Doskozil und die Chefredakteure

Die Zeichen für den Medienmarkt stehen auf Sturm. Die Chefredakteure der Zeitungen warnen vor Verlust der Vielfalt. Das Burgenland fordert mehr politische Unabhängigkeit in der Kontrolle des ORF. Das Rundfunkvolksbegehren von 1964 lässt grüßen

von Medien & Menschen - Doskozil und die Chefredakteure © Bild: Gleissfoto

Die Einschläge kommen näher. Während der ORF sein Redaktionsstatut feiert, den Newsroom bezieht, digitale Freiheit sucht und Streaminggebühren haben will, geraten seine aktuelle Konstruktion wie Pläne zur künftigen Position ständig stärker unter Beschuss. Mit der Verfassungsbeschwerde des Burgenlands gegen die politische Kaperung und der Warnung des Vereins der Chefredakteure vor Gefährdung der Medienvielfalt erreicht der Konflikt eine Eskalation von historischer Dimension:

1. Weil sich dieser exklusive Klub von Spitzenjournalisten äußerst selten an die Öffentlichkeit wendet. Noch ungewöhnlicher wirkt, dass sogar "Krone"-Chefredakteur Klaus Herrmann an Bord ist. Denn die stärkste Zeitung des Landes schert sonst meistens aus. Also Alarmstufe Rot. Auch dass sogar das "Oberösterreichische Volksblatt" der dortigen ÖVP mitspielt, ist nicht bloß schwarzer Humor.

2. Weil das Bundesland mit der geringsten Bevölkerungszahl seine Initiative mit der größtmöglichen Drohung erläutert. Es erinnert daran, dass ein publik gewordenes Geheimabkommen der Koalition zur Aufteilung der Kontrolle über den ORF zum legendären Rundfunkvolksbegehren von 1964 geführt hat - zur "Entpolitisierung des Rundfunks, Verhinderung des Proporzes, mehr Unabhängigkeit". So wie in der Resolution der Medienmacher das Wort "Parteien" fehlt, erwähnt die Aussendung zur Verfassungsbeschwerde keine "Chefredakteure". Erst ihr Zweckbündnis unter Hugo Portisch hat einst den Erfolg bewirkt. Wenn heute Martina Salomon ("Kurier") gemeinsam mit Florian Klenk ("Falter") agiert wie Rainer Nowak ("Presse") mit Martin Kotynek ("Der Standard"), erinnert es an die Allianz von damals - nicht gegen den ORF, sondern für einen unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Gegenüber der privaten Zeitungen und Sender in einem fairen dualen Mediensystem.

Das wurde vor 58 Jahren erreicht und ist beides nicht mehr gegeben. Die Kontrolle des ORF unterliegt strukturell zu stark den Regierungsparteien. Seine Doppelfinanzierung durch Gebühr und Werbung sowie inhaltliche Ausweitung per Internet und Spartensender untergraben in Kombination mit den globalen digitalen Kraken die Rahmenbedingungen seiner Mitbewerber. Die Medienpolitik reagiert darauf seit Jahren bloß mit Ankündigungen, während die Nutznießer neuer Technologien Tatsachen schaffen. Das hat schon vor den Bundeskanzlern Karl Nehammer, Alexander Schallenberg , Sebastian Kurz, Brigitte Bierlein, Christian Kern, Werner Faymann und Alfred Gusenbauer begonnen. Facebook und Twitter entstanden noch während der Regierung von Wolfgang Schüssel. Seit 2006, dem Jahr seiner Ablöse, sind Hubert Patterer ("Kleine Zeitung") und Manfred Perterer ("Salzburger Nachrichten") bereits Chefredakteure; Christian Rainer ("profil") sogar schon seit 1998 - ein Rekord für überregionale Medien im deutschsprachigen Raum. Sie haben mehr Erfahrung in dieser Position als alle Landeshauptleute in ihrer Funktion. Dagegen wirkt Medienministerin Susanne Raab wie eine Eintagsfliege. Das sollte der Bundesregierung ebenso zu denken geben wie die Stellung von Hans Peter Doskozil. Mit 49,9 Prozent hält seine SPÖ den aktuellen Landtagswahlrekord . Und die Sozialdemokraten führen seit Monaten haushoch in allen bundesweiten Umfragen.

Das Burgenland ist neben Nehammers politischer Heimat, Niederösterreich, wo Johanna Mikl-Leitner die ÖVP zu 49,6 Prozent geführt hat, die Diaspora der Zeitungsmacher. Nur diese einzigen noch mit absoluter Mehrheit regierten Bundesländer verfügen über kein eigenes Tagblatt. Das sagt etwas über Medien und Demokratie, zeigt aber auch, dass der rote Doskozil keinen Pakt mit der Druckerschwärze sucht. Wenn zwei so unterschiedliche Akteure wie das Burgenland und die Chefredakteure von verschiedenen Seiten die türkisgrüne ORFanisierung angreifen, bedeutet es nicht nur für die überforderte Medienpolitik "Maschine brennt!" In Folge des Rundfunkvolksbegehrens kam es 1966 zum großen politischen Wechsel von der großen Koalition zur Alleinregierung. Diese Parallele wird es nicht geben. Doch den Anfang vom Ende einer Regierung kann eine breite ORF-Initiative bedeuten.