"Der Spiegel" auf dem "Bild"-Pfad

In Deutschland wechselt "Der Spiegel" rasant die Chefredakteure trotz florierenden Geschäfts. In Österreich müssen die Wochentitel erst ihre digitalen Hausaufgaben erledigen, bevor sie sich solch Hollywood-reifen Luxus à la "Bild" leisten können

von Medien & Menschen - "Der Spiegel" auf dem "Bild"-Pfad © Bild: Gleissfoto

Es hat ausgerechnet einen Hauch von Bayern München, was "Der Spiegel" in Hamburg aufführt. Die an der Isar feuern zur Krönung des neuerlichen Meistertitels ihre Vorstände Oliver Kahn und Hasan Salihamidžić. Der an der Alster ersetzt zur Feier des in der Branche längst unüblich hohen Gewinns Chefredakteur Steffen Klusmann durch Dirk Kurbjuweit. Dass Fußball ein zwiespältiges Verhältnis zu Kontinuität hat, zeigen häufige Trainerwechsel bei andauernden Titelgewinnen. Ob trotzdem oder deshalb, bleibt mangels klarer Belege Spekulation. Das gilt auch für Medien. Da wie dort bröckeln aber meist insgeheim sogar in der Champions League viele Geschäftsmodelle. "Der Spiegel" gilt als eine der stabilsten Ausnahmen: Mit 267 Millionen Umsatz 43 Millionen Gewinn zu machen, stempelt ihn zum Vorzugsschüler einer Branche, in der Renditen unter 20 Prozent einst als schwach galten.

Das liegt vor allem am frühen und konsequenten Einstieg des "Sturmgeschützes der Demokratie" - so sein Gründer Rudolf Augstein (2002) - ins Internet ab Mitte der 1990er-Jahre. Der Publikumserfolg des "Spiegel" im Netz war eine Dekade später der Hauptgrund für den ewigen Rivalen Axel Springer, die Devise "Online First" auszugeben. Der Kulturbruch ohnegleichen in Europas damals noch größtem (Papier-)Zeitungsverlag war Grundlage für dessen aktuelle Strategie "Digital Only". Das Unternehmen will "Weltmarktführer im digitalen Journalismus und bei den digitalen Rubriken-Angeboten werden."

Anders als der nach Berlin gezogene Widersacher ist "Der Spiegel" in Hamburg geblieben und betrieb seine Transformation weniger disruptiv. Aber auch bei ihm kommen schon 38 Prozent des Umsatzes aus dem Digitalgeschäft. Wie die - aufgrund des ursprünglich analogen Wochenrhythmus - direkte Konkurrenz "Focus" und indirekte durch "Die Zeit" liegt sein Onlineangebot neben drei Springer-Angeboten ("Bild","Welt" und "upday") unter den Top Ten des "Paid Contents" in Deutschland. Es gibt für die Hamburger also keinen offensichtlichen Grund, ein ähnlich rasantes Personalkarussell anzuwerfen wie die Berliner. Dort wurde soeben erst wieder die "Bild"-Chefredaktion ausgetauscht.

Dagegen wirken die kleinen österreichischen Entsprechungen wie ein Hort der Beständigkeit. Das gilt sogar für "News", wo sich nach Peter Pelinka (1992-2006) die Chefredakteure die Klinke geradezu die Klinke in die Hand gaben: Kathrin Gulnerits übernahm hier bereits Ende 2018 das Ruder. Florian Klenk hat diese Funktion beim "Falter" sogar schon seit 2012. Und der Wechsel im "profil" zu Anna Thalhammer folgte erst nach 25 Jahren unter Christian Rainer. Beim "Spiegel" hingegen ist seit Stefan Aust (1994-2008) bereits der fünfte Nachfolger (bzw. Teams) am Werk - wie für die "Bild", die dazu nach Kai Diekmann (2001-2015) noch weniger Zeit benötigte. So wie der "Focus" nach Helmut Markwort (1993-2009) zum Durchhaus wurde. Einzig Giovanni di Lorenzo von der "Zeit" ist mit bald 19 Jahren Dienstzeit eine Konstante unter den Chefredakteuren der großen Wochenblätter.

Bei "Weeklys" steht der Schriftleiter - wie es früher hieß - noch mehr im Mittelpunkt als bei "Dailys". Sein primäres Leistungskriterium ist dabei weder zahlenmäßiger Publikums- noch Wirtschaftserfolg. Denn Auflagen wie Reichweiten für Gedrucktes sinken ohnehin, und das digitale Geschäft bringt weniger Geld als das bisherige. Außerdem sind dafür vor allem die Verlagskaufleute zuständig. Die "Job Description" sucht deshalb mehr denn je nach der eierlegenden Wollmilchsau, einer Online- wie Printpublikum vereinenden Leitfigur, die zudem noch fernseh- und podcasttauglich ist. Deshalb hat "Der Spiegel" nun eine seiner klingendsten Journalismusmarken zum Chefredakteur gemacht. Kurbjuweit soll - wie einst Aust Papier und TV - alles integrieren und zudem die Redaktion regieren.

In Österreich vereint unterdessen die Wochenblätter ihre digitale Schwäche. Während die Media-Analyse dem "Falter" 249.000, "profil" 236.000 und "News" 171.000 Leser pro Printausgabe bzw. E-Paper attestiert, spielen sie im täglichen Website-Wettstreit mit 36.000 ("News"), 24.000 ("Falter") und 12.000 Usern ("profil") kaum eine Rolle - unabhängig von Bezahl- oder Gratis-Strategie. Klenk täuscht mit enormer Präsenz auf Twitter und Facebook darüber hinweg, dass ORF und Tageszeitungen den Publikumsmarkt im nachrichtlichen Tagesgeschäft nahezu unter sich aufteilen. In diese Domäne einzudringen, ist die existenzielle Aufgabe der hiesigen Wochenblätter. Wenn das nicht rasch gelingt, wird es hier - anders als in Deutschland - schon bald keine an Hollywood gemahnenden Meldungen über Spitzenpersonalwechsel in Magazinen mehr geben. Weil es diese Magazine dann nicht mehr gibt.