Von Lineker zu Wolf und Klenk

Gary Lineker erzwingt geradezu seine Rückkehr als Sportexperte auf den Bildschirm. Die riesige öffentlich-rechtliche BBC hatte ihn von dort wegen eines Tweets verbannt. Doch der Twitter-Star schlug zurück. Ein Lehrbeispiel für neue Machtverhältnisse

von Medien & Menschen - Von Lineker zu Wolf und Klenk © Bild: Gleissfoto

Gary Lineker war ein Weltklasse-Fußballer und ist Großbritanniens populärster TV-Sportexperte. Mit seiner Gage führt er die Liste von externen Honorarempfängern der BBC an. Zuletzt waren es umgerechnet 1,5 Millionen Euro. Diese Zahlen stehen wie die Gehälter der leitenden Angestellten in den Jahresberichten des öffentlich-rechtlichen Medienhauses. Was dort kaum zu lesen sein wird, ist die kurzfristige Verbannung des Stars vom Bildschirm, weil er in einem Tweet die Wortwahl der britischen Regierung zu Flüchtlingen mit Nazi-Rhetorik verglichen hatte. Die Episode endete rasch - mit der triumphalen Rückkehr des 62-Jährigen, dem auf Twitter neun Millionen Menschen folgen.

Das entspricht der Einwohnerzahl von Österreich. Doch das alles ist auch abseits von fußballerischen Qualitäten kaum mit hiesigen Verhältnissen zu vergleichen. Weder Herbert Prohaska, dem Pendant als Ex-Fußballer und TV-Analytiker, noch Armin Assinger, dem beliebtesten Bildschirm-Mutanten vom Sportler zum Experten ist solch ein Tweet zuzutrauen. Nicht nur wegen mangelnden Twitter-Gefolges. So wie der ORF weder die Einkommen der Führungskräfte noch das Salär von Co-Kommentatoren veröffentlicht. Wenn das Lineker-Posting trotzdem in Zusammenhang mit den Social-Media-Regeln beim Austro-Medien-Öffi genannt wird, geht es unausgesprochen um die Dimension Armin Wolf.

Die 590.000 Follower des "ZiB2"-Stars entsprechen einem Fünfzehntel der Bevölkerung Österreichs, Lineker kommt auf ein Siebtel des United Kingdom. Er hat vor allem dadurch gegen die BBC-Führung gewonnen. Was sie als Scharmützel unterschätzt hatte, geriet zur offenen Feldschlacht unter globaler Beobachtung. Twitter ist ein Netzwerk-Zwerg gegen Facebook, aber ein mächtiges Tool. Die Mutter aller öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten konnte nur noch den Rückzug antreten. Aufgrund eines entsprechenden Eskalationsverdachts ist es hierzulande immer bloß bei Muskelspielen geblieben.

Doch das Beispiel Lineker zeigt, wie stark Wolf im Konfliktfall mit dem ORF sein könnte. Das ist infolge seiner journalistischen Qualität ein Glücksfall für die Unabhängigkeitsanmutung des Hauses. Doch es birgt auch Probleme wie die Frage, wer unter dem Feldmarschall der Twitteria als General oder auch nur Chefredakteur im ORF dienen will. Dieses Problem stellt sich bei der Nummer 2 der heimischen Zwitscherei nicht: Denn Florian Klenk ist Miteigentümer (zehn Prozent) und Chefredakteur des kleinen "Falter", dessen Reichweite er aber innerhalb von zehn Jahren schon verdreifacht hat: von 94.000 auf 288.000 Leser. Seine aktuell 340.000 Accounts starke Twitter-Gefolgschaft ist ein Schlüssel dafür.

Während öffentlich-rechtliche Social-Media-Regeln Wolfs Streitbarkeit parteipolitisch einengen, kann Klenk jeden Konflikt austragen, wie es ihm gefällt. Auch das hat ihn zum Twitter-Star gemacht. Doch es braucht keine ungebremste Angriffigkeit, um dem Medium hinter der Personenmarke zu nutzen. Die Reichweite der "ZiB 2" ist von 2015 noch 520.000 auf schon 780.000 Zuschauer im Jahresschnitt gewachsen. Davon ist einiges Ibiza, Corona und der Ukraine geschuldet, aber noch mehr Wolf, Ingrid Thurnher, Martin Thür und Lou Lorenz-Dittlbacher, die durchwegs über sechsstelliges Twitter-Gefolge verfügen. Ihr ORF-Klassensprecher hat in 14 Jahren 116.000 Tweets verfasst - 22,5 pro Tag.

Dass bei Klenk nur hunderte Kurznachrichten stehen, obwohl er auch schon zwölf Jahre zwitschert, täuscht. Er hat im November alle Einträge bis auf einen gelöscht und drei Monate pausiert. Auch des Kleinkriegs mit Links und Rechts müde. Seine Gefechte mit Thomas Walach (einst ZackZack, nun SPÖ) und Richard Schmitt (eXXpress) sind längst Social Media-Geschichte der Politik- und Medienblase - wie auch die Rivalität zu Christian Rainer vom "profil". Nun ist Klenk zurück, schreibt freundlich über die Konkurrenz und präsentiert überwiegend "Falter"-Inhalte. Er will sich nicht mehr provozieren oder verwickeln lassen - auf dieser "süchtig machenden Plattform, die Menschen verändert".

Die Gefahr einer Volksseuche besteht nicht. Höchstens fünf Prozent der Österreicher nutzen Twitter. Die Zahl stagniert. Facebook, Instagram und TikTok haben eine vielfache Reichweite. Doch was Donald Trump bedrohlich bewiesen und Gary Lineker mit der aktuellen Episode gezeigt hat, gilt auch hier: Der Multiplikator-Effekt eines Tweets vermag auch etablierte Politik und Medien in die Knie zwingen.