Zwei Gesichter des Austropop

Das Duett „Gitti“ mussten Marianne Mendt und Voodoo Jürgens noch üben. Die österreichischen Dialektpop-Stars standen am 21. Juni damit beim „Best of Austria“-Konzert auf der Bühne der Wiener Stadthalle. News war beim ersten Treffen der beiden und erlebte, wie bei dieser Gelegenheit alte Missverständnisse ausgeräumt wurden

von Menschen - Zwei Gesichter des Austropop © Bild: Michael Mazohl

Sie macht aus ihrem Herzen keine Mördergrube. „Was ist denn das für eine Respektlosigkeit!“ So Marianne Mendts Reaktion, als sie zum ersten Mal von Österreichs neuem Stern am Dialektpop-Himmel hörte: Voodoo Jürgens nämlich, der sich bewusst nach der vor drei Jahren verstorbenen Lichtgestalt des heimischen Musikschaffens benannte. Die im 73. Lebensjahr angekommene, ewig junge Mendt sagte es mit dem inbrünstigen Unterton, der andeutet, das sie Respektlosigkeit durchaus mit einer Watsch’n ahnden könnte.

Die Berufungsleidenschaft der Sängerin, der Gerhard Bronner, André Heller oder Georg Danzer Lieder auf den Leib schrieben, ist seit fünf Jahrzehnten ungebrochen. Mit Bronners „Wie a Glock’n …“ eröffnete sie 1970 den Austropop. In dieser Funktion – nur einer ihrer vielen – soll sie zum 60-Jahre-Jubiläumskonzert der Wiener Stadthalle mit Voodoo Jürgens ein ­Duett singen. Zum Glück ist Marianne Mendt nicht nur resolut, sondern auch erfrischend neugierig. „Na, dann hab ich mir das halt angehört, was er macht. Und ich muss sagen, ich find das gut“, sagt sie und freut sich auf den gemeinsamen Auftritt beim „Best of Austria meets Classic“-Konzert am 21. Juni.

Neben zahlreichen Vertretern heimischen Popschaffens – von Ambros bis Wanda – werden sie gemeinsam Voodoo Jürgens’ Hit „Gitti“ singen und auch einzeln auftreten: Voodoo Jürgens mit „Heite grob ma Tote aus“, Marianne Mendt mit „Wie a Glock’n“ und Georg Danzers „Bleib do“. „Aber das mit dem Namen musst du mir noch erklären“, wendet sie sich an den „respektlosen“ Voodoo, der eigentlich ­David Öllerer heißt. Der lacht verständnisvoll. Das hat er schon oft gehört.

Oberflächlich betrachtet scheint es wenig zu geben, das die kultivierte Blonde und der für seinen markanten Siebzigerjahre-Kleidungsstil bekannte Vokuhila-Fan gemeinsam haben könnten. Fast vier Jahrzehnte trennen die beiden, die es sich nun auf der Couch in Mendts Jazzwerkstatt im achten Wiener Gemeindebezirk gemütlich gemacht haben. Mendt begann ihre Karriere in den Sechzigerjahren, tingelte als Bassistin und Sängerin der Tanzband „The Internationals“ durch Europa, ehe Gerhard Bronner sie als Solistin entdeckte. Voodoo Jürgens’ Musikerleben begann Mitte der 2000er-Jahre in der Garagenrockband The Eternias. 2016 erreichte er als Solokünstler mit dem Album „Ansa Woar“ Spitzenplätze in heimischen und deutschen Charts. Im News-Gespräch wird schnell klar, dass es vieles gibt, in dem sich die beiden Erfolgsträger heimischer Dialektpopmusik einig sind.

Mut musst du haben

Die vermeintliche Respektlosigkeit ist schnell aufgeklärt: Voodoo suchte sich den Namen lange vor Udos Tod aus – der Künstlername resultiert aus der routinemäßigen Verballhornung von Prominentennamen, die seine Ex-Band bei jedem neuem Album trieb. „Den makaberen Beigeschmack bekam der Name erst nach Udos Tod, und mir ist das überhaupt erst aufgefallen, als ich Flyer drucken war im Copyshop und dort jemand gesagt hat: ,Pfoah, makaber!‘“, erzählt Voodoo Jürgens. Die Mendt erinnert er ein bissel an den jungen Helge Schneider. „Bist du auch so gut?“, fragt sie. Nein, da könne er nicht mithalten, antwortet Voodoo selbstkritisch und spontan. Es scheint, als habe der Höhenflug der vergangenen eineinhalb Jahre keine Spuren bei dem 34-jährigen Tullner hinterlassen. Nach einer abgebrochenen Konditorlehre, zehn überschaubar erfolgreichen Jahren mit seiner Ex-Band und einem Job als Friedhofsgärtner wurde er nicht größenwahnsinnig, als die deutsch Musikbibel „Musikexpress“ als „Austro-Pop-Hype der Stunde“ feierte. „Ich schätze, was gerade ist, und tue Dinge, damit es so weitergeht, aber es gibt so viel, das ich nicht beeinflussen kann. Es kann immer etwas passieren“, bleibt Voodoo zweckpessimistisch. „Ich weiß auch, wie man mit sehr wenig Geld auskommt. Andererseits gibt es Leute mit viel Geld, die sich auch fürchten“, beschreibt er seine Wertewelt. Die Musik bleibt im Vordergrund, und darin erzählt er traurig und düster, aber liebevoll von den Rändern der Gesellschaft.

Auch Mendt bestätigt, nie ein Sicherheitsdenken gekannt zu haben. Als Sängerin und Alleinerzieherin einer Tochter habe sie stets darauf vertraut, dass der Beruf sie auch wirtschaftlich tragen werde. „Mut musst du natürlich haben in diesem Beruf, sonst brauchst du gar nicht anfangen“, sagt sie und erzählt von den ungläubigen Kommentaren, als sie mit 59 Jahren die MM Musikwerkstatt samt jährlichem Jazzfestival gründete. Gleichaltrige gehen in dem Alter in Pension, sie verwirklichte den Traum, junge Jazzmusiker zu unterstützen. Nach 14 erfolgreichen Jahren zählt sie nebst anderen Ina Regen zu ihren Entdeckungen. „Das geht mir irrsinnig auf die Nerven, wenn Leute über ihr Alter jammern. Das Alter kann ich nicht ändern, aber es hindert mich auch nicht, etwas zu tun. Wichtig ist, dass man was tut, das einen erfüllt.“

© Michael Mazohl „Das Jammern über das Alter geht mir irrsinnig auf die Nerven. Ich mach weiter, bis ich umfall“ Marianne Mendt geht anders durchs Leben als so manche Gleichaltrige

Es ist hart, aber kein Kampf

In den Siebzigerjahren war Marianne Mendt zehn Jahre lang die einzige Frau in der österreichischen Popmusik. Erst in den Achtzigern folgten ihr „die großartige Steffi Werger und die wunderbare Maria Bill“. „Wenn es schwierig war, habe ich es vergessen“, sagt Mendt über die Zeit. Und setzt nach: „Natürlich begegnet man auch Arschlöchern, aber mit denen muss man ja nicht reden.“ Gut kann sie sich daran erinnern, wie sie damals in der Heimat für ihren Dialektpop angefeindet wurde. Von Zürich bis Hamburg feierte man die in Wiener Mundart singende Blondine. Daheim fand man das, was sie machte, ordinär. „Das Wienerlied haben die Leute geliebt. Aber für meine Art, zu singen, haben sie mich beschimpft“, sagt sie. Damals machte sie einfach weiter. „Selbstbewusstsein habe ich ja zum Glück, und mein Handwerk habe ich auch gelernt. Ob man mich hören will, ist eine Sache, aber was ich kann, spricht mir niemand ab.“ Als Einzelkämpferin hat sie sich dennoch nie empfunden. Zu groß war immer die Freude darüber, mit dem, was sie am liebsten tut, ihr Leben bestreiten zu dürfen. „Und ich mach weiter. Aber hallo! Bis ich umfall“, sagt sie so inbrünstig, dass niemand je daran zweifeln würde.

Im Dialektpop hatte es Voodoo Jürgens nicht derart schwer. Im Gegenteil schien er ein lange ungestilltes Bedürfnis erfüllt zu haben. Dafür galt es davor, Durststrecken zu bewältigen. „Das Ende meiner Band war hart hinzunehmen. Am Anfang haben wir immer wieder Erfolgsaussichten gehabt, aber irgendwann war damit Schluss. Wir konnten alle nicht davon leben, dann ist der Erste nicht mehr aufgetaucht, und alles ist auseinandergefallen. Das hat mich runtergehaut. Das war wie eine Trennung“, erzählt Voodoo Jürgens. Er machte allein weiter bis zum denkwürdigen Tag, an dem eine Freundin ihm anbot, ihre Ausstellungseröffnung am Nordbahngelände live zu begleiten. Er hatte sich damals in seinen ersten Dialekttexten gefunden und spürte, dass der Weg stimmte. Die ersten Angebote trafen ein.

Als Einzelkämpfer sieht auch er sich nicht. Da seien immer Freunde gewesen, und ein Kampf, nein, ein Kampf war das nicht.

No politics

Voodoo Jürgens kannte Marianne Mendt zuerst als Schauspielerin, als authentische Gitti Schimek im „Kaisermühlen Blues“. „Ab der ersten Folge. Das hat die Mama immer geschaut.“ Der Austropop und seine Protagonisten waren einfach uncool, als er musikalisch sozialisiert wurde. Das Werk der Wegbereiter erkundete er erst spät, doch mit Freude: Im Herbst geht er mit Liedern von Ludwig Hirsch auf Tour. Abzuschauen gibt es da nichts, und auch Mendt betont, jeder müsse seinen Weg selbst finden.

Dann fallen ihr doch ein paar Ratschläge ein: „Dass man sich nicht mit Arschlöchern aufhält, dass man am Boden bleibt, dass man Realist bleibt, dass man sich nichts vormacht, dass man gut ist und Qualität liefert. Qualität ist das Wichtigste“, betont sie. Politische Meinungsmache im musikalischen Bereich finden dagegen beide schwierig. Voodoo Jürgens ist es einerseits wichtig, dass man weiß, wofür er steht. Andererseits schrecke es Leute ab, wenn man ihnen mit dem erhobenen Zeigefinger komme, meint er. „Ich will nicht so tun, als wüsste ich, wie es geht. Das liegt mir nicht.“

Und Marianne Mendt wird noch deutlicher: „Ihr werdet mich jetzt hauen, aber Musik, die in vergangenen Jahrzehnten politisch so bedeutsam war – eine Joan Baez oder so –, hat nichts verändert. In den Köpfen kannst du nur etwas verändern, wenn du dich im Freundeskreis engagierst oder beim Nachbarn. Dort kann jeder etwas bewegen.“ Voodoo Jürgens nickt. Auch da sind sie sich einig.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Printausgabe 24 2018