Michael Schanze:
Als Sonne geboren

Der ehemalige Starmoderator Michael Schanze hat sich als Musicalkomponist und Schauspieler neu erfunden. Bei den Proben zu seinem Weihnachtsmusical „Scrooge“ erinnert er sich an den langen Weg, den er zum neuen Ich gehen musste

von Menschen - Michael Schanze:
Als Sonne geboren © Bild: ERNST KAINERSTORFER

Wenn er spricht, stellt sich dieses wohlige Kindheitsgefühl ein: Alles ist gut. Und wenn man einen Fehler macht, spendet der Michael Trost. Der versteht das. Dieses Gefühl vermittelt Michael Schanze auch den hoffnungsfrohen Buben, die sich im Museumsquartier in Wien beim Casting für eine Rolle in Schanzes Weihnachtsmusical „Scrooge“ warm singen. Er bückt sich ein bisschen, um ihnen auf Augenhöhe die Hand schütteln zu können, und fragt jeden Einzelnen nach seinem Namen. „Servus, ich bin der Michael“, stellt er sich den jungen Sängern dann vor. Sie kennen diesen freundlichen, Hut tragenden Mann, in dessen Stück sie Ende Dezember auftreten wollen, nicht. Natürlich nicht. Die Kindheitserinnerungen an Michael Schanze rühren aus den späten Siebzigerjahren. Damals hob er als 30-Jähriger mit „1, 2 oder 3“ die erste Unterhaltungsshow für Kinder im deutschsprachigen Fernsehen aus der Taufe. Er komponierte und sang auch das Titellied der Quizsendung, das, wie die Show, Teil des kollektiven Gedächtnisses einer Generation wurde: „Eins, zwei oder drei … du musst dich entscheiden, drei Felder sind frei“. „Plopp“, das hieß Stopp und wer dann auf dem richtigen der drei Felder mit Antwortmöglichkeiten stand, durfte einen Ball für sein Team mitnehmen.

Sein Talent als Kindershow-Moderator bewies er danach noch einmal in der Talentshow „Kinderquatsch mit Michael“ (1991–2003). Nebenbei war er auch für die Eltern ein Fernsehstar. In Sendungen wie „Hätten Sie heut’ Zeit für mich?“, „Die Michael-Schanze-Show“, oder „Flitterabend“ war er im Hauptabendprogramm Stammgast in allen Wohnzimmern. „Ich war der mit den 34 Schneidezähnen, der gesagt hat: Wenn ihr von Himmelblau die Nase voll habt, habe ich hier Rosarot für euch!“, beschreibt er sich mit ironischer Selbstkritik. Der Gedanke an den Jungspund-Michael von früher bringt ihn zum Lächeln. Diese Zeit im Rampenlicht hat er beendet, dem Fernsehen ganz bewusst „Servus“ gesagt. Für Kinder, die Mitte der Nullerjahre das Fernsehen zu erkunden begannen, ist Schanze nur ein freundlicher Mann mit Hut. Sie tun einem fast leid.

Für das Gespräch hat sich der 71-Jährige eine der hintersten Reihen in der Halle im Museumsquartier ausgesucht. So kann er, während er von sich und vom Leben erzählt, mithören, ob auf der Bühne jemand einen falschen Ton trifft. Wenn das passiert, sagt er nichts. Er hält nur kurz inne, wenn alles wieder stimmt. Dann sagt er wohlwollend: „Ja, jetzt ist es richtig.“

Leben im Moment

Er muss es wissen, er hat die Musik für das Musical, das Charles Dickens’ „Eine Weihnachtsgeschichte“ erzählt, nach Texten von Christian Berg geschrieben. Als Komponist und Sänger war Schanze bereits in den Siebzigerjahren aktiv, noch bevor ihn sein Weg ins Fernsehen führte. Der Sohn des Rundfunk-Orchesterchefs Artur Schanze wurde im Knabenchor und durch klassischen Klavierunterricht musikalisch ausgebildet. So pflastern Schlagerhits („Wer dich sieht, hat dich lieb“) seinen Weg. Und auch eine Goldene Schallplatte für „Olé España“ mit der deutschen Fußballnationalmannschaft zur Weltmeisterschaft in Spanien 1982.

Schanze trauert diesen Zeiten nicht nach. Er fühlt sich sehr wohl genau da, wo er ist. Diese Eigenschaft, den Moment genießen zu können – wie Kinder das tun –, hat er sich bewahrt. „Kinder leben im Moment. Wir setzen den Moment immer in Relation zu etwas, das wir erlebt haben. Wenn man sich ein klein wenig von dieser Art bewahrt, den Moment unbeschwert zu erleben, hat man einen Draht zu Kindern“, erklärt er. Außerdem sei es ein Teil von ihm, so zu leben, sagt er. „Ich kann wirklich lachen, wenn ich am Schreibtisch sitze, und auch traurig sein, wenn ich etwas schreibe“, so Schanze. Sich auf etwas einlassen, das kann er. Eine Gabe, die ein Gespräch zur Anekdotenstunde macht.

Fragt man ihn nach dem Erfolgsgeheimnis von Charles Dickens’ Märchen über den grantigen, alten Scrooge – immerhin die erfolgreichste Weihnachtserzählung nach der biblischen Geschichte –, antwortet er spontan mit ureigener Erzählkunst. „Es gibt eben Menschen, die sind zur Sonne geboren und andere nicht“, beginnt er. Das habe er damals seinen drei kleinen Söhnen so erklärt, beim Sterngucken. Da sagte einer von ihnen, wie schön ein Stern leuchte. Und Papa Schanze klärte auf, dass Sterne nicht leuchten, sondern reflektieren. Aber nicht nur das. „So ist es im Leben auch“, war die Botschaft an die Söhne. „Es gibt viele Monde, die die Umwelt brauchen, um Leuchtkraft zu entwickeln. Ihr habt das Glück, dass ihr als Sonnen geboren seid. Scrooge ist aber ein Mond. Erst, wenn ihn die drei Geister, die ihm Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zeigen, durchrütteln, wird er ein guter Mensch.“ Während Kinder sich von der Geschichte unterhalten lassen, können Erwachsene bei „Scrooge“ durchaus Einkehr halten und sich bei der Nase nehmen, findet Schanze. „Sich fragen: Wie war das bei mir, wie ist es jetzt und wie wird man sich an mich erinnern? Da geht’s ans Eingemachte“, so der Mann mit den vielen Karrieren.

Noch immer Selbstzweifel

Seine persönliche Nacht vor Weihnachten, die das ganze Leben auf den Kopf stellte, dauerte gleich ein paar Jahre. Schon Anfang der Neunziger diskutierte er mit seiner Frau Monika immer öfter: „Ist das alles, was ich machen will? Will ich ein Leben lang die Showtreppe runterkommen und mich freuen, dass das Publikum eingeschaltet hat?“ Die Karriere als Sänger hatte er damals schon beendet, als Moderator war er hochdekoriert mit Bambi, Goldener Kamera und dem deutschen Fernsehpreis Telestar. Familiäre Verpflichtungen – Ehefrau Monika, die Söhne Florian, Patrick und Sebastian – und die Freude am Erfolg ließen ihn zögern. Bis Ende der Neunzigerjahre die Ehe zerbrach und 2000 geschieden wurde. „Es war eine lange Entwicklung, keine einzelne Nacht, aber dann kam der Punkt, an dem ich mich gefragt habe: „Michael, wann willst du endlich zu neuen Ufern aufbrechen?“ Mut gehörte auch dazu, erzählt er, denn es gab niemanden, der ihm zuredete, das Leben auf den Kopf zu stellen. „Selbst mein Bruder Christian hat mir abgeraten.“ Es war der Moment, an dem er dennoch die dritte Karriere als Schauspieler begann.

Nicht falsch verstehen, sagt er, und deutet auf einen Ring, den er trägt. Es ist der Publikumspreis der Bad Hersfelder Festspiele für seine Darstellung des Tevje in „Anatevka“ 2012. „Das ist mein Schlagring gegen die Selbstzweifel“, sagt er. Ja, trotz aller Erfolge, die gibt es. Denn der Start als Schauspieler war enttäuschend. Es dauerte, bis ihm Rollen abseits des pfiffigen Kerlchens angeboten wurde. „Da sitze ich lieber in meiner Stube im Pinzgau am Wildkogel auf 2.200 Metern Höhe, bevor ich mich ständig selbst spiele“, dachte Schanze damals.

Die Showkruste aufbrechen

Die Wende kam mit der Rolle des menschenverachtenden Gagler im Carl-Orff-Stück „Astutuli“ im Kloster Andechs 2007. „Der Intendant Hellmuth Matiasek hat mir damit geholfen, die Showkruste aufzubrechen, und mein Leben verändert. Ich hätte nie gedacht, dass Sätze wie ,Sie sind ein gottverdammtes Arschloch‘ je aus meinem Mund kommen würden“, ist Schanze heute froh darüber. Rollen wie der zynische Serge in Yasmina Rezas „Kunst“ in Stuttgart oder der Dorfrichter Adam in Kleists „Der zerbrochene Krug“ bei den Schlossfestspielen Neersen folgten und ließen ihn aufblühen. Aktuell steht er in Cole Porters Musical „Kiss Me, Kate“ im Opernhaus Bonn auf der Bühne.

Geholfen habe ihm auch, meint Schanze, dass er als einstige „Sportskanone“ nach einem folgenreichen Skiunfall ein paar Extrakilos trägt und kein „Grischperl“ mehr ist, „von dem man ständig erwartet, dass er ein paar Saltos schlägt wie früher“. Auch wenn er zufrieden ist und mit niemandem tauschen möchte, gibt er zu, dass er als „Fernsehheuler“ von früher die Nase über manche seiner heutigen Bühnenverpflichtungen gerümpft hätte. Gagen und Publikum sind kein Vergleich. „Aber die Arbeit ist schön, egal, wie viele Leute da sind. Wir bringen beim Sommertheater die Bühne zu den Menschen, wenn die Leute schon nicht mehr hingehen. Die Schauspieler nehmen das Publikum jeden Abend an der Hand und mit auf eine Reise. Das ist Wert, dass man sich dafür einsetzt“, sagt der Mime im Multitalentierten.

Konsequent als Vater

Sein Talent im Umgang mit den Kleinsten brachte indes neben „Scrooge“ diesen Herbst eine weitere Premiere hervor. Als Komponist und Autor verantwortete Schanze das Kinder- und Familienmusical „Heidi“. Die Geschichte von Johanna Spyri wird dabei klischeebefreit vor dem Hintergrund der sozialen Veränderungen Mitte des 19. Jahrhunderts erzählt. Dass ihn sein Gespür für Kinder immer wieder zum Erfolg führt, überrascht jene, die ihn am längsten kennen, am wenigsten. Die Freunde im kleinen Dorf Tutzing am Starnberger See haben ihn schon in Teenagertagen als Motivationstalent für die Kleinen erlebt. Nach dem Tod des Vaters, er war acht Jahre alt, konnte sich die Mutter sportliche Aktivitäten der Söhne Christian und Michael nicht leisten. „Also habe ich einen Deal mit dem Turnverein gemacht und am Donnerstag Turnunterricht für die Zwergerl gegeben, dafür haben die mich am Sonntag zum Skirennen mitgenommen“, erinnert er sich. Als Vater sei er weniger streng, aber konsequent gewesen, sagt er. Im Sommerurlaub habe das dazu geführt, dass er eine Drohung („Einmal noch, dann gehst du ins Bett!“) wahr machen und den lauschigen Abend selbst auch im Bett verbringen musste. Schanze lacht. Er erinnert sich gern an diese Zeit.

Wenn er zurückblickt, tut er dies fröhlich. Man fühlt sich an seinen Vergleich mit der Sonne erinnert. Auch dieser Mann ist einer, der andere anstrahlt. Nach seiner Erfahrung aus den Unberechenbarkeiten des Lebens sagt er: „Wenn nichts sicher ist, ist alles möglich.“

Das passt zum Michael, dessen Stimme dieses Kindheitsgefühl wachruft.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Printausgabe 48/2018