Sammelklage gegen ORF

Der Prozessfinanzierer Advofin will im Namen von 3,3 Millionen GIS-Zahlern zu Unrecht bezahlte Gebühren vom ORF zurückfordern.

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Medien - Sammelklage gegen ORF

Muss der ORF Millionen Österreichern einen Teil der GIS-Gebühr zurückzahlen? Und steht der öffentlich-rechtliche Sender damit bald vor einem riesigen Finanzierungsloch? Die Prozessfinanzierungsgesellschaft Advofin und der Wiener Anwalt Wolfgang List glauben, ja. Und starten die nach eigenen Angaben „größte Sammelklage Österreichs“: Demnach zahlen die 3,3 Millionen GIS-Zahler in Österreich zu Unrecht Mehrwertsteuer auf das Programm­entgelt. Insgesamt, rechnet Advofin vor, hätten die Österreicherinnen und Österreicher in den letzten fünf Jahren dadurch der GIS und damit dem ORF mehr als 300 Millionen Euro zu viel bezahlt.

Grundlage für die Klage ist ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes aus dem Jahr 2016. In Bezug auf die tschechischen Rundfunkgebühren wurde damals festgestellt, dass „auf Rundfunkgebühren keine Mehrwertsteuern zu erheben sind“, sagt Advofin-Vorstand Gerhard Wüest. Die Situation in Österreich sei „einzigartig in Europa. Es ist hoch an der Zeit, diesen ­europäischen Alleingang zu beenden.“

© Infografik: Merridee Stein

Voraussetzung für die Umsatzsteuerbarkeit wären Freiwilligkeit und ein ­unmittelbarer Zusammenhang zwischen Leistung und Gegenleistung. Beides, meint Rechtsanwalt Wolfgang List, sei im Fall ORF nicht gegeben. „Was für den tschechischen Rundfunk gilt, gilt eins zu eins auch für den ORF. Weder in Tschechien noch in einem anderen Land der EU wird heute noch Konsumenten die Umsatzsteuer auf Rundfunkgebühren verrechnet.“ Freiwillig sei die Gebühr nicht, so die Argumentation der Juristen, weil jeder Österreicher, der ein Rundfunkgerät in seinen Wohnräumen stehen hat, automatisch ­gebührenpflichtig ist – egal ob er damit ORF-Programm konsumiert oder nicht. Und einen Zusammenhang zwischen Leistung und Gegenleistung gebe es nicht, weil ORF-Sendungen via Streaming auch kostenlos konsumiert werden könnten.

Pro Monat beträgt die Steuer, die auf das Programmentgelt verrechnet wird, 1,72 Euro. Pro Jahr gut 20 Euro. In fünf ­Jahren – so lange reicht der Anspruch zurück – wären das immerhin 100 Euro pro GIS-Zahler. Die will Advofin jetzt zurückholen. Alle Privatpersonen, die über eine Einzahlungsbestätigung oder einen GIS-Bescheid verfügen, können an der Sammelklage teilnehmen, indem sie sich auf der Advofin-Website registrieren. Ist die Klage erfolgreich, behält der Prozessfinanzierer 27 Prozent – also circa 27 Euro – der rückerstatteten Summe ein, der Konsument erhält die restlichen 73. Für Wüest ein Vorgang „praktisch ohne Aufwand und jedenfalls ohne eigenes Risiko“.

Über die Rückzahlung hinaus würden dem ORF auch künftig jährlich 70 Millionen Euro fehlen, hat Advofin errechnet. „Setzen wir uns durch, wovon wir ausgehen, verliert der ORF natürlich auch einen großen Teil des Vorsteuerabzugs. Der ORF wird die zu viel verrechnete Umsatzsteuer von der Finanz zurückfordern. Die Finanz wird im Umkehrschluss den anteiligen Vorsteuerabzug reduzieren.“ Das sei „sicher bitter“ für den ORF, sagt Gerhard Wüest. Noch schlimmer sei allerdings EU-widriges und konsumentenfeindliches Verhalten. Man habe mit der Präsentation der Sammelklage bewusst das Ende der Eintragungsfrist des GIS-Volksbegehrens abgewartet, um nicht parteipolitisch instrumentalisiert zu werden.

Eine Milliarde Euro zurück

Über die vorliegende Sammelklage hinaus prüft List noch einen anderen, zivilrecht­lichen Weg. Juristisches Neuland zwar, räumt der Rechtsanwalt ein, aber potenziell brisant: Wenn nachgewiesen würde, dass der ORF sich durch das bestehende Konstrukt bereichert hat, könnten Ansprüche bis zum 1. Jänner 1995, dem Tag des EU-Beitritts Österreichs, geltend gemacht werden. Dann ginge es um mehr als 400 Euro pro Beitragszahler (freilich nur für jene, die tatsächlich seit 23 Jahren Rundfunkgebühren zahlen) – und insgesamt bis zu rund einer Milliarde Euro, die der ORF zurückzuzahlen hätte.

Ganz neu dürfte die „tschechische Problematik“ dem ORF nicht sein. Bereits 2016, nachdem das EuGH-Urteil erfolgt war, gab es Medienberichte über dessen Umlegbarkeit auf Österreich – und die Frage, ob der ORF den Vorsteuerabzug verlieren könnte. Finanzministerium und ORF kündigten damals je eine Analyse des Urteils an. Öffentlich präsentiert oder gar diskutiert wurden deren Ergebnisse freilich nie.

Advofin-Vorstand Gerhard Wüest und Anwalt Wolfgang List sind sich sicher, dass die GIS-Zahler in Österreich seit Jahren zu viel zahlen. Sie wollen, dass der EuGH sich rasch mit der Angelegenheit befasst. Musterklagen laufen bereits. Der ORF, vermutet Wüest, werde versuchen, Zeit zu gewinnen, „aber Zeit hilft ihnen nicht“. Es könne nicht sein, „dass sich die Politik und der ORF seit Jahren klar gegen EU-Recht stellen, nur weil sich niemand traut, den Gebührenzahlern die Wahrheit zu sagen: Wer einen unabhängigen Rundfunk will, muss ihn auch finanzieren, auf welche Art und Weise auch immer.“ Allerdings, meint Wüest, „nicht über die Verrechnung einer EU-rechtswidrigen Steuer, die allein zulasten des Konsumenten geht“.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Printausgabe 41 2018