Was ist er - und wenn ja, wie vieles?

Polizeiliche Ermittlungen zu Recherchemethoden, Schmerzensgeldforderung eines Spitzenbeamten und Attacken von Talk-Kollegen: Der Druck auf Jan Böhmermann wächst. Doch die Kritik an der Person verdeckt die Risiken des Prinzips

von Medien & Menschen - Was ist er - und wenn ja, wie vieles? © Bild: Gleissfoto

ServusTV wurde 2022 erstmals zum drittstärksten Fernsehprogramm in Österreich. Davor war dies das ZDF. In seiner Heimat hat das Zweite Deutsche Fernsehen 2011 den Privatsender RTL von der Spitze verdrängt. Es erreicht dort im Jahresschnitt 14,5 Prozent Marktanteil - und rangiert in Österreich mit 4,1 Prozent noch klar vor Puls 4, ORF III (je 2,9) und ATV (2,8), die erst auf den Plätzen acht bis zehn folgen. Diese Einordnung wirkt notwendig, um das auch hierzulande große Interesse an Jan Böhmermann zu erklären, der Freitag spätabends das "ZDF Magazin Royale" präsentiert. Die Gesamtquote dafür liegt zwar oft unter dem Senderschnitt, doch beim Publikum unter 50 erreicht er bis zu 30 Prozent. Ein Jungbrunnen für den Altersschnitt wie hierzulande Dirk Stermann und Christoph Grissemann mit "Willkommen Österreich" oder ihr Spin-off Peter Klien meistens parallel zu Böhmermann.

Während die drei Austriaken erst dieser Tage ihre Sommerpause beenden, kämpft der deutsche Brachialsatiriker bereits wieder ein Mehrfrontengefecht. Der Einstieg zu Monatsbeginn hatte die zweitniedrigste Zuschauerzahl der Sendungsgeschichte. Die zweite Herbstausgabe zu ritueller Gewalt zieht polizeiliche Ermittlungen zu den Recherchemethoden nach sich. Der infolge von Böhmermann-Nachforschungen und -Angriffen entlassene Präsident des deutschen Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik fordert Schadenersatz vom Sender. Und zu allem Überdruss nehmen die Star-Talker Markus Lanz und Richard David Precht in ihrem Podcast den Kollegen aufs Korn.

Die letztgenannte Attacke ist auch aus Konkurrenzperspektive zu betrachten: Markus Lanz moderiert von Dienstag bis Donnerstag den gleichnamigen Late-Night-Talk im ZDF. Er gilt als wahres Workaholic-Wunder mit enormer Meinungsstärke. Precht wiederum ist infolge TV-Tauglichkeit Deutschlands Hausintellektueller, für seine Kritiker aber bloß ein Wald-und-Wiesen-Philosoph. Gegen seine Bildschirmpräsenz wirkt Österreichs Pendant Konrad Paul Liessmann geradezu im Elfenbeinturm verschanzt.

All den namentlich Genannten gemeinsam ist eine gesellschaftlich wichtige Funktion: Sie vermitteln einerseits kritisch, zum anderen aber unterhaltsam einem Publikum politische Zusammenhänge, von dem sich viele nicht für diese Themen interessieren, wenn sie in herkömmlicher Art präsentiert werden. Das handwerkliche Spektrum dafür reicht von investigativem Journalismus bis zur plakativen Satire. Das Niveau hat eine ähnlich große Fallhöhe. In den USA sind Comedians aber als politische Multiplikatoren längst so wichtig wie die Anchor(wo)men der ausgewiesenen Nachrichtenformate.

Dieser Beutezug der Komödianten im ernsten Info-Fach macht die umgekehrte Grenzüberschreitung immer attraktiver. Sobald Wissenschaftler wie Peter Filzmaier sich vom akademischen Branchenneid emanzipiert haben, reizt sie auch die leichtere Muse. Sein Spielbein ist der Sport, beflügelt von der Popularität des Politologen. Journalist Armin Wolf hingegen lässt mitunter der Kindheitsvorliebe für Winnetou auch auf der Bühne seinen Lauf. Kollege Florian Klenk erprobt unterdessen immer wieder die Gratwanderung zum Aktionismus. Das Ganze funktioniert nur durch die ursprüngliche Expertise, auf der die Popularität beruht. Herausragend an Böhmermann ist sein Multitalent - das journalistische aber hintan gereiht. Dafür hat er seine Leute. Dass er mit Talkmaster Lanz und Populärphilosoph Precht am gleichen Spielfeld aneinandergerät, ist ein Musterbeispiel für die Durchmischung einst klar unterscheidbarer Zugänge. So lange das Publikum dadurch profitiert, heiligt die Vielfalt die Mittel. Es sollte aber immer klar sein, welchen Hut wer gerade trägt. Wenn der Adressat sich in Abwandlung des Durchbruch-Bestsellers von Precht aber immer fragen muss: "Was ist er - und wenn ja, wie vieles?", dann verwirrt der Absender. Genau das ist ein Erfolgsrezept von Böhmermann. Es funktioniert aber nur auf Basis einer hervorragenden Redaktion, die klar nachrichtlich deklarierten Journalismus schon oft alt aussehen ließ. Erst mit solcher Recherchequalität kann der Frontmann Kommentare extrem hart zuspitzen. Wenn diese Grundlage wackelt, verliert die Oberfläche ihren Glanz. Das macht die Konflikte von Böhmermann so relevant: Es geht um die Balance von Information, Meinung und Show.