Die Media-Analyse und die Welt von gestern

Diese Kolumne heißt "Medien & Menschen". Die Namen von Letzteren suchen Sie diesmal vergeblich in Fettdruck. Denn hier geht es um Sie und alle, die Magazine und Zeitungen nutzen. Wie viele oder welche Leser sie haben, ist eine Existenzfrage

von Medien & Menschen - Die Media-Analyse und die Welt von gestern © Bild: Gleissfoto

Am Donnerstag, Punkt 10 Uhr, ist die Media-Analyse (MA) 2022 erschienen. Nach Redaktionsschluss dieser Kolumne. Die MA gehört zu den österreichischen Ausnahmefällen, von denen nichts vorab publik wird. Lediglich die teilnehmenden Zeitungen und Magazine wissen bereits früher, wie sie abschneiden - aber nichts über die Mitbewerber. Es sei denn, sie sagen es sich gegenseitig.

Die MA ist die umfangreichste kontinuierliche Marktforschung, die es in Österreich gibt. Seit 1965 erhebt sie, wie viel Publikum die Printmedien haben. Seit einigen Jahren inklusive E-Paper-Nutzung. Genau das ist ein Grund, warum ihre Methodik wieder einmal geändert wird. Denn die Erweiterung der Fragestellung hat ihre Fehleranfälligkeit erhöht. Zuletzt hätte demnach der "Standard" pro Exemplar acht Leser haben sollen. Das glaubt niemand. Nicht einmal seine Macher. Trotzdem zweifelt es kaum jemand öffentlich an. Denn dadurch ginge Glaubwürdigkeit verloren.

Die Branche zahlt immerhin zwei Millionen Euro für die MA, die früher auch Fernsehen, Radio und Plakate einbezogen hat. Heute ist sie wie eine Zeugnisverteilung der kleinste gemeinsame Nenner für Medien verlegerischer Herkunft. 15.000 rund einstündige Interviews pro Jahr sollen sie unangreifbar machen. Nicht nur das eingangs genannte Beispiel zeigt: Sie ist es trotz des enormen Aufwands nicht. Doch die werbetreibende Wirtschaft braucht belastbare Daten als Entscheidungshilfe, wo sie Inserate schaltet. Bessere Zahlen als jene aus der MA gibt es dazu nicht. Ähnliches gilt für den Radio-und Teletest für Hörfunk und Fernsehen, die in der digitalen Ära auch an ihre Grenzen stoßen.

Umgekehrt pflegen die Online-basierten Medien weiterhin ein Vermittlungsproblem. Studien wie die Web-Analyse ÖWA beruhen auf harten Daten, verbreiten aber seit jeher vor allem Monatswerte. Das gilt auch für Eigenangaben der digitalen Riesen von Facebook bis YouTube. Zeitungen, Radios und TV-Anbieter hingegen vermitteln ihre Tagesreichweiten. Welchen Unterschied das ausmacht, zeigt ein Vergleich am Beispiel des ORF: Seine Website verzeichnet 5,4 Millionen sogenannte Unique User - pro Monat. Wöchentlich sind es nur 2,9 Millionen, täglich 1,2 Millionen. Die Fernsehangebote haben aber eine Tagesreichweite von 3,9 Millionen und die Radioprogramme sogar 4,6 Millionen Hörer.

Auch die Media-Analyse 2022 ist also kein Abbild der Welt von gestern. Allein die papierene "Krone" hat pro Tag wesentlich mehr Leser als orf.at User. Der Wandel wird zwar rasant kommen, doch Österreich ist im internationalen Vergleich eine der stärksten Hochburgen des herkömmlichen Medienkonsums. Das gilt für den gelichteten Blätterwald wie den sogenannten Rundfunk. Noch verzeichnen alle hiesigen Zeitungen und Magazine mehr Print-Nutzer als Digital-User; ausgenommen nur der "Standard", wenn es realistische Daten zu seiner Analognutzung gäbe. Das Bild wird aber auch durch sein echtes Gratisangebot - im Gegensatz zum nur vermeintlichen des mit Gebühren finanzierten ORF - im Vergleich zu den allseits hochgezogenen Online-Bezahlschranken verzerrt.

Die wichtigeren Fragen lauten jedoch: Wird gelesen oder geblättert? Wird geschaut oder läuft bloß das Gerät? Das digitale Mediennutzungsverhalten lässt sich hingegen bereits sehr detailliert messen. Hauseigene Daten bleiben aber unter Verschluss, denn sie sind die Basis für publizistische Strategien im Netz. Unterdessen wird auch in Österreich schon mehr Geld für Einschaltungen bei Google, Facebook, TikTok &Co. ausgegeben als für Inserate und Spots in heimischen Medien. Ihr Geschäftsmodell verschiebt sich zwangsläufig immer weiter weg von Werbeeinnahmen - hin zu Abos und Paywalls. Damit diese funktionieren, braucht es kaufwürdigen Inhalt. So gesehen zeigt die MA 2022 doch die Welt von gestern. Nicht die größte Reichweite punktet künftig am meisten, sondern wer seinem Publikum am meisten wert ist. Kleine Zielgruppen haben die größten Budgets. Eine solche Verengung aber ist der Todesstoß für Massenmedien, die auf gutem Journalismus basieren, der viel kostet.