Eine Reise
namens Conchita

Vor sieben Jahren erfand Tom Neuwirth eine Diva mit Bart. Das neue Album mit Orchesterballaden passt gut zu dieser Conchita. Doch zuletzt hat sie sich stark verändert: Aus der Diva wurde ein modischer Mann. Kann Neuwirth Conchita nun gehen lassen?

von
Menschen - Eine Reise
namens Conchita

Ein Werk, wie es unbedingt ins Divenrepertoire gehört: Balladen von Weltformat, eingesungen mit großem Orchester. In diesem Fall sind es die Wiener Symphoniker, dirigiert von Guido Mancusi, die Conchitas Stimme durch Liedgut tragen, das Hildegard Knef („Für mich soll’s rote Rosen regnen“), Barbra Streisand („The Way We Were“) oder Shirley Bassey („Moonraker“) für die Ewigkeit geprägt haben. „Ein Meilenstein, ein Privileg und mein absolutes Wunschalbum“, sagt Tom Neuwirth aka Conchita über die neue CD „From Vienna With Love“. Sie ist als Folge der Zusammenarbeit mit den Symphonikern bei der Festwocheneröffnung 2017 entstanden und rang dem Sänger neben Respekt vor der Arbeit mit den Musikern auch spannende Lerneinheiten ab. „Es war viel mehr als nur etwas einsingen“, erzählt er. „Es war auch dazu da, zu lernen und zu verstehen.“ Auch zu verstehen, dass Songschreiben Herausforderung sein kann und die eigenen Melodien „manchmal ein bissel bochn“ sind. Die Selbstkritik kommt entwaffnend offen. Gemeinsam mit Steve Anderson hat Neuwirth nach vielen Songwriting-Camps die Komposition „Have I Ever Been In Love“ vollbracht, die sich auch auf der CD findet. „Dabei hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, bei dieser Art von Musik kenne ich mich aus. Das kann ich. Das dramatischste Lied, das ich je gemacht habe.“ Natürlich eine Große-Gesten-Ballade.

Der Mann, der vor sieben Jahren die bärtige Divenkunstfigur Conchita erfunden hat und vom Faible für vertonte Gefühle erzählt, sieht dabei gar nicht mehr aus wie die glamouröse Figur, die mit der Über-Ballade „Rise Like a Phoenix“ den Song Contest-Sieg 2914 nach Österreich geholt hat. Die zur Taille reichende Lockenhaarpracht ist einem schulterlangen Look mit Stirnfransen gewichen. Statt großen Abendroben trägt Conchita nun lieber Hosen, wenn auch gern aus Glitzerstoffen. Zudem sagte Neuwirth kürzlich in einem Interview, Conchita solle künftig als Mann wahrgenommen werden.

Mission erfüllt

Beim Gespräch im Wiener Innenstadthotel Bristol trägt er eine schwarze Hose und ein ebensolches, weit geschnittenes Hemd. Das Makeup scheint auf Wimperntusche beschränkt zu sein. Blickt man heute auf Conchita, sieht man eher einen attraktiven Mann mit lebhaftem Faible für Mode als eine Diva. „Ich muss Conchita töten“, sagte ihr Erfinder Tom Neuwirth vor rund eineinhalb Jahren. Ist es nun soweit?

Die Diva mit Bart hat er einst erfunden, um im Kampf gegen Diskrimierung Menschen zum Nachdenken über sexuelle Orientierung und das Anderssein anzuregen. Gleichzeitig betrachtet er die Kunstfigur heute als wichtigen Schritt in der Persönlichkeitsfindung. „Ich bin in einer Umgebung aufgewachsen, in der mir ständig gesagt wurde: ,Geh nicht so weiblich, du bist kein Mädchen!‘ Dann war da die Angst, ob ich als Mann in der Gesellschaft akzeptiert werde, wenn ich das alles falsch mache. Ich habe daraufhin meine Weiblichkeit in einem Maß ausgelebt, wie es die wenigsten können, und dabei unglaublich viel über mich gelernt“, reflektiert er im Gespräch. Eine Erkenntnis war, dass dem Künstler die eigene Genderkategorisierung wichtiger ist, als er selbst gedacht hat. Sein neues Aussehen machte ihm das deutlich. „Diese Entwicklung hat einen ­total narzisstischen Hintergrund“, erklärt er. Nach dem Song-Contest-Sieg habe sich das ungesunde Essen auf Tour zu sehr auf die Rippen geschlagen. Daraufhin wurde ein Trainer engagiert, der den Körper nicht nur in Form gebracht, sondern auch in Richtung Funktionalität optimiert hat. Mit dem Training kam eine neue Art des sich Spürens. „Sport hat viel für meine Stimme und Ausdauer getan, aber ich sehe jetzt auch einen anderen Menschen im Spiegel. Plötzlich habe ich den Mann in mir gesehen. Und schon habe ich mich wieder in der Schublade ertappt und von vorne begonnen, zu hinterfragen“, sagt der Künstler.

Am Ende stand die Erkenntnis, dass es eben kein Schwarz und Weiß gibt, und dass man lernen muss, sich zu lieben, auch wenn es ein anstrengender Weg dorthin ist. „Ich habe verstanden, dass ich keine Chance habe, außer zu sein, wie ich bin. Es ist, wie es ist. Ich habe Dinge ausgelebt, und jetzt kann ich einen Teil davon wieder weglassen, aber gewisse Dinge muss man akzeptieren und feiern. Und ich feiere mich heute, wie ich es noch nie getan habe“, erklärt er.

Ist Conchita als Kunstfigur damit nicht überflüssig geworden? „Ich habe keine Ahnung. Es gibt keinen Plan. Ich weiß nicht, wie ich in einem halben Jahr ausschaue“, sagt der schwarzgekleidete Mann, dem man sich gar nicht mehr in der goldenen Song-Contest-Robe vorstellen kann. Er habe schon verstanden, dass Menschen in der Figur der Conchita etwas sehen, das ihnen viel gibt. Da käme schon schlechtes Gewissen ins Spiel, ihnen das wegzunehmen: „Dieser Name und alles, was rund um Conchita passiert ist, bedeutet vielen Menschen etwas. Das habe ich zu akzeptieren.“

Conchitas Vermächtnis

Der Sänger spricht damit alles an, was Conchita abseits der Musik ausmacht, denn sie erreichte viel mehr als Platin für ihr selbstbetiteltes Debütalbum und die Song-Contest-Single, vier Amadeus-­Awards oder eine Romy für den „TV-Moment des Jahres“. Conchita ist auf Laufstegen wie dem von Jean-Paul Gaultier genauso zu Hause wie als Gaststar vor dem EU-Parlament oder der Oper in Sydney. Die PR-Gilde verlieh ihr den Titel „Kommunikator des Jahres“. Weltweit gilt sie als Vorreiterin im Kampf gegen Diskriminierung und wurde vor allem für die LGBTI-Gemeinschaft zur wichtigen Inspiration und Botschafterin. Sollte die Kunstfigur begraben werden, würde der Mann, der einst Conchita war, vermutlich nicht so viel Aufmerksamkeit bekommen. „Ja“, sagt er, „ aber ich weiß nicht, ob ich ein Pro­blem damit hätte. Früher wollte ich berühmt werden. Heute weiß ich, dass das wenig Wert hat. Jetzt will ich tun, was mich ausfüllt. Mir wäre lieber, wenn meine Arbeit meine Persönlichkeit überstrahlt, denn es ist nicht so leiwand, wenn einen jeder kennt.“

Die Fallhöhe, die nunmehr doch ziemlich beachtlich ist, macht dem Star dabei „nicht mehr so viel Angst wie am Anfang“. Er hat verstanden, dass es nicht darum geht, reich und berühmt zu sein. „Ich werde immer etwas finden, das mich glücklich macht, eine Bühne, wo ich ausleben kann, was in mir steckt. Wenn etwas beim Publikum nicht ankommt, ist das auch die Wahrheit, dann probieren wir es eben noch einmal“, sagt der Sänger. Dem öffentlichen Druck nicht nachzugeben, hat er gelernt. Das sei seine wichtigste Erfahrung aus sieben Jahren Conchita. „Ich habe verstanden, dass ich nicht der Öffentlichkeit gehöre und niemandem eine Erklärung schuldig bin. Dieses Selbstbewusstsein habe ich gelernt.“

Es werde noch „98 Millionen Richtungswechsel“ geben, stellt Neuwirth in Aussicht. „Die wenigsten wissen, dass ich auch Trip-Hop höre. Ich muss erst ausprobieren, wie sich das anfühlt.“ Die Reise ist noch lange nicht zu Ende.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Printausgabe 41 2018