So christlich
ist Westeuropa

Religiosität, Einstellung zu Immigranten und Muslimen in 15 Staaten untersucht

Wie ist es um die Religiosität der Menschen in Westeuropa bestellt? Eine Studie hat nun analysiert, wie aktiv christliche Gläubige sind.

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Religion - So christlich
ist Westeuropa

Die Mehrheit der Christen in Westeuropa praktiziert ihre Religion nicht. Doch ihre Einstellung zu Gott sowie ihre Haltung zu Muslimen und Immigranten und die Rolle von Religion in der Gesellschaft unterscheidet sie von Menschen ohne jegliche Glaubenszugehörigkeit. Zu diesem Schluss kommt eine Studie des Pew Research Center.

Der US-Think Tank, der sich mit gesellschaftlichen Fragen befasst, hält fest, dass Westeuropa, einst historisches Fundament des Katholizismus und Ausgangspunkt des Protestantismus, zu einer der säkularsten Regionen der Welt geworden ist. Über 90 Prozent sind getauft, doch nur 22 Prozent besuchen regelmäßig Gottesdienste. Viele sagen, sie hätten sich aus diversen Gründen im Lauf des Lebens von der KirSo christlich
ist Westeuropache abgewandt. Ein großer Teil von diesen definiert sich aber weiter als Christen.

Das Pew Research Center befragte 24.600 Personen in 15 westeuropäischen Ländern. Die Studie teilt die Befragten in drei Gruppen ein: praktizierende und nicht praktizierende Christen sowie Konfessionslose. In Belgien, Finnland, Irland, den Niederlanden, Portugal und Spanien ist der Anteil der Bürger ohne Glaubensbekenntnis zuletzt am stärksten gestiegen. Generell sind laut der Pew-Studie die Amerikaner "religiöser" als die Westeuropäer. Selbst jeder achte Nicht-Gläubige in den USA halte Religion für wichtig.

Nicht-praktizierende Christen als größte Gruppe

Nicht-praktizierende Christen stellen in Westeuropa generell die größte Gruppe. An der Spitze liegt Finnland mit 68 Prozent, gefolgt von Großbritannien und Dänemark. Dann kommt bereits Österreich mit 52 Prozent, vor Deutschland, Schweiz und Portugal. Die meisten Menschen ohne Glaubensbekenntnis finden sich laut Pew-Studie in den Niederlanden (48 Prozent), Norwegen und Schweden. Anders verhält es sich mit der Identifizierung als Christen. Hier liegen neben Italienern und Iren auch die Österreicher mit je 80 Prozent an der Spitze; es folgen Portugiesen, Schweizer und Finnen.

Viele nicht praktizierende Christen glauben an eine höhere Macht, stehen aber kirchlichen Institutionen oft kritisch gegenüber. Umgekehrt akzeptieren sie eher Abtreibung und gleichgeschlechtliche Ehen (80 bis 85 Prozent). Meist lassen auch nicht aktive Christen ihre Kinder christlich erziehen (87 Prozent). Sie sind weniger nationalistisch eingestellt als praktizierende Christen.

IMMIGRATION - Hinsichtlich Migranten und Muslimen drücken Menschen, die sich als Christen identifizieren, öfter eine negative Meinung aus als jene, die keine Affinität zu Religion haben. Auch der Bildungsgrad der Befragten spielte bei den Antworten mit; Menschen mit höherer Ausbildung tendierten zu mehr Toleranz. Die Studie kommt zur Erkenntnis, dass die christliche Identität für die Europäer eine Richtschnur in religiösen, sozialen und kulturellen Belangen ist. Die Urteile in der Materie Zuwanderung und Islam fallen unter Katholiken oft härter aus als unter Protestanten.

In den 15 untersuchten Staaten sind Menschen mit christlicher Identifikation, ob praktizierend oder nicht, der Ansicht, dass die Regierung religiöse Werte fördern sollte (78 bzw. 35 Prozent) und dass religiöse Organisationen eine wichtige soziale Rolle spielen (78 bzw. 62 Prozent). Für eine Beschränkung der Immigration treten beide Gruppen ein. Praktizierende Christen wollen häufig den Zufluss von Einwanderern reduziert sehen, allen voran in Italien (63 Prozent), aber auch Österreich und Belgien (54 bzw. 53 Prozent). Einwanderer aus Osteuropa sind willkommener als Afrikaner und Immigranten aus dem Nahen Osten

Ebenso einig sind sich viele der Befragten, dass der Islam mit ihrer nationalen Kultur und Werten unvereinbar sei (49 praxisnahe bzw. 45 Prozent praxisferne Christen). Sehr kritisch sehen die Briten den Islam, wo in allen drei Gruppen diese Religion als mit den eigenen Werten inkompatibel eingestuft wird. In Sachen Bekleidungsvorschriften lehnen die Briten die Verhüllung von Frauen mehrheitlich ab. Die Affinität der Christen zum Nationalismus ist in Portugal (85 Prozent), Italien und Irland sehr ausgeprägt. In Frankreich pochen alle drei untersuchten Gruppen häufig auf die französische Wurzeln (72, 52, 43 Prozent).

POLITIK - Verhältnis Staat und Religion: In allen 15 Ländern wird eine Trennung befürwortet, eine Einmischung der Regierungspolitik in religiöse Agenden abgelehnt; der Mittelwert beträgt 60 Prozent. Schweden liegt mit 80 Prozent voran, mit 75 Prozent Ablehnung finden sich auch die Spanier im Spitzenfeld. Die Achtung religiöser Werte wird weithin befürwortet, auch von nicht aktiven Christen: Großbritannien mit 40 Prozent führt diese Liste an, gefolgt von 38 Prozent in Österreich/Deutschland, 35 Prozent in Italien, 31 Prozent in Frankreich. 50 Prozent der Westeuropäer dulden religiöse Kleidung, aber keine Gesichtsverdeckung.

WISSENSCHAFT - Beim Glauben an Gott und an die Lehren der Bibel variieren die Auffassungen. Praktizierende Christen glauben zu 64 Prozent an Gott gemäß der Bibel, nicht praktizierende glauben zu 51 Prozent an eine höhere Gewalt. Ein großer Teil der Nicht-Gläubigen und Atheisten in Europa geht davon aus, dass die Wissenschaft die Religion unnötig gemacht hat. Die Werte liegen hier bei rund 63 Prozent (Deutschland und Norwegen 69 Prozent, Österreich gleichauf mit Dänemark und Großbritannien 67 Prozent).

GESELLSCHAFT - Die wichtige soziale Rolle der Kirchen wird von aktiven Christen betont (74 Prozent in Italien, 73 Prozent in Belgien und Deutschland). Was gesellschaftliche Aktivitäten betrifft, so engagieren sich christliche Bürger am meisten in karitativen Einrichtungen, religionsferne Bürger eher in Sportvereinen. Gemischt-religiöse Freundeskreise variieren von Land zu Land; in Norwegen sehr üblich, in Italien selten. Viele Christen kennen persönlich Atheisten und Muslime (deren Zahl zunimmt), aber wenige kennen Juden (mit Ausnahme von Briten und Franzosen). In christlichen Familien sind aber Juden mehr willkommen als Muslime.

RADIKALISIERUNG - In der Frage der politischen Radikalisierung durch Religion steht der Islam auf dem Prüfstand. Die Frage, ob religiöse Inhalte Gewalt fördern (können), beantworten 28 Prozent der Italiener mit Ja im Falle des Islam, auf den Rängen 2 und 3 folgen Österreich (23 Prozent) und die Schweiz (21 Prozent). Einer von fünf Westeuropäern ist laut Pew-Umfrage der Ansicht, dass Muslime religiöses Recht statt dem säkularen Recht installieren wollen; am meisten glauben dies Spanier und Dänen. Ein Drittel der Belgier fühlt sich wegen der hohen Zahl der Muslime im eigenen Land oft nicht zuhause. Negative Stereotypen über Juden werden weithin als antisemitisch abgelehnt, am meisten in Frankreich, Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden (76-81 Prozent; Österreich liegt bei 72/73 Prozent Ablehnung).

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