Der ORF scheitert
nicht am General

Das Traurigste an der Wahl zum ORF-General ist der Mangel an wahren Alternativen. Die Favoriten kommen durchwegs aus dem Haus. Ihre Konzepte sind unspektakulär. Die Unabhängigkeit der Information gefährdet aber keiner

von Medien & Menschen - Der ORF scheitert
nicht am General © Bild: Gleissfoto

Margit Laufer, Lisa Totzauer und Roland Weißmann haben einiges gemeinsam: Sie arbeiten beim ORF. Sie kamen aus seiner Niederösterreich-Filiale in die Wiener Zentrale. Sie waren einem breiten Publikum vor dem Sommer kaum bekannt. Nun aber ist Laufer ein Ferienzeit-Gesicht der "ZIB 2", will Totzauer Generaldirektorin werden und glaubt Weißmann, dass er Generaldirektor wird. Während Alexander Wrabetz hofft, dass er den Posten behält. Die Öffentlichkeit für diese Vorgänge bildet sich gegenteilig zur Bedeutung der Geschehnisse. Am meisten steht Laufer im Rampenlicht, weil die "ZIB 2" sogar in der Hitzewelle mitunter 700.000 Seher anlockt. Die 31-Jährige hat ihre Chance bestmöglich genutzt. Sie moderiert derart souverän, dass viele Zuschauer sich fragen, warum "eine Ausweitung des 'ZiB 2'-Teams auf Dauer nicht geplant" ist - wie ein ORF-Sprecher vorbeugend verkündet hatte. Das Trio Armin Wolf, Lou Lorenz-Dittlbacher und Martin Thür bringt zwar Quoten, verträgt in seiner Zusammensetzung aber durchaus mehr Quote.

Lisa Totzauer, 51, hingegen ist dafür zuständig, dass ORF 1 wieder bessere Quoten erzielt und jüngeres Publikum bekommt. Als Channelmanagerin hat sie diese Quadratur des Zielgruppenkreises ursprünglich unterschätzt und sich erst nach langem Zaudern doch zur Generalsbewerbung entschlossen - aber nicht, weil ihre Programmsanierung nur verzögert zu wirken beginnt, sondern weil ihr Rückhalt in der Volkspartei schon besser war. "Der Widerspenstigen Zähmung" ist kein beliebtes Stück im türkisen Repertoire. Also versucht die ÖVP die Einschwörung auf Roland Weißmann, 53, den Chefproducer mit einem 400-Millionen-Euro-Etat. Infolge der mehrheitlich zur Volkspartei neigenden Stiftungsräte sollte damit der nächste General fix sein. Denn Abtrünnige von der Parteilinie würden in der offenen Wahl sofort erkannt. Genau darin lauert aber ein Unsicherheitsfaktor. Die Orchestrierung für Weißmann war so offensichtlich, dass sie offiziell unabhängige, aber folgsame Stiftungsräte zu türkisen Handlangern brandmarken könnte. Zudem hat Totzauer in der ÖVP-Hochburg Niederösterreich ebenso gute Netzwerke wie ihr Rivale. Dieser ist trotz Riesenbudgets ein unbeschriebenes Blatt. Er galt lange nur als Wegbegleiter von Richard Grasl, dem Wrabetz 2016 unterlegenen früheren kaufmännischen Direktor.

Weißmann vermittelt nicht offensiv jene Führungsstärke, die Totzauer oft erkennen lässt. Das hat er mit Wrabetz gemein, der aber 2006 mit ähnlichem Vorbehalt gewählt wurde. Falls Weißmann ihn ablöst, wäre dies vor allem ein politischer Farbenwechsel. Für die umfassende Reorganisation des Hauses auf neuer gesetzlicher Basis und mit viel Widerständigkeit gegen parteiliche Begehren haben sich beide nicht besonders empfohlen. Dass Totzauer den legendär aufsässigen Langzeit-ORF-Chef Gerd Bacher als Vorbild nennt, verweist schon eher auf Eigenständigkeit. Doch Wrabetz könnte in seiner letzten Periode auch endlich rücksichtslos nur für das Unternehmen agieren.

Die Befürchtungen, die eine oder andere Entscheidung könnte die Unabhängigkeit der Information beeinträchtigen, wirken unangebracht. Für deren Qualität stehen journalistische Galionsfiguren wie Wolf, Lorenz-Dittlbacher und Thür, die nächste Generation mit Tobias Pötzelsberger und Margit Laufer, aber auch ein Chefredakteur wie Matthias Schrom. Er muss für seine Auftritte viel persönliche Kritik einstecken, wirkt aber hinter den Kulissen als Prellbock und Ermöglicher.

Parteiliche Zugriffe sind ein kaum zu behebender Systemfehler des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Er funktioniert trotzdem, weil kritischer Journalismus vor inneren Angelegenheiten nicht Halt macht. Dafür gibt es heute mehr Möglichkeiten einer breiten Öffentlichkeit als früher. Gefährdet wäre der ORF erst durch den Irrglauben, es brauche ihn nicht mehr. Ein kommerziellen Zwängen entzogenes und primär dem gesellschaftlichen Gemeinwohl verpflichtetes Medium ist wichtiger denn je.