Wrabetz: "Nicht in den Verdacht
einer Umfärbung kommen"

ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz stellt sich im August seiner dritten Wiederwahl, noch haben sich keine Gegenkandidaten deklariert. Wie will der Mann, der aus der Sozialdemokratie kommt, den türkis dominierten Stiftungsrat von sich überzeugen?

von Medien - Wrabetz: "Nicht in den Verdacht
einer Umfärbung kommen" © Bild: Ricardo Herrgott
Der 61-Jährige studierte Jurist, einst Bundesvorsitzender des VSSTÖ, war während seiner Studienzeit freier Mitarbeiter beim ORF. Nach Stationen bei u. a. ÖIAG und Vamed wurde er 1998 Kaufmännischer Direktor des ORF, mit rund 3.000 Mitarbeitern und fast 650 Millionen Euro an jährlichen Gebühreneinnahmen der größte Medienanbieter Österreichs. Seit 2007 ist Wrabetz Generaldirektor und wurde seitdem zweimal vom Stiftungsrat, dem politisch besetzten Aufsichtsgremium des ORF, wiederbestellt. Am 10. August will er es zum vierten Mal wissen.

Wie oft telefonieren Sie mit Sebastian Kurz?
Nicht häufig.

Verstehen Sie sich gut?
Es gibt eine gute Gesprächsbasis. Klar ist, dass man einen regelmäßigen Kontakt hat.

Die ÖVP hat im Stiftungsrat, der im August den neuen Generaldirektor wählt, die Mehrheit. Warum sollten die türkisen Stiftungsräte Sie, einen Mann, der aus der Sozialdemokratie kommt, wählen?
Ich bin ein Mann, der aus dem ORF kommt, der 15 Jahre erfolgreich den ORF leitet und mit allen Gruppen im Stiftungsrat gut zusammenarbeitet. Wenn Sie danach gehen, was auf dem Tisch liegt - also mein Bewerbungskonzept und meine Erfahrung -, bin ich zuversichtlich, dass eine gute Chance besteht, dass mein Vertrag verlängert wird.

Fast alle Stiftungsräte sind einer Partei zuzuordnen. Derzeitig kann Kurz fast allein entscheiden. Wie überzeugen Sie die Türkisen von sich?
Es wäre eine gute Gelegenheit für die Politik, zu zeigen, dass man diese besondere Situation, in der eine Partei eine Mehrheit hat, gerade nicht benutzt, um nicht in den Verdacht einer Umfärbung zu kommen.

Sie glauben, die ÖVP wird der Versuchung widerstehen, einen eigenen Mann zu installieren?
Das wird man sehen.

Vorwahlzeiten sind immer Zeiten, in denen es zu merkwürdigen Programmierungen kommt, siehe den JVP-Livestream, den Online-Direktor Thomas Prantner verantwortet hat. Auf wie viele Sonder-"ZiBs" mit Kanzlerinterview müssen wir uns gefasst machen?
Wir haben seit Beginn der Pandemie insgesamt 20 Sonder-"ZiBs" im Hauptabend gemacht. In einigen davon ist der Bundeskanzler vorgekommen. In anderen der zuständige Minister. Das war eine eindeutig journalistische und sehr gut begründbare Entscheidung. Es ist auch ein bisschen folkloristisch, zu glauben, dass die Zukunft des wichtigsten Medienunternehmens des Landes wegen eines Zehn-Minuten-Interviews entschieden wird. Ich sage ja nicht, dass das manche Beobachter nicht so sehen. Oder dass so manche im Haus glauben, sich mit Symbolpolitik beliebt machen zu können. Ich kann aber aus 20 Jahren ORF berichten, dass sich die Dinge nicht danach entscheiden.

Wonach entscheiden sie sich?
Wenn man sich die letzten ORF-Wahlen anschaut, haben unterschiedliche Konzepte eine Rolle gespielt, teilweise, ob man einer Geschäftsführung zutraut, Unabhängigkeit und Vielfältigkeit besonders abzusichern. Dass niemand bevorzugt und niemand benachteiligt wird in der Berichterstattung.

Wenn die bürgerlichen Stiftungsräte im August einen bürgerlichen Kandidaten wählen und nicht Sie, den Amtsinhaber, ist das dann Postenschacher à la Schmid? Wollten Sie diesen Vergleich ziehen?
Ich nicht. Aber es ist ja wohl klar, dass das wahrscheinlich gerade jetzt so gesehen würde. Daher ist es eine gute Gelegenheit, zu sagen: Es läuft nicht immer so, wie es vermutet wird. Nachdem es noch keine offiziellen Gegenkandidaten gibt, kann man über diese noch nichts sagen. Aber sollte am Schluss jemand aus dem Hut gezaubert werden, der noch nie etwas mit Medien zu tun hatte oder noch nie eine größere Führungsverantwortung gehabt hat, dann würde diese Diskussion - nicht durch mich -sicher entstehen.

Wer wäre geeigneter als Ihr Nachfolger -ein Kandidat aus dem Haus oder ein Quereinsteiger?
Ich leide nicht an Selbstüberhöhung, aber es gibt drei Kriterien: Hat jemand gezeigt, dass er das kann? Der ORF gehört zu den drei erfolgreichsten öffentlich-rechtlichen Rundfunkunternehmen in Europa. Das hat wohl auch was mit mir zu tun. Zweitens steht der ORF vor großen Herausforderungen. Es ist keine Zeit, sich ein, zwei Jahre einzulernen, sondern man muss gleich handeln und konsequent weiterarbeiten. Das spricht gerade jetzt dafür, auf Kontinuität zu setzen. Und drittens ist die Frage, ob man ein Zukunftskonzept für den ORF hat. Meine Strategie 2025 wurde noch vor fünf Monaten einstimmig vom Stiftungsrat beschlossen. Wenn einer oder eine noch mehr Erfahrung hat oder sich noch besser auskennt oder ein besseres Konzept hat, dann wird man das als Stiftungsrat beurteilen können.

Es wird spekuliert, dass Vize-Finanzdirektor Roland Weißmann als bürgerlicher Kandidat ins Rennen gehen könnte. Wäre er als Verantwortlicher für den ORF-Player nicht ein geeigneter Zukunftskandidat?
Roland Weißmann hat als Leiter einer wichtigen Abteilung gute Arbeit geleistet, weswegen ich ihn betraut habe, meinen ORF-Player als Projektleiter umzusetzen. Ich spreche niemandem die Qualifikation ab. Aber erfolgreich waren Bestellungen im ORF immer dann, wenn Leute, die schon echte operative Führungsverantwortung hatten und Mitglied der Geschäftsführung waren, den nächsten Schritt gemacht haben. Immer dann, wo drei Stufen übersprungen wurden, ist das oft nicht so gut gegangen.

Wie viel politische Schlagseite ist in der ORF-Berichterstattung zulässig?
Gar keine. Das Gesamtbild muss so sein, dass es objektiv und ausgewogen ist und den gesetzlichen Kriterien entspricht.

Ist sie in Einzelbereichen zulässig?
Nein, das sollte auch in Einzelbereichen nicht der Fall sein. Gerade in einer polarisierten Zeit ist es wahnsinnig schwer, zu beurteilen, trifft man jetzt genau diesen Punkt in der Mitte oder nicht. Ich bin der Meinung, dass bei einzelnen Journalisten keinerlei Voreingenommenheit in der Berichterstattung zulässig ist. Das steht auch so im Gesetz.

Haben Sie den Eindruck, dass das wirklich so ist?
Natürlich. Im Einzelfall gelingt uns das in allen Medien sehr gut. Das zeigt auch das große Publikumsvertrauen. Wenn es in einem Einzelfall nicht so ist, dann muss man darüber reden. Es ist nicht meine Aufgabe, direkt mit Redakteuren zu reden. Aber wenn ich ein Problem sehe, kann sein, dass ich den Chefredakteuren sage: "Schaut euch das an." In der öffentlichen Diskussion geht es ja oft um Nebenschauplätze. Ich erlebe zum Beispiel in der Twitteria oft eine absurd aufgeheizte Stimmung, in der jeder Beitrag des ORF so bewertet wird, als würde ich dasitzen und jeden Halbsatz freigeben. Manche Personen und Beiträge werden gleichzeitig von den einen als besonders regierungstreu, von anderen als extrem regierungskritisch kritisiert. Das zeigt, dass wir richtig liegen.

Bekommen Sie Anrufe aus dem Kanzleramt? Zum Beispiel nach dem letzten Kurz-Interview? Das nächste Mal weniger angriffig?
Nein. Der Interviewstil von Armin Wolf ist sicher nicht immer angenehm. Aber er behandelt alle gleich. Als Gast in der "ZiB2" kann man seine Argumente vor 800.000, 900.000 Menschen darlegen. Das ist wichtig für den politischen Diskurs. Wenn man solche harten und guten Interviewer haben will, muss man sie schützen und ihre Arbeit machen lassen.

Die FPÖ hat es fast geschafft, den ORF in seiner bestehenden Form zu zerstören. Wie kann man den ORF vor der Politik schützen?
In der Endphase der Türkis- Blauen-Regierung, in der die Bestrebungen sehr stark waren, den ORF zu zerschlagen, habe ich getan, was möglich war, und versucht, den Prozess zu verlangsamen. Wir haben in verschiedenen Bündnissen für den ORF geworben und die regionale Verankerung in den Bundesländern betont. Es war zum Beispiel schon gewichtig, dass die Landeshauptleute damals gesagt haben: "So nicht."

Die Politik springt dem ORF gegen die Politik zur Seite. Müsste man nicht überhaupt den Einfluss der Politik reduzieren?
Der ORF ist per Gesetz geschaffen, auch seine Finanzierung ist gesetzlich geregelt, daher erfolgt die Bestellung der Aufsichtsgremien, in welcher Form auch immer, durch politische Institutionen. Das liegt in der Natur der Dinge.

Also halten Sie dieses System für unveränderbar?
Es kommt viel mehr darauf an, ein Unternehmen so aufzustellen, dass man unziemlichen Einfluss hintanhalten kann.

Der Redakteursrat schlägt eine Auflösung der Freundeskreise im Stiftungsrat und eine nicht parteipolitische Besetzung der Stiftungsräte vor. Unterstützen Sie diese Forderung?
Das Problem waren nie die Stiftungsräte, sondern wenn die Politik Einfluss nehmen wollte. Das Parlament entscheidet über unsere Finanzierung. Der ORF ist kein Privatunternehmen. Wir haben Checks und Balances -auch intern. Es gibt eine Diskussion über das, was wir tun, und wir müssen uns auch rechtfertigen. Entscheidend ist nicht so sehr, wie die Gremien zusammengesetzt sind. Man wird sehen, ob jetzt eine Mehrheit im Stiftungsrat sagt: "Wir wählen den Generaldirektor, der die objektiv beste Qualifikation hat."

Der jüngst erschienene Public-Value-Bericht skizziert die Vision eines jungen, digitalen, glaubwürdigen ORF. Fördert es die Glaubwürdigkeit, wenn ständig über politische Interventionen usw. diskutiert wird?
Natürlich nicht. Aber das Publikum vertraut dem ORF. Wir werden gleichermaßen kritisiert von Opposition und Regierung, das zeigt, dass wir in der Mitte und damit richtig liegen. Daher ist mein Schmerzlevel auch konstant hoch, aber ich kann damit umgehen. Ich glaube auch, dass man unterscheiden muss, was davon wirklich beim Publikum ankommt. Unsere Vertrauenswerte sind sehr gut und in der Pandemiezeit noch einmal deutlich besser geworden. Man darf sich nicht von jedem Tweet ins Bockshorn jagen lassen.

Politiksatire wäre ein gutes Mittel, um junges Publikum zu binden. Das ZDF zeigt das zum Beispiel mit Jan Böhmermanns "Magazin Royale" vor. Der ORF hat "Gute Nacht Österreich" mit Peter Klien auf Pause geschickt.
Wir haben seit 15 Jahren "Willkommen Österreich" im Programm. Und von den Quoten könnte sich Böhmermann noch etwas abschauen. Die Anregung, daraus mit Peter Klien eine eigene Sendung zu entwickeln, kam ja von mir.

Zufall, dass diese kritische Satiresendung genau jetzt, vor und nach der Generaldirektoreneahl, pausiert?
Ja. Wir haben voriges Jahr entschieden, dass die Sendung nicht so funktioniert, wie sich ORF 1 das vorgestellt hat, und überarbeitet werden muss. Gut gemachte Satire hat noch nie zu politischen Interventionen geführt. Die Politik ärgert sich vielleicht darüber, schaut aber vor allem auf die Information.

Hat Ihnen der Kanzler in einem Ihrer Telefonate verraten, wie es mit dem ORF-Gesetz weitergeht?
Darüber, wie wir uns ins Digitale weiterentwickeln und unsere Zukunft sichern können, führe ich natürlich Gespräche. Es ist durch die Pandemie etwas schwieriger gewesen und auch, weil man seitens der Politik das Ziel hat, dass es nicht zu Auseinandersetzungen im Medienbereich kommt. Aber ich bin sicher, dass es nach der ORF-Wahl relativ rasch zu einer Lösung kommen könnte.

Welche sind die drei wichtigsten Forderungen?
Vereinfacht gesagt, dass wir uns von der reinen Gebundenheit an Fernseh-und Radioprogrammschemata lösen können. Dass wir Videos speziell für das Internet produzieren können und dass wir nicht auf die Fernsehausstrahlung warten müssen, sondern etwas sofort online stellen können. Und dass wir befreit sind von der Sieben-Tage-Regelung, die besagt, dass der ORF Inhalte online nur sieben Tage nach der Erstausstrahlung zur Verfügung stellen darf.

Wie zuversichtlich sind Sie, dass das so kommt?
Wir sind europaweit Nachzügler, was die gesetzlichen Rahmenbedingungen angeht. Der ORF steht heute sehr gut da: Er ist Marktführer in Radio, Fernsehen und online und wir haben eine digitale Strategie. Wenn man will, dass der ORF mit seinem Angebot auch eine Zukunft haben soll, muss man es ihm ermöglichen, die Logiken von YouTube und Co. möglichst rasch anzuwenden. Ich sage immer, wir lernen seit 70 Jahren, dass die Welt im Fernsehen in einem 1:30-Minuten-"ZiB"-Beitrag erklärt wird. Das ist aber überhaupt nicht die Logik der jetzigen Plattformen. Die häufigste Feststellung in unseren Interviews ist: Bitte um kürzere Antworten, die Sendezeit ist fast vorbei. Diese Logik versteht ein Junger gar nicht mehr. Wenn ein Interview spannend ist, kann es eine Stunde dauern, und wenn es ihn nicht interessiert, ist er sowieso nach zwei Sekunden weg.

Sind die Jungen nicht schon längst weg?
Eines ist klar: Mit amerikanischen Serien werden wir nicht mehr punkten können, die verschwinden aus dem Free TV. Wir müssen also dafür sorgen, dass wir trotzdem genügend Erlebnisse schaffen, dazu entwickeln wir unseren ORF- Player und werden uns im Social-Media-Bereich weiter verstärken. Netflix und Amazon werden nie vom ORF herausgefordert werden, aber es muss unser Ziel sein, genügend spezifische Erlebnisse mit den Logiken dieser Plattformen zu bieten. Regionalität und Eigenständigkeit sind dabei unsere Stärken.

Aber wie sollen aus Tik-Tok-"ZiB"-Schauern Gebührenzahler werden?
Mein Player-Konzept sieht vor, dass sehr attraktive Inhalte hinter einer Log-in-Schranke stehen.

GIS-Gebühren zahlt man für die klassischen Empfangsgeräte, Fernseher oder Radio.
Noch.

Das soll sich ändern?
Ich meine nicht, dass es Smartphonegebühren geben soll, nur weil man sich einmal etwas auf Instagram anschaut. Aber dass der Konsum von ORF-Inhalten über Streaming auch gebührenpflichtig ist, gehört schon geregelt. Das Bewusstsein, dass auch Streamingangebote etwas kosten, hat sich verstärkt.

Die Diskussion über die Haushaltsabgabe ist eingeschlafen, oder?
Wir müssen dafür sorgen, dass diese Diskussion geführt wird. Öffentlich-rechtliche Medien sind wichtig für die Gesellschaft und ihre mediale Grundversorgung. Noch zahlen ca. 95 Prozent der Haushalte die Gebühr, aber das kann sich ändern. Wenn einmal 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung keine Gebühren mehr zahlen, weil sie es über Smart-TV streamen und nicht via Kabel oder Satellit schauen, wird es schwer. Das ist kein Grund für Alarmismus, aber man muss es sagen.

Was machen Sie mit klassischen Sendern, die Junge ansprechen sollen? Was soll mit FM4 passieren?
Ich werde einen Sender, der mehrere Hunderttausend Menschen täglich erreicht, nicht einstellen. Aber es ist der Sender, der sich von seiner Logik her am stärksten noch in Richtung digital entwickeln kann.

ORF 1 schieben Sie altersmäßig nach oben?
Es hat keinen Sinn, ORF 1 als Teeniesender zu programmieren. Die Realität ist, dass das Hauptpublikum von ORF 1 zwischen 25 und 45 sein sollte. Man muss aber trotzdem, und das ist die Aufgabe, die ORF 1 hat, genügend bieten, das man eben nur im Livefernsehen erleben kann. "Starmania" zum Beispiel hat bei den Jungen sehr gut funktioniert. Deswegen war es mir auch so wichtig, dass wir den Skivertrag verlängert haben. Sport-Liveerlebnisse sind eine der zentralen Stärken des Fernsehens.

Wann kann der ORF-Player starten? Der Termin hat sich immer wieder verzögert.
Wir werden heuer noch erste Module starten, die im Rahmen des Gesetzes möglich sind. Das gemeinsame Log-in wird es nach derzeitiger Planung ab Oktober geben. Einiges ist sehr weit gediehen, anderes noch in Entwicklung. Und wir werden nicht mit einem Big Bang starten. Aber es würde mich jedenfalls sehr freuen, für eine weitere Periode zum ORF-Generaldirektor gewählt zu werden, weil ich gerne das Band des neuen Mediencampus durchschneiden, den Player im Vollausbau präsentieren würde und damit den ORF in eine gute Zukunft führen würde.