Asylgipfel - Wohin
steuert Europa?

Spaltung oder Einigkeit? Der EU-Mini-Gipfel zum Thema Asyl sorgt bereits im Vorfeld für viel Diskussion.

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Migration - Asylgipfel - Wohin
steuert Europa?

Österreich will beim Konflikt um eine gemeinsame Migrationspolitik in der Europäischen Union eine Vermittlerrolle einnehmen. "Die ungelöste Migrationsfrage hat sehr viele Spannungen ausgelöst und zu unterschiedlichen Zugängen geführt. Wir wollen Brückenbauer sein", sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz am Sonntag vor einem Mini-Asylgipfel in Brüssel im Gespräch mit der APA.

Kurz plädiert einmal mehr für Fokus auf Außengrenzschutz und Frontex-Ausbau

Kurz hofft, dass bei dem Treffen von 16 EU-Staaten am Sonntag, beim EU-Ratsgipfel am Donnerstag und Freitag und dann unter Österreichs EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr vor allem die Gemeinsamkeiten in der Migrationspolitik herausgearbeitet werden und der Fokus auf diese gelegt wird. Der Bundeskanzler sieht darin vor allem die Stärkung eines funktionierenden Außengrenzschutzes und den Ausbau von Frontex mit erweitertem Mandat, um aktiv gegen Schlepper und auch in Drittstaaten vorgehen zu können. "Wenn das gelingt, wäre das ein gewaltiger Schritt in die richtige Richtung", so Kurz.

Es brauche hier eine "gemeinsame europäische Lösung, um sicherzustellen, dass es ein Europa ohne Grenzen nach innen gibt". Er selbst sei mit offenen Grenzen aufgewachsen. Europa dürfe diese "große Errungenschaft" nicht gefährden. Den Mini-Gipfel am Sonntag bezeichnete Kurz als "informelle Arbeitssitzung - es sollte daher keine zu hohen Erwartungshaltungen geben". Der dabei zu erwartende Austausch und Diskurs könne einer gemeinsamen Lösung aber nur dienlich sein. Beim EU-Gipfel am Ende der Woche könnte man dann in Sachen Beschlussfassung "einen Schritt weiter" kommen, erklärte Österreichs Bundeskanzler.

Kurz als Vorreiter

Positiv bewertet Kurz den Umstand, dass es bei der Migrationspolitik "immer mehr in die richtige Richtung" gehe. "Vieles was ich 2015 schon gesagt habe, ist heute verbreitete Meinung in vielen EU-Staaten."

Der Sondergipfel, zu dem EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker für Sonntag in Brüssel eingeladen hat, findet auf Wunsch der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel statt. Merkel, die zuhause unter immensem Druck ihres Koalitionspartners CSU steht, möchte den europäischen Partnern einen gemeinsamen Kurs in der Migrationspolitik abringen. Etlichen EU-Staaten ist Merkels Vorgehen in der Asylpolitik inzwischen zu zaghaft, sie fordern wesentlich striktere Maßnahmen gegen illegale Migration, eine Abschottung der EU-Außengrenzen und eine Abkehr von Merkels "Willkommenspolitik".

Vor allem die rechtspopulistische Regierung in Italien machte zuletzt lautstark Front gegen Merkels Pläne. Die Visegrad-Staaten Ungarn, Polen, Tschechien und die Slowakei boykottieren das Treffen überhaupt. Schafft Merkel bis zum Ende der Woche keine Einigung auf EU-Ebene, dann droht in Deutschland der endgültige Bruch mit dem Koalitionspartner CSU - mit unabsehbaren Folgen für ihre eigene politische Karriere und Kanzlerschaft.

SPÖ-Leichtfried: Orban und Kurz wollen Europa spalten

SPÖ-Europasprecher Jörg Leichtfried übt vor dem am Sonntag in Brüssel stattfindenden EU-Mini-Gipfel Kritik an ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz. "Kanzler Kurz stellt nur populistische Forderungen und trägt nicht zu einer wahren Lösung der Migrationsfrage bei. Er betreibt das Geschäft jener, die die Europäische Union zerstören wollen", so der SPÖ-Europasprecher laut Aussendung

Es seien die "Rechtspopulisten" rund um Ungarn rechtsnationalen Ministerpräsidenten Viktor Orban und Kurz, die Europa spalten wollten. An echten Lösungen - einem gemeinsamen europäischen Asylsystem, mehr Hilfe vor Ort, Stärkung des Außengrenzschutzes und Bekämpfung von Fluchtursachen - hat er kein Interesse", kritisierte Leichtfried.

Die Rollen in der europäischen Politik seien klar aufgeteilt: "Auf der einen Seite stehen die, die Europa wirklich schützen und weiterentwickeln wollen und für Migration und Asyl europäische Lösungen suchen". Das seien die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Premier Emmanuel Macron. "

Auf der anderen Seite stehen jene, die Europa gefährden und spalten, die auf europäische Werte genauso wie auf die gemeinsamen Regeln pfeifen - und da hat sich Kurz eingereiht. Wenn er sich auch nur einen kleinen persönlichen Vorteil verspricht, ist Kurz bereit, größten Schaden für Europa in Kauf zu nehmen." Das alles stehe in krassem Widerspruch zur Selbstbeschreibung von Kanzler Kurz, der sich selbst als "Brückenbauer" bezeichnet. "Kurz baut keine Brücken, sondern reißt einen Graben nach dem anderen auf", so Leichtfried.

Die Abwesenden

Ursprünglich hatte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nur acht Länder zu dem Sondergipfel zu Migration und Asyl in Brüssel eingeladen. Acht weitere setzten dann ihre Teilnahme durch, doch zwölf der 28 EU-Staaten kommen nicht zu dem für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) so wichtigen Treffen. Ein Überblick:

Die Osteuropäer

Die sogenannte Visegrad-Gruppe aus Polen, Ungarn, Tschechien und der Slowakei protestierte scharf gegen das Treffen vier Tage vor dem regulären EU-Gipfel. Die vier Staaten verfolgen eine harte Linie in der Flüchtlingspolitik und weigerten sich, eine Umverteilung von Flüchtlingen aus den Hauptankunftsländern Italien und Griechenland innerhalb der EU umzusetzen. Auch Rumänien ist bei dem Sondergipfel nicht vertreten. Es hatte 2015 gleichfalls gegen einen Mehrheitsbeschluss der EU-Innenminister zur Umverteilung von 120.000 Flüchtlingen gestimmt.

Baltische Staaten

Estland, Lettland und Litauen fahren zwar keine so harte Linie in der Flüchtlingspolitik wie die Visegrad-Länder, sind gegenüber der Umverteilung und Aufnahme aber auch skeptisch. Die Zahl der Asylbewerber in den weit von den Fluchtrouten entfernt liegenden Staaten war im vergangenen Jahr eher gering: Estland verzeichnete laut der Statistikbehörde Eurostat nur 180, Lettland 355 und Litauen 520.

Großbritannien und Irland

Beide Länder haben durch ihre Rand- und Insellage im Nordwesten Europas verhältnismäßig wenige Asylbewerber. Das Vereinigte Königreich, das im kommenden Jahr ohnehin aus der EU austritt, hat zudem bilaterale Abkommen mit Frankreich geschlossen, um die Weiterreise von Flüchtlingen über den Ärmelkanal und durch den Eurotunnel zu verhindern. Im Januar sagte London dafür Paris weitere 50 Millionen Euro zu.

Zypern und Portugal

Als südeuropäische Staaten könnten beide Länder im Prinzip Ziel von Flüchtlingen auf der Seeroute sein. Bisher ist dies aber kaum der Fall, die Fluchtwege konzentrieren sich auf Italien, Griechenland und Spanien. In Zypern kamen in diesem Jahr laut UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR 73 Flüchtlinge an, das viel größere Portugal verzeichnete seinerseits 2017 lediglich 1015 Asylbewerber.

Merkel dämpft Erwartung vor EU-Gipfel

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hat vor dem EU-Asylgipfel in Brüssel die Erwartung auf eine EU-weite Lösung gedämpft. "Wir wissen, dass wir auf dem Europäischen Rat leider noch keine Gesamtlösungen bekommen werden", sagte Merkel am Sonntag in Brüssel. Das Treffen heute diene nur einer ersten Beratung, sei aber für bi- und trilaterale Absprachen unter den Staaten in den nächsten Tagen wichtig.

Laut Merkel geht es am Sonntag bei dem Gipfel von 16 EU-Staaten sowohl um die Primärmigration von Flüchtlingen, die an Europas Außengrenze ankommen, als auch um die Sekundärmigration von Flüchtlingen innerhalb der EU. Der EU-Außengrenzschutz werde ein großer Teil der Beratungen sein. Merkel dankte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker für die "offene Einladung" an alle EU-Staaten, die von Problemen der Migration betroffen seien.

Setzt auf bilaterale Deals

Merkel betonte, es gehe auch um bi- und trilaterale Absprachen. Man könne nicht immer auf alle 28 EU-Staaten warten. Einen Modus vivendi zu finden, stehe im Mittelpunkt. Das Treffen heute sei nur eine "Arbeits- und Beratungssitzung" und "ein erster Austausch". Es sei aber wichtig, um in den nächsten Tagen bi- und trilaterale Absprachen mit den EU-Staaten zu finden.

Merkel steht unter immensem Druck der CSU, die Asylbewerber, die bereits in einem anderen Land registriert sind, an der Grenze abweisen will.

Der neue spanische Ministerpräsident Pedro Sanchez betonte, sein Land werde die Verpflichtungen im Migrationsbereich erfüllen. Nicht nur gegenüber den anderen EU-Ländern, sondern vor allem auch in Bezug auf Menschenrechte. Spanien wolle auch eine gemeinsame Antwort auf die globalen Herausforderungen der Migrationsströme die nun vorwiegend aus dem westlichen Mittelmeer kommen. Deshalb habe er um Unterstützung der anderen Staaten gebeten, um die Fluchtrouten besser zu kontrollieren.

Juncker zunächst schweigsam

Ungewöhnlich war der Nicht-Auftritt von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker vor dem von ihm einberufenen Arbeitstreffen mit 16 Staats- und Regierungschefs zur Migration in Brüssel Sonntagnachmittag. Hatten so ziemlich alle Länderchefs vor Beginn des Arbeitstreffens Stellungnahmen abgegeben, war dies bei Juncker nicht der Fall.

Dazu kam, dass der im Berlaymont-Gebäude stattfindende Mini-Gipfel auf den EU-Gipfel kommendes Wochenende nicht mit Übersetzungen dienen konnte. So sprach der bulgarische Ratsvorsitzende Premier Boyko Borissow nur in seiner Landessprache, ebenso der slowenische Regierungschef Miro Cerar sowie weitere Regierungschefs.

Juncker hatte bereits im Vorfeld erklärt, er wolle keinen Kommentar nach dem Treffen abgeben. Im Gegensatz zu EU-Gipfeln wird es keine Pressekonferenz geben. Das Treffen mit 16 der 28 EU-Staaten begann schließlich um 15.38 Uhr.

Italien will mit Zehn-Punkte-Programm Dubliner Abkommen überwinden

Mit dem Vorschlag namens "European Multilevel Strategy for Migration" hat Italien den EU-Partnern in Brüssel ein Zehn-Punkte-Programm zur Bewältigung des Migrationsstreits vorgelegt. Damit will Italien einen radikalen Wandel in der Asylpolitik forcieren. Hier die Punkte des Programms:

  1. Abkommen mit Afrika: Italien drängt die EU zu engeren Beziehungen zu den Herkunftsländer der Migranten oder Transitländer. Dabei sollen vor allem Kooperationsprojekte mit Libyen und dem Niger gefördert werden, mit dessen Hilfe 2018 die Zahl der Migrantenabfahrten in Richtung Europa um 80 Prozent reduziert werden konnten.
  2. Zentren zum internationalen Migrantenschutz in Transitländern: Die italienische Regierung drängt auf Flüchtlingseinrichtungen im Niger und in Libyen für die Erstaufnahme der Migranten. Jene, denen kein Asyl zugestanden wird, sollen zurückgeführt werden. Daher solle die EU mit dem Flüchtlingswerk UNHCR und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) an Programmen für die Rückführung von Migranten arbeiten. Migranten, die trotzdem illegal in Europa eintreffen, sollen auf mehr EU-Länder verteilt werden.
  3. Stärkung der EU-Außengrenzen: Italien unterstützt bereits die EU-Missionen EunavforMed, Sophia und Themis. Das Land fördert hinzu die libysche Küstenwache. Diese Initiativen sollten gestärkt werden.
  4. Überwindung des Dubliner Asylabkommens: Nur sieben Prozent der Migranten, die in Europa eintreffen, sind Flüchtlinge. Das europäische Asylrecht basiere auf ein Paradoxon: Das Asylrecht werde nur Personen gewährt, die Europa erreichen, unabhängig davon, welchen Preis sie dafür zahlen müssen.
  5. Überwindung des Kriteriums des Landes erster Ankunft: Wer in Italien landet, erreicht Europa. Alle Länder müssen Verantwortung für die Flüchtlingsproblematik übernehmen.
  6. Gemeinsame Verantwortung: Italien fordert "gemeinsame Verantwortung" aller EU-Mittelmeerländer bei der Aufnahme von Migranten. Die Pflicht der Rettung und Aufnahme könne nicht allein auf dem ersten EU-Land lasten, in dem die Migranten eintreffen.
  7. Kampf gegen Menschenhandel: Die EU muss mit entschlossenen Initiativen den Menschenhandel bekämpfen. Der Kampf gegen Schlepperei und internationale Menschenhändler dürfe nicht nur von einzelnen Staaten allein geführt werden.
  8. Hotspots in mehreren EU-Ländern: Nicht alle Migranten können nach Italien oder Spanien gebracht werden. Die italienische Regierung drängt auf die Einrichtung von Hotspots in mehreren EU-Ländern, um Probleme mit der öffentlichen Sicherheit und Überbevölkerung in den Flüchtlingslagern Italiens zu vermeiden.
  9. Innereuropäische Umverteilung: Mit der Umsetzung der Zehn-Punkte-Plans könne die innereuropäische Umverteilung auf ein Minimum reduziert werden.
  10. Jeder EU-Staat legt Einwanderungsquoten für Wirtschaftsmigranten fest. Ländern, die Flüchtlingen nicht aufnehmen wollen, sollen EU-Finanzierungsgelder gekürzt werden.

Kommentare

Mailyn P.
Mailyn P. melden

Sehr gut, dass nach der Balkanroute nun auch der Druck auf die Mittelmeerroute immer stärker zunimmt. Die vor der libyschen Küste kreuzenden NGO-Boote, die nur zur Flucht einladen und zu immer grösseren Flüchtlingsströmen aus der Mitte des afrikanischen Kontinents führen, werden hoffentlich bald vollständig verschwinden.

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Sadismus ist was für "besonders hart Gesottene".

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