Selbsterklärung vor Haushaltsabgabe

Der Verfassungsgerichtshof erzwingt eine neue ORF-Finanzierung. Die Parteien setzen auf eigene Digitalmedien, statt den öffentlichen Rundfunk anders zu definieren. Seine Nichtnutzer warten auf eine Erklärung, warum auch sie künftig dafür zahlen sollen

von Medien & Menschen - Selbsterklärung vor Haushaltsabgabe © Bild: Gleissfoto

Nicht nur Nutzer herkömmlicher Radio- und Fernsehgeräte müssen künftig für den ORF zahlen. Auch wer seine Programme ausschließlich über Smartphone, Tablet oder Laptop konsumiert, ist ab 2024 gebührenpflichtig. Das sagt der Verfassungsgerichtshof (VfGH). 15 Monate hat die Politik Zeit, um ein Gesetz zu schaffen, das die Streaming-Lücke schließt. Die Höchstrichter begründen ihren Entscheid damit, dass von allen, die grundsätzlich am öffentlichen Diskurs über Rundfunk teilhaben können, keine Gruppe von seiner Finanzierung ausgenommen wird. Das aber sind die reinen Internetnutzer.

Der Weg von der Geräte- zur Haushaltsabgabe wirkt dadurch vorgezeichnet. Sie hätte längst wie in Deutschland und der Schweiz die GIS ablösen müssen. Nun ist Österreich allein im Erklärungsnotstand. Denn ein Großteil der digital bedingten Nichtzahler sind die jüngsten Erwachsenengenerationen. Die wissen zwar, was "Streaming" ist, kennen auch noch "Rundfunk" als Ding aus einer anderen Zeit, halten aber den "öffentlich-rechtlichen Auftrag" bloß für einen unangemessenen Zahlungsbefehl.

Nun werden jahrzehntelange Versäumnisse der Medien- und Bildungspolitik sowie des ORF auf einen Schlag zum gefährlichen Cocktail. 1. Rot-schwarze, schwarz-blaue wie -orange und türkis-blaue wie -grüne Regierungen haben den Parteieneinfluss auf das Unternehmen nie reduziert. 2. Die gleiche unendliche Abfolge von Koalitionen hat den Nachholbedarf an politischer Bildung und Medienkunde sträflich vernachlässigt. 3. Im ORF wurden die Möglichkeiten zur unternehmerischen Expansion besser genutzt als die seltenen Zeitfenster zu langfristig existenzsichernder inhaltlicher Selbstermächtigung.

Von Ibiza bis Corona bot die Informationsleistung Gelegenheiten zur positiven Eigenthematisierung.

Stattdessen wurden Ansätze, sich auf eine Volksbefragung oder gar -abstimmung wie in der Schweiz vorzubereiten, unter Quotenberauschung entsorgt. Nun aber muss man sich erklären. Das beginnt bei der Rolle von Medien für die Demokratie und endet bei der Übereinkunft zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Aber so eng lässt er sich nicht mehr sehen. Der VfGH schreibt über "alle, die über Rundfunk am öffentlichen Diskurs teilhaben können". Das ist seit Jahrzehnten mehr als ORF. Und öffentlichen Nutzen erzeugen Print- und Digitalmedien ebenso wie Rundfunk. Es geht nicht um Haushaltsabgabe statt GIS, sondern: Welche Medieninhalte sind so wichtig, dass wir gemeinschaftlich dafür zahlen?

Die Antwort könnte den ORF so fundamental verändern wie das von der unabhängigen Presse betriebene Rundfunkvolksbegehren 1964. Von den damals zwei Dutzend Tageszeitungen waren 15 Parteiblätter. Nur eines existiert noch, zu den neun anderen kommen heute noch vier weitere. Doch die Parteien lernen nicht aus der für sie teuren Geschichte zur Gewaltentrennung in der Demokratie. Sie setzen durchwegs erneut mehr auf eigene Medien, statt die Unabhängigkeit und Finanzierung des ORF zu stärken - wie es vor 58 Jahren ausgerechnet durch seine Zeitungskonkurrenz geschehen ist.

Anstelle neuer Diskussionsbeiträge zur öffentlich-rechtlichen Medienfinanzierung haben nun auch die Neos ihr eigenes Onlinemagazin "Materie" gestartet. Wie bei SPÖ ("Kontrast") und ÖVP ("Zur Sache") steckt dahinter der Parlamentsklub. Der Pionier solcher digitaler Parteimedien war FPÖ TV. Die Grünen wollen noch heuer mit einem entsprechenden Produkt aus ihrer Parteiakademie "Freda" nachziehen. Dann hätten alle im Nationalrat vertretenen Fraktionen wieder solche Organe, die schon auf Papier trotz transparenter Subventionen und verdeckter Förderungen nicht lebensfähig waren.

Der ORF sowie seine Mit- und Gegenspieler - private und partizipative Medien - harren unterdessen einer tauglichen Regulierung ihres nationalen Markts. Schon 650 Millionen Euro Programmentgelt für öffentlich-rechtlichen Rundfunk bringen ihn in Schieflage. Diese Wettbewerbsverzerrung darf durch Haushaltsabgabe nicht verstärkt, sondern muss gemindert werden - durch Bestimmungserweiterung von Rundfunk auf Medien. Noch schwieriger aber wird es, den vielen, vor allem jüngeren Nichtnutzern des ORF zu erklären, warum auch sie künftig für ihn zahlen sollen. Diesen Kraftakt kann er nicht allein durch entsprechende Inhalte bewältigen, sondern nur gemeinsam mit Politik und Medienkonkurrenz.