierstockkrebs. Und Milch ist nicht das einzige Lebensmittel, das die Wissenschaft entzweit. Denn so enthalten etwa die Ersatzprodukte aus Soja sogenannte Phytoöstrogene, die dem weiblichen Sexualhormon ähneln und im Verdacht stehen, Brustkrebs zu begünstigen.

Mittlerweile existieren von so gut wie jedem Produkt Studien über deren gesundheitlichen Vorteile und solche, die einen Zusammenhang mit Erkrankungen herstellen. Wie ist das möglich? "Solche Studien zu erstellen, ist sehr schwierig", erklärt König. Es wird eine Gruppe von Menschen genommen und ihr Ernährungsverhalten über einen gewissen Zeitraum beobachtet. Daraus werden dann die Schlüsse gezogen. Doch: "Es kann nie einen monokausalen Zusammenhang geben. Es kann also nie ein einziges Lebensmittel alleine verantwortlich sein, da natürlich andere Umwelteinflüsse ebenfalls eine Rolle spielen. Darauf weisen alle Wissenschaftler in ihren Studien auch hin."

Ob ein Mensch eine bestimmte Krankheit bekommt, hängt also nicht nur vom Konsum eines einzigen Lebensmittels ab. Eine viel größere Rolle spielt der Lebensstil. Dazu gehören neben einer abwechslungsreichen Ernährung aus frisch gekochten saisonalen, regionalen und wenig verarbeiteten Produkten etwa auch ausreichend Schlaf, genügend Bewegung und der Verzicht auf Zigaretten. Manchmal ist eine genetische Veranlagung Mitschuld für eine Erkrankung. So ist es wissenschaftlich auch nicht belegt, dass Milch, wie manchmal behauptet, Nierensteine verursacht. "Steinbildung erfolgt durch einseitige Ernährung, Harnstauung, Verengung der Fehlbildung der Nierenwege, Harnwegsinfektionen oder durch zu geringe Flüssigkeitsaufnahme“, erklärt Sportmediziner Piero Lercher. "Milchkonsum alleine ist nicht der böse Steinbildner."

Das Labor bringt Klarheit

Rund zehn Prozent der Österreicher sind laktoseintolerant. Konsumieren sie Milchprodukte, bekommen sie Bauchschmerzen und Durchfall. Je flüssiger ein Produkt, desto mehr Laktose enthält es. Butter, Hartkäse, Feta und Mozzarella enthalten hingegen ohnehin keine Laktose.

Diese Laktoseunverträglichkeit ist keine Allergie, sondern eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Verdauungsschwäche. Den Betroffenen fehlt das Enzym Laktase, das den Milchzucker im Darm aufspaltet.

Wer vermutet, an einer Laktoseintoleranz zu leiden, sollte zunächst zwei bis drei Wochen lang so wenig Laktose wie möglich zu sich nehmen. Wenn sich die Beschwerden in dieser Zeit nicht gebessert haben, liegt die Ursache dafür woanders, und Milch kann wieder getrunken werden.

Endgültig Klarheit bringt ein Atemtest in einem Speziallabor. Sollte dabei tatsächlich eine Laktoseintoleranz festgestellt werden, dann hilft der Umstieg auf laktosefreie Milchprodukte.

An einer echten Milcheiweißallergie, die auch bedrohlich werden kann, leiden hingegen nur ein bis drei Prozent der Österreicher.

Die Mischung macht’s

In der westlichen Welt haben viele Menschen Angst, sich falsch zu ernähren. Psychologen behandeln sogar bereits Menschen, die an Orthorexie, dem krankhaften Gesundessen, leiden. "Es gibt immer wieder verschiedene Wellen. War es vor einiger Zeit die Wellness-, ist es derzeit die Gesundheitswelle", sagt König. "Uns fehlt die Orientierung im Leben. Manche versuchen, diese über das korrekte Essen zu bekommen. Das führt allerdings manchmal zu extremen Auswüchsen."

Für König muss einfach "das Gesamternährungskonzept passen". Das grundlose Weglassen ganzer Produktgruppen gehört nicht dazu.

Gesund wäre es sicherlich, Essen etwas entspannter zu sehen und endlich wieder angstfrei zu genießen.

Dieser Artikel ist ursprünglich in der Printausgabe von News (Nr. 20/2017) erschienen.