Ein stiller Weg zum Star

Seit zwei Jahrzehnten zählt sie zu Hollywoods Kassenmagneten. Dabei begann die Karriere von Sandra Bullock mit einem Award, den keiner will. Heute ist sie mit zwei Kindern, neuer Liebe und einem Blockbuster glücklicher denn je.

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Menschen - Ein stiller Weg zum Star

Der strahlende Glanz eines Oscar-Gewinns und der bittere Beigeschmack der Auszeichnung mit der Goldenen Himbeere. Zwischen diesen Extremen ist Sandra Bullock beruflich seit über 20 Jahren unterwegs. Häufig wie kaum eine andere in Hollywood wurde sie geehrt und böse abgekanzelt. Sogar Rekordhalterin ist sie: In ein und demselben Jahr – 2010 – gewann sie den Oscar als beste Darstellerin für „Blind Side – Die große Chance“ und die Goldene Himbeere in der Königskategorie „schlechteste Schauspielerin“ für „Verrückt nach Steve“.

Das Versprechen, auch den Grusel-Award persönlich entgegenzunehmen, hielt sie. „Ich muss das genauso genießen, wie einen Oscar zu gewinnen. Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich unser Geschäft“, sagte sie damals und bewies damit abermals den atypischen Gleichmut, mit dem sie die Achterbahnen der Traumfabrik absolviert. Viel Glück habe sie gehabt, sagte die Gagenqueen jüngst über ihre Erfolge im „Berliner Kurier“. „Man kann nichts fest einplanen. Denn darüber lacht Gott und wirft dir alles über den Haufen. Man kann nur an sich arbeiten und herausfinden, wer man wirklich ist“, erklärt sie ihre Lebens­einstellung. Zumindest beruflich ist die 53-Jährige auf klare Rollen festgelegt: die der wagemutigen Actionheldin und die der romantischen Komödiendarstellerin. Es war Adrenalinstarkes wie „Speed“ (1994) und Humoriges wie „Miss Undercover“ (2000), mit dem Sandra Bullock ihre Karriere begründete. Ihr jüngstes Werk sollte folgerichtig der einschlägig größte Coup sein: In der Kriminalkomödie „Ocean’s 8“ kann Sandra Bullock gleich beide Genres bedienen.

Von der Liebe geprüft

Der Star, der zu Hollywoods Bestverdienerinnen gehört und dessen berufliche Biografie für drei Karrieren reichen würde, lebt ein beschauliches Leben abseits des Rampenlichts. Mit zwei Adoptivkindern – dem achtjährigen Louis und der fünfjährigen Laila – lebt sie vor allem in New Orleans, der Heimatstadt ihres Sohnes, und hin und wieder in Beverly Hills. In der Gesellschaftspresse findet man sie selten. Zuletzt erzeugten ihre sechsmonatige Beziehung mit Kollege Ryan Gosling anno 2002 und ihre gescheiterte Ehe mit Jesse James 2010 Schlagzeilen. Unangenehm war das: Der Moderator der TV-Show „Monster Garage“ hatte sie gleich mehrfach betrogen, kurz nachdem das Paar den Säugling Louis aus New Orleans adoptiert hatte.

Die traumatische Erfahrung lehrte sie, sich von der Öffentlichkeit fernzuhalten, wie sie nun – Jahre später – der „Sunday Times“ gestand. „Ich hatte ein neugeborenes Kind, das zu mir aufschaute. Ich war darauf bedacht, dass es meine Trauer nicht erleben musste. Ich konnte sehen, dass es das gefühlt hat, aber ich durfte nicht zusammenbrechen. Wenn du ein Kind adoptierst, dann wird es zuerst nur unter­gebracht. Sie können es dir immer noch wegnehmen“, erinnert sich Bullock an die Zeit als junge Mutter nach der Scheidung. Sechs Monate lang musste sie sich bewähren. Zu beweisen waren Qualitäten als ­Alleinerzieherin und dass sie ihr Kind vor Presseattacken schützen könne. „Ich hätte mir nie verziehen, wenn ich Louis wegen meines Berufs verloren hätte.“

In dieser Krise habe ihr Sohn ihr gezeigt, zu wie viel Liebe sie fähig war, blickt die Schauspielerin nun im Interview („Tz“) auf die schwere Zeit zurück. Und dass sie sich nie als Opfer gefühlt habe, will sie festgehalten haben. Die entsprechende Ausstattung gab ihr Mutter Helga mit, eine Opernsängerin aus Deutschland, die einen Gesangslehrer aus Alabama, USA, geheiratet hatte. „Da stehe ich drüber, das hat sie mir beigebracht, denn mit Ärger und Rachegefühlen tut man nur sich selbst weh“, kommentiert sie die Krise lebensklug.

Mamas Lebensmotto

Von der Mutter hat Sandra Bullock auch ihre selbstbewusste Einstellung zu Gleichberechtigung und Unabhängigkeit. Keinen Mann zu brauchen und sich selbst alles zu erarbeiten, gehörten zu den Lebenslehren. Es war Helga Bullocks Engagement in Nürnberg, um dessentwillen der spätere Superstar bis zum zwölften Lebensjahr in Deutschland aufwuchs. Die Mutter verstarb 2000 und ist dennoch präsent – in großen wie in kleinen Dingen. Als etwas, das sie niemals hergeben würde, benannte Sandra Bullock gegenüber „Instyle“ kürzlich „Mamas lila-schwarzen Seidenschal mit Leopardenmuster, ihre schwarz-weiße Lederhose und ihr selbstgenähtes Hochzeitskleid“. „Ihr Stilgefühl war bewundernswert“, schwärmt sie. Der bodenständige elterliche Wertekanon ist auch darüber hinaus zu spüren: Als ihre drei wichtigsten Besitztümer bezeichnet sie „meine Erinnerungen, meine speziellen Momente und meine Freude“. Nachts frage sie sich oft, ob sie eine gute Mutter sei. Und wenn sie namhaft machen soll, was sie unbedingt noch erleben möchte, inmitten der privilegierten Existenz eines Superstars? Alt werden und die Kinder aufwachsen ­sehen.

Glücklich ist sie erst jetzt

Die Karriere der Frau, die seit zwei Jahrzehnten ihren Fixplatz als „Everybody’s Darling“ verteidigt, ging nicht über Nacht durch die Decke. Bullock war 22, als sie, von einer deutschen Rudolf-Steiner-Schule und dann amerikanischen Highschools auf das Leben vorbereitet, ein Schauspiel­studium abbrach, um in New York Berufs­erfahrung zu sammeln. Sie nahm beim Genre-Guru Sanford Meisner Unterricht und hielt sich als Kellnerin, Reinigungskraft, Discotänzerin und Hundefriseurin über Wasser.

Nebenrollen überantwortete man ihr erst drei Jahre später, nach einem weiteren Umzug, in Los Angeles. Für eine der ersten – „Demolition Man“ mit Sylvester Stallone und Wesley Snipes, 1993 – bekam sie gleich die Goldene Himbeere als schlechteste Nebendarstellerin. Der Film half dennoch, ihre Bekanntheit in der Branche zu steigern, und ein Jahr später war die Durststrecke Geschichte. Sandra Bullock drehte „Speed“ (1994) mit Keanu Reeves und ­begann ihren Aufstieg zur Gagenqueen. ­Damals war sie 30 Jahre alt.

Glücklich war sie zu dieser Zeit nicht, wie sie kürzlich der „Tz“ verriet. All die ­Erwartungshaltungen – wie man auszu­sehen, wie man zu handeln habe – seien schwere Lasten gewesen und haben am Selbstwertgefühl genagt, sagt sie. Erst mit den Jahren seien diese Lasten und die mit ihnen verbundenen Selbstzweifel abgefallen. Heute gönnt sich Sandra Bullock die Freiheit, Auszeiten vom Beruf zu nehmen und gewonnene Tage mit ihren Kindern zu genießen. Die beiden wachsen zweisprachig auf, denn die Mutter bringt ihnen auch Deutsch bei. „Das hat den Vorteil, dass man sich in der Öffentlichkeit unterhalten kann, ohne dass die Leute einen verstehen.“

Ihr wichtigstes Jahr war zweifellos 2015. Damals traten ihr noch aktueller Lebensgefährte, der Fotograf Bryan Randall, und Adoptivtochter Laila in ihr Leben. Mit ihr ist die Familie komplett und vollkommen geworden. Das Entscheidende: die Kinder nie als Adoptivkinder zu bezeichnen. „Es geht doch nicht darum, was mein Körper kann oder nicht kann, solange es Kinder gibt, die verlassen oder misshandelt wurden“, wird sie im aktuellen „In­style“-Interview emotional. „Nennt sie meine Kinder, nicht Adoptivkinder. Es sagt doch auch niemand ,meine In-vitro-Kinder‘.“

Die Erziehung teilt sie mit dem Lebensgefährten, den sie ohne Umstände als Nummer eins für die Kinder bezeichnet: „Ich bin nur Nummer zwei, aber ich verstehe das: Er ist witziger und hat die besseren Überraschungen.“

Sie kann das sagen, denn sie weiß, dass man auch mit Goldenen Himbeeren im ­Regal einen Oscar abräumen kann.

Dieses Artikel erschien ursprünglich in der Printausgabe 25 2018