Der eingeschränkte rote Medienhorizont

Wer "Krone", "Heute" und "Österreich/oe24" als "Wiener Boulevard" vereinheitlicht, verkennt die Unterschiede zwischen den Blättern. Wer sie als ausreichende nationale Politikplattform neben dem ORF sieht, verkennt die regionalen Medienlandschaften

von Medien & Menschen - Der eingeschränkte rote Medienhorizont © Bild: Gleissfoto

Christian Kern beklagt gegenüber dem "Spiegel" die "methodische Unterwerfung wesentlicher Teile der Medienlandschaft". Das Nachrichtenmagazin hatte vier Jahre zuvor schon Heinz-Christian Straches Ibiza-Traum, die "Kronen Zeitung zu übernehmen", publik gemacht. Den roten und blauen Ex eint dabei mehr als die - für den einen freiwillige und gegen den anderen erzwungene - deutsche Auftrittsplattform. Sie verstärken letztlich beide ein Zerrbild der österreichischen Medienlandschaft.

Was bei der FPÖ aus dem Journalismus-Feindbild entsteht, besorgt in der SPÖ ein verengter Horizont. Volle Konzentration auf "Krone", "Heute", "Österreich/oe24" war ursprünglich vor allem die zentrale Kommunikationsstrategie der Sozialdemokratie. Sie hat wie die Volkspartei den ORF weit über die historische Realität hinaus als ihr Eigen betrachtet. Doch in der SPÖ wurde diese gewohnheitsmäßige Fehleinschätzung - anders als von ÖVP und FPÖ - dann noch durch einen Doppelfehler verschärft: 1. Fortschreibung der parteilichen Pressekonzentration auf die Metropolregion und damit Schwächung der föderalistisch staatstragenden Funktion. 2. Langjährige Unterschätzung von Social Media.

Den Schwarzen blieb der erste, den Blauen der zweite Fehler erspart. Jeweils nicht aus strategischer Überlegenheit, sondern notgedrungen: In den traditionell starken Volkspartei-Regionen im Westen und Süden gab es immer schon stärkere Bundesland-Blätter als die "Krone", die in Niederösterreich und im Burgenland ohnehin keine eigene Tageszeitung aufkommen ließ. Das gilt auch heute jenseits der Ostregion, wo "Österreich/oe24" und "Heute" keine Rolle spielen. Die FPÖ hingegen ist - mit Ausnahme der gegenseitigen Umgarnung von Jörg Haider und "Krone" - nie aus ihrer Ins-Eck-Stellung durch Medien herausgekommen, die dem kritischen Journalismus verpflichtet sind. Folgerichtig erkannte und ergriff sie als erste die Chance neuer Parteikanäle durch Social Media.

Wenn jetzt die Medien- und Korruptionsstaatsanwaltschaft von einer "korruptiven Verflechtung zwischen politischen Akteuren und Medienverlegern" spricht und Kern dem "Spiegel" sagt, "Kurz und seine Freunde haben 2017 die Wahlen manipuliert", ist das schon unabhängig vom Ergebnis der Ermittlungen ein schreckliches Sittenbild für eine Demokratie. Doch der Ex-Kanzler verschweigt, dass seine Partei diesen Popanz über Jahrzehnte erst zu seiner heutigen Größe angefüttert hat. Und er offenbart ein ungebrochenes Zerrbild der Medienlandschaft durch das Zitat: "Die auflagenstärksten Zeitungen waren aktiver Teil der Kurz-Kampagne." Ja, das sind "Krone", "Heute", "Österreich/oe24". Doch für Deutschland wirkt das doppelt missverständlich, weil es einerseits kein Gratiszeitungsmarkt ist und zum anderen dort die "harte Währung" der Verkaufsauflage immer schon die wichtigste Messlatte für Printmedien war. Nach diesem Kriterium aber ist die "Kleine Zeitung" die Nummer 2 hinter der "Krone". Mittlerweile gilt das auch wieder für die Reichweite, also Leserzahl. Dem vor allem in der Steiermark und Kärnten enorm starken Kleinformat werden für 2022 von der Media-Analyse 656.000 attestiert, dem in der Ostregion verbreiteten Gratisblatt "Heute" 624.000.

Was wie eine Lappalie für Spezialisten erscheint, enthüllt eine grundsätzliche Schwäche der Sozialdemokratie. So wie ihr Medienverständnis vom Wiener Boulevard geprägt ist, der sich wie schon von Haider auch von Sebastian Kurz zur Untreue verführen ließ, so endet das Österreich-Bewusstsein der Genossen allzu oft am Mondsee. Zumindest seit Gabi Burgstaller nicht mehr Salzburger Landeshauptfrau ist. Also seit zehn Jahren. Die parallel gesunkenen Wahlergebnisse und die soeben formierte West-Allianz innerhalb der SPÖ sind auch Indikatoren dieser Hintanstellung. Georg Dornauer, David Egger, Michael Lindner und Sven Hergovich, die roten Parteichefs von Tirol, Salzburg, Ober- und Niederösterreich, wollen einen Ausgleich zu dieser Ost-Dominanz schaffen. Dazu benötigen sie entsprechende Medien-Wahrnehmung. Für die West-Allianz war sie bisher in "TT", "SN" ,"OÖN", "Standard" und sogar "Kurier" stärker als in "Krone", "Heute" und "Österreich/oe24". Es mag nur ein Aspekt sein, aber er ist unverzichtbar: Die SPÖ hat erst dann wieder eine wirkliche nationale Mehrheitschance, wenn sie ihren Medienhorizont um die regionalen Teilrealitäten erweitert.