70 Jahre Willi Resetarits:
Dem Kurtl g’heat die Wöd

Musiker Willi Resetarits wird heute 70 und hält in seinem Stammbeisl Rückschau: über die Zeit, die er hier mit Ostbahn-Kurti-Mastermind Günter Brödl verbracht hat, über Liebe, Tod, die berührendsten ­Bühnenmomente und sein Leben auf einer ehemaligen Mülldeponie.

von Menschen - 70 Jahre Willi Resetarits:
Dem Kurtl g’heat die Wöd © Bild: Ricardo Herrgott

Sie feiern am 21. Dezember nicht nur Ihren 70er, sondern auch den vierten Hochzeitstag mit Ihrer Frau Roswitha. Wie gelingt eine beständige Liebe?
Oh. (Pause.) Wo Liebe ist, da ist sie eben. Es ist uns passiert, und das ist wunderbar. Mein Zugang zum Leben überhaupt ist Neugier, schauen, was passiert, und beobachten. Ich kann also nicht sagen: So, jetzt geh ich hin und verlieb mich. Vielleicht denkt das Unbewusste so und lenkt einen, aber das weiß man ja dann nicht. Das ist ja das Phänomen des Unbewussten, dass man nichts drüber weiß. (Lacht.) Durch das Beobachten und neugierig sein bau ich eine Art Projektionsfläche auf, wo der Zufall passieren kann. Für alles offen sein, es wahrnehmen, die Menschen gern haben. Wenn man Momente des Glücks haben möchte, muss man gut sein im Wahrnehmen.

Und dann?
Na ja, wenn das funktioniert, sollt man schauen, dass man’s nicht gleich wieder verscheißt. Und das kann der Mensch im hohen Alter besser. Ich hab ja erst vor Kurzem zum ersten Mal geheiratet. Das war für mich also etwas Neues. Davor hab ich in einer anderen eheähnlichen Beziehung ohne Trauschein gelebt und zwei Kinder gemeinsam mit der ­Gefährtin (Musikerin Beatrix Neundlinger, Anm.) großgezogen.

Warum haben Sie sich dann doch noch „getraut“?
Die Idee dahinter war im Sinne einer gelungenen Biografie: Da fehlt ja was! G’heiratet hab ich eigentlich noch nie! Könnt ma ja mal machen!

Haus. Kind. Baum. Alles abgehakt?
In meinem Fall war es: Ned heiraten. Kinder. Kinder aus’m Haus. Heiraten.

Und der Baum ist auch gepflanzt?
Mehrere. Auch hier ist es ein schönes Sinnbild für meine etwas verwirrende Theorie zur Projektionsfläche und von wegen Dinge passieren lassen: Ich ziehe in meinem Garten Bäume groß, die die Tiere pflanzen.

Ach so?
Das Eichkatzerl versteckt sich eine Mandel. Wir haben aufgrund der ehemaligen Mülldeponie Bruckhaufen, hier in dem Ortsteil von Wien Floridsdorf, einen heißen Boden. Daraus wurde ein Murdstrumm ­Mandelbaum. Vier Meter daneben steht ein Murdstrumm Maulbeerbaum. Ein Vogerl hat eine Maulbeere gegessen und dort hingegackt. Das sind die Bäume, die ich „gepflanzt“ habe. Man muss halt nur anhand von den Blättern wissen, was das für ein Bäumchen wird. Kann man das Achtsamkeitstraining nennen?

Ich denke, ja.
Achtsamkeit ist ja jetzt eh in Mode, oder? Das heißt, a bissl aufpassen hoit.

Ihre Tochter Johanna, 37, ist musikalisch als Juanita bekannt. Wenn Sie gemeinsam performen, wer gibt musikalisch den Ton an?
Ich muss auf hohem Niveau dienen. (Lacht.) Ich krieg Gott sei dank viel Respekt von Musikerkolleginnen und -kollegen, mit denen ich zusammenarbeite. Vom eigenen Kind aber ned. (Lacht.) Sie hat mich sehr, sehr lieb, aber diese Art Autorität, die der ältere Musiker nach 50 Dienstjahren hat, hab ich bei der Tochter ganz einfach nicht. Aber ist eh gut so.

Als ehemaliger Lehramtsstudent für Anglistik und Sport umweht Sie wahrscheinlich trotzdem noch eine gewisse pädagogische Aura.
Damals war das Ratlosigkeit. Es hat kein Studium gegeben, wo man Rockmusik studieren konnte. Seinerzeit war meine Musik noch die Musik des Teufels – lange Haare, ungepflegt. Ich habe mein Leben der Musik geweiht und war der irrigen Annahme, ich brauch dazu einen Brotberuf. Warum Lehramt? Weil meine Freunde aus der Schulklasse auch Lehramt studiert haben. Ich bin so ängstlich allein, ich brauch immer eine Bande.

Wo hat sich diese Bande bevorzugt aufgehalten?
Ich hab meine Zeit zwischen Universität und Kaffeehaus geteilt. Mit der Immatrikulation war die Folk-Politrock-Band „Die Schmetterlinge“ gegründet. Ich hab vier Jahre studiert und fast alle Scheine gehabt und bin kurz vor Ende des Studiums draufgekommen: Wenn ich nicht alle Sicherheitsnetze zerstöre, wird das nichts mit der Musik und mit der Weiterentwicklung. Das Rezept, das ich dann g’habt hab, hat gestimmt: Berufsmusiker sein ohne Einkommen.

Wir sitzen hier im Gasthaus Quell. In den Achtzigerjahren hoben Sie hier mit dem Autor Günter Brödl Ihr musikalisches Alter Ego Ostbahn-Kurti aus der Taufe. Welche Rituale gab es?
Wir haben uns hier immer um die Mittagszeit getroffen, auf ein kleines Gulasch und ein Seidl als Frühstück. Der Quell Poidl war auch immer da, von Günter Brödl wurde er „Der Musterwirt“ genannt. Der Stammplatz war beim Kachelofen im Außeneck. Dem Brödl war nämlich wie mir immer kalt.

Teilen Sie mit uns drei der berührendsten Bühnenmomente des Ostbahn Kurti?
Kurtlmäßig hab ich an die Band die Devise ausgegeben: „Leitln, Geld werdets ihr hier keines verdienen“. Ich hab ja selbst fünf Jahre der Ostbahn-Zeit
das Geld mit der Band „Die Schmetterlinge“ verdient. Dann 1991 haben wir das Konzert am Ostbahn XI Platz gegeben. Es sind doch etliche Leute mehr gekommen als erwartet. Wir waren ab dem Nachmittag dauernd auf Ö3, aber im Verkehrsfunk. Es sind nämlich 14.000 Leute gekommen. Irgendwann sind dann die Zäune gelegen. Der Gastro sind dort Wein und Bier ausgegangen. Wir haben dann Nachschub organisieren müssen.

© Lukas Beck Lukas Beck Wenn Willi mit seiner Tochter Johanna musiziert, ist klar: Der Papa hat nichts zu melden. „Ich muss auf hohem Niveau dienen“

Dieser Erfolg war nicht abzusehen?
Es hat ja ganz anders angefangen. Bei der ersten Tournee waren bei einem Konzert drei Leute, und in Tulln war der Höhepunkt bei 27 Zuschauern. Des hat uns gfoin! A bissl missverstanden wollt ma a werden. Wir haben mit so einem Vergnügen gespielt für die drei Leit. Die kumman heit no. Und auf einmal waren so viele Leute da. Da gab’s dann einen Moment – in meinem Kopf ist es wie ein Foto. Da steh ich im Finstern, alle sind weg, alles ist abgeräumt, nach dem Konzert mit ’m Brödl. Wir haben nicht viel g’redt, aber beide des Söwe denkt. Das war schön.

Den Abschied des Ostbahn Kurti am 31. 12. 2003 im Wiener Orpheum gibt es auf YouTube zu sehen. Das Publikum heulend unter Sternspritzern, der Kurtl mit Tränen in den Augen.
Um Mitternacht ist der Kurtl in die Pensi ’gangen. Wir haben ausgemacht, wenn so und so viel Geld für das Integrationshaus zusammenkommt, wird unser Experte für die „Rock ’n’ Roll“-Etikette Ricky Gold über die Bühne flitzen. Und so ist er unter dem Motto „Flitzen für den Frieden“ nackt über die Bühne gelaufen, hat in der Mitte eine Pirouette gedreht und einen Luftsprung gemacht, damit man auch ordentlich die Fisole sieht. Nachdem ja alle weinten, ist so ein bissl Stimmung in die Bude gekommen. Das war sehr klug vom Ricky Gold.

Ihre Schlussworte bei Konzerten sind: Passt’s auf, seid’s vursichtig und losst’s eich nix gfoin. Was lassen Sie sich nicht gefallen?
Es geht hier um einen politischen und gesellschaftspolitischen Ansatz. Als ma uns 1965 die Haare haben wachsen lassen, sind uns unglaublicher Zorn und Wut entgegengeschlagen. Das war für viele von uns der Beginn der Politisierung. Wir hatten Zweifel an der Gesellschaft, ob die so richtig funktioniert, wenn Nazidenken dominiert. Das schwingt a bissl mit in „losst’s eich nix gfoin“, dass man durchaus Stellung beziehen kann, wenn einem was nicht passt. Des kost’ nix und erhöht die Lebensfreude, im Sinne von „wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt“. Und das wollt ich damals schon mit den Fans teilen. Ich liebe sie bis heute alle.

Zu Beginn der Ostbahn-Kurti-Ära konnten viele Ihr Publikum nicht einordnen.
Als der Kurtl plötzlich einen großen Zuwachs an Publikum hatte, haben sich die Leute gefragt, ob sich da bei unseren Konzerten auch Rechte sammeln, Skinheads mit Haaren. Da hamma dann mal bei einer Spielserie im Bank Austria Zelt das Lied gsungen „Moch kan Aufstand“. Es herrschte wahnsinniger Tumult im Saal. Das Publikum wollte sich, so wie wir in dem Lied, gegen Nazis aussprechen. Nach zehn Minuten Applaus und Schreien hat sich die Menge auf einen Slogan geeinigt: „Wir wollen keine Nazischweine!“ Dieser ist dann noch weitere zehn Minuten gerufen worden. Das war der dritte berührende Moment.

Hat der überraschende Herztod von Günter Brödl, dem geistigen Vater der Kunstfigur Kurt Ostbahn, mit nur 45 Jahren Ihren Blick auf Abschiede verändert?
Ich hab so einen überraschenden Tod schon davor bei meinem Vater erlebt. Er war 53 bei seinem Tod. Eine rasche Lehre kann ich nicht ziehen, aber ich bin ein Vertreter eines würdigen Todes im hohen Alter, wo man dann sagt: „I wü nimmer. I kann nimmer. Mir is fad.“ Ich hab solche Greise und Greisinnen erlebt, und so möchte ich enden. Aber das kann man nicht bestellen. Denken derf man sich’s.

© Ricardo Herrgott Willis Lieblingsplatzerl beim Kachelofen: „I hob’s gern woam am Ruckn.“

Welche Gedanken kommen Ihnen noch?
Ich bin empört, wenn Leute aus meinem engsten Umfeld wie mein Vater oder der Günter Brödl vor der Zeit obiagn. Das find ich unnötig und g’schissen. Da zieh ich keine philosophischen Lehren, die kommen eh unbewusst. Ich weiß nur, dass ich wahnsinnig gern lebe. Angesichts des Todes oder der Tatsache, dass man in einem gewissen Alter ahnt, „so lang wie ich bisher g’lebt hab, werd ich nimmer leben, wahrscheinlich kürzer“, erhöht das im Grunde die ­Lebensqualität, wenn man gscheit is.

Inwiefern?
Wenn ich weiß, eine ungewisse Anzahl von Jahren oder Monaten bleibt mir noch, dann hab ich ka Zeit, dass ich die mit Trotteln oder mit sinnlosen Arbeiten oder Ärgernissen verbring. Diese Zeit hab ich ja nicht zu verschenken. Besser is es, die Zeit gut zu nützen, indem man zum Beispiel ganz lang nix tuat oder würdig mit ganz lieben Menschen länger im Gasthaus sitzt. Einfach Zeit verplempern. Oder wichtigen Fragen nachgehen.

Welchen zum Beispiel?
Die ganze Siedlung Am Bruckhaufen steht auf acht Metern Deponie-Material. Das will ich genauer wissen. Da red ich jetzt mit den noch älteren Bruckhaufnern als ich. Dazu hab ich geforscht und auch schon einen Vortrag im Wien Museum gehalten: wie eine Mülldeponie funktioniert und was mit der benachbarten Siedlung Bretteldorf passiert ist, wo jetzt der Donaupark ist. Eine Mülldeponie ist wie ein Tsunami, nur eben ganz langsam, fünf Kilometer innerhalb von 100 Jahren.
Der Kachelofen verrichtet seine Pflicht, die Kehle wird trocken. Resetarits bestellt russischen Tee mit Rum.

Sie setzen sich seit vielen Jahren für Menschen ein, Stichwort „Asyl in Not“, „SOS Mitmensch“ und „Projekt Integrationshaus“. Was raten Sie einzelnen, die in dem Bereich noch nicht aktiv wurden?
Da kann man schwer etwas raten, denn es verschlägt einem hin, quasi zufällig. Aber das sind alles Zufälle, die keine sind. Man begibt sich in die Situation, in die Nähe der Menschen, wo man sich denkt: „Da hätt ich vielleicht eine Aufgabe. Es gibt Leit, denen man helfen sollte.“ Eingeladen wird man bald einmal, wo zu helfen.

Hat das Ihr Leben bereichert?
Ich glaub, wenn man Menschen gern hat, dann trifft man Menschen. Solche, die sehr gleich sind, so wie die Leut, die man von klein auf kennt. Und dann aber auch welche, die in verschiedenen Aspekten sehr anders sind: Sprache, Lebensumstände, Kultur. Das ist spannend. Wenn’s einem interessiert und man neugierig ist.

Was haben Sie von anderen Kulturen gelernt?
Natürlich gibt es diese Bereicherung. Ich hab viele Freunde aus dem Iran gewonnen und viele Kurden. Ich hatte viel mit kurdischer Musik zu tun, die nicht harmonisch strukturiert ist, sondern in Skalen, sogenannten Makams. Das sind verschiedene Tonleitern. Und das Leben von dieser fast ritualisierten Zuvorkommenheit hat mich auch fasziniert. Die große Pflicht der Gastfreundschaft, auch dann, wenn man damit fast in den Hungerturm geworfen wird, weil man dann ka Göd mehr hat, weil gar so viele Leute zu bewirten waren. Das muss egal sein. Die Gastfreundschaft ist eine hohe Pflicht. Aber auch die Zurückhaltung.
Der junge Pächter vermeldet in der Gaststube: „Der Rum is aus.“ Er bietet an, „rauszuschurln“ und einen zu holen. Plan B: Marillen- oder Zwetschkenschnaps im Tee. Resetarits: „Zwetschke. Die Kombi kenn i von daham.“
Meine Mutter hat selber brennt. In der Siedlung am Bruckhaufen, wo ich heute auch wohn. Einen Sliwowitz. Illegal. In der Nacht, damit’s keiner merkt. Das heißt alle haben’s gewusst, weil da ist der Sliwowitz-Dampf aus dem Gartenhäusl aussakommen. Die ganze Siedlung ist unter einer Wolke Sliwowitz-Dampf g’legen. Meine Mutter war aber sehr angesehen in dieser kleinen Siedlung, deswegen haben alle so getan, als ob sie nichts merken täten, weil’s meiner Mama so eine Freud gmacht hat. Sie war ja eine starke Nichttrinkerin, aber von dem Dampf allein wirst ja schon extrem besoffen. Das nimmst ja über die Schleimhäute auf.

Was wünschen Sie sich eigentlich zum 70er?
Ich freu mich, am 4. und am 5. Jänner in der Wiener Stadthalle 53 Bühnenjahre zu feiern: mit The Odds, der Beatband aus dem Gymnasium Ettenreichgasse, den Schmetterlingen, dem Stubnblues bis hin zur A-capella-Formation BasBariTenori, dem Projekt Molden, Resetarits, Soyka, Wirth und meiner Familienbande. Sonst wünsch ich ma a Ruah. (Lacht.)

Dieses Interview erschien ursprünglich in der Printausgabe 50/2018