Provisorische Bauleitung

Bei Puls 4 gibt es nach dem Abgang der Senderchefin eine Teamlösung statt Stefanie Groiss-Horowitz. Im ORF übernimmt sie als neue Programmdirektorin zusätzlich die Leitung des ersten Fernsehprogramms. Vorläufig, aber unter größtem Erfolgsdruck.

von Medien & Menschen - Provisorische Bauleitung © Bild: Gleissfoto

Zum Neustart lief es fast 50 Prozent besser als beim Abgang. Im September 2017, als Steffi Groiss als Senderchefin zu Puls 4 wechselte, hatte ORF 1 lediglich 8,7 Prozent Marktanteil. Im Jänner 2022, dem ersten Monat von Stefanie Groiss-Horowitz als öffentlich-rechtlicher Programmdirektorin, waren es 12,9 Prozent. Das wirkt vorerst nützlich für die Rückkehrerin, ist aber letztlich die denkbar ungünstigste Ausgangsbasis. Sie kann kaum noch gewinnen. Denn mit wenigen Februar-Ausnahmen ist der Jänner vor allem infolge der Skiweltcup-Spektakel der stärkste Monat von ORF 1. Die Rennen von Kitzbühel und Schladming haben ein Abonnement in Österreichs 20 meistgesehenen Sendungen des Jahres.

Groiss war weder damals noch heute unmittelbar dafür verantwortlich. Sie ist als Ressortleiterin in der TV-Unterhaltung gegangen und als Direktorin wiedergekommen. Durch den Umstieg von Lisa Totzauer zur Magazinchefin ist allerdings die Position des Channel-Managers für ORF 1 verwaist. Für seine (Um-)Bauleitung wirkt die Heimkehrerin auf den Küniglberg geradezu prädestiniert. Denn nach Anfangsjahren in der Pressestelle schuf sie als Büroleiterin des mächtigen Programmplaners Reinhard Scolik die Basis für ihren Aufstieg. Die zeitliche und inhaltliche Abstimmung der Senderflotte entscheidet über den gesamten öffentlich-rechtlichen Markterfolg. Dabei gebührt ORF 1 immer noch die Schlüsselrolle, obwohl ORF III sich eine Position erarbeitet hat, in der es mehr denn je mitgedacht werden muss (ganz im Gegensatz zu ORF Sport +, aber das ist eine andere Geschichte).

Kenner des Hauses und der Groiss glauben, ihr Augenmerk könnte vor allem auf die Struktur jenes Programms gerichtet sein, dessen Abstieg aus heutiger Sicht schon 1984 begonnen hat. Damals, im Gründungsjahr der ersten Privatsender Sat.1 und RTL, wurde die ARD offiziell in "Das erste deutsche Fernsehen" umbenannt. Ihr Pendant in Österreich hingegen missriet ab 1995 zu einer Kombination aus Abspielstation für US-Massenware und Sportkanal. Das war vorerst im Pingpong mit dem deutlich österreichisch positionierten ORF 2 erfolgreich – aber auf Kosten der Identifikation im Haus und der Identität gegenüber dem Publikum. In der Folge verlor das erste Programm deutlich stärker als der zweite Kanal. Das Gegensteuern zu jüngeren Zielgruppen kam zu spät, halbherzig und ungeduldig.

2019 begann exakt wie heuer – mit 12,9 Prozent, doch in der Jahresabrechnung erstmals nicht mit zweistelligem Marktanteil. Ein Fiasko. Die Pandemie mit ihrem erhöhten Informationsbedürfnis ließ die Quote dann vorerst noch weiter sinken. Doch 2021 hat sie sich auf insgesamt 10,3 Prozent erholt. Trotzdem werden die Eigenproduktionen dort immer noch unter Wert geschlagen. Sie brauchen Geduld. So wie die Entrümpelung von amerikanischer Fließbandproduktion dauern wird. Aus dem Umfeld von Groiss heißt es, ihr Hauptbemühen werde deshalb sein, die einzelnen Tagescharaktere am Hauptabend weiter zu schärfen – so wie es mit Krimi-Dienstag und Info-Mittwoch bereits gelingt.

Trotz Zapp- und Scroll-Technologien bleibt Mediennutzungsverhalten Gewohnheitssache: Es braucht viel Unzufriedenheit, dass wir eine Zeitung abbestellen, die Fernbedienung umprogrammieren, den Browser wechseln. Neue Gewohnheiten zu schaffen, ist noch schwieriger. Das ZDF zeigt mit einem von Eigenproduktionen geprägten Programm, wie das dennoch funktioniert. Der stärkste deutsche Sender hat nach dem Tiefpunkt vor zehn Jahren mit 14,7 Prozent den höchsten Marktanteil seit 1995.

Groiss übernimmt ORF 1 nach dem scheinbaren Turnaround. Doch der Sender verliert Sportrechte wie die Fußball-Euro. Die Programmdirektorin leitet auch nur "interimistisch" das erste Programm. Aber so, wie sie als Senderchefin bei Puls 4 nicht nachbesetzt wurde, könnte dies auch für die Channel-Managerin von ORF 1 gelten. Quotenerfolg vorausgesetzt. Wie ihn zum Beispiel ihre Lebenspartnerin Nina Horowitz hat. Die macht "Liebesg’schichten und Heiratssachen" für – ORF 2.