"#Me Too"-Debatte erreicht China

Breite Diskussion über sexuelle Gewalt trotz Zensur in der Volksrepublik

von

Ermutigt durch die "#Me Too"-Debatte im Westen, traute sich Luo Anfang Jänner, ihre Geschichte öffentlich zu machen. Innerhalb weniger Stunden lasen drei Millionen Menschen ihren Eintrag auf Weibo, dem chinesischen Pendant zu Twitter.

Das große Interesse habe sie "verblüfft", sagt Luo. Denn vorher hatte die "#Me Too"-Kampagne in China nur wenig Beachtung gefunden. Doch mit der Geschichte des Professors, der sich unter dem Vorwand, er brauche Hilfe beim Blumengießen, an seiner Studentin verging, änderte sich das schlagartig. Immer mehr Frauen berichten nun trotz staatlicher Zensur unter den Hashtags "Me Too" und "Me Too in China" von ihren Erfahrungen mit sexueller Gewalt.

Luos Enthüllung wurde nicht nur landesweit bekannt, sie hatte auch Konsequenzen: Der Informatikprofessor Chen Xiaowu an der Beihang-Universität in Peking verlor seinen Posten als stellvertretender Direktor des Instituts für Aufbaustudiengänge. Eine Untersuchung war zu dem Schluss gekommen, dass er mehrere Studentinnen sexuell belästigt hatte.

Mehr als 50 Professoren von mehr als 30 Hochschulen solidarisierten sich mit den Opfern und unterzeichneten ein Manifest gegen sexuelle Übergriffe. Das Bildungsministerium erklärte, es gebe "null Toleranz" gegenüber den Tätern und kündigte an, neue Mechanismen zur Vorbeugung sexueller Übergriffe einzuführen. "Die Reaktion des Ministeriums war wirklich eine Überraschung, damit geht unser Land eine Verpflichtung ein", sagt Luo.

In China gibt es bisher nicht einmal eine rechtliche Definition, was als sexuelle Belästigung gilt, und auch keine landesweiten Regelungen für den Umgang mit sexueller Gewalt in Bildungseinrichtungen und am Arbeitsplatz. Sexuelle Übergriffe sind ein heikles Thema in der Volksrepublik. Die Politik wird von Männern dominiert, unter den 25 Mitgliedern des kommunistischen Politbüros ist eine einzige Frau.

Mehrere Funktionäre wurden bereits wegen Vergewaltigung Minderjähriger verurteilt. "Viele Amtsträger in China behandeln Frauen wie Spielzeug zu ihrem Vergnügen", sagt die Menschenrechtsanwältin Guo Jianmei. "Es ist beinahe unmöglich, jemanden wegen sexueller Belästigung zu verklagen, weil die Gerichte keinen Rahmen für den Umgang mit solchen Fällen haben."

Während die "#Mee Too"-Debatte im Internet in China an Fahrt gewinnt, haben die Behörden begonnen, einige Einträge in den sozialen Online-Netzwerken zu zensieren. Vor einigen Tagen wurden hunderte Posts unter dem Hashtag "Me too in China" gelöscht und Foren zu dem Thema geschlossen.

"Entschlossene Nutzer können in neuen Kanälen weiter diskutieren", sagt Sandra Fu, die die Vorgänge auf chinesischen Internetseiten für die Online-Zeitung "China Digital Times" von den USA aus beobachtet. Sie spricht von "sanfter Zensur".

Dennoch berichten auch staatliche Medien weiter über das Thema. Die englischsprachige "Global Times" ließ Missbrauchsopfer zu Wort kommen, die von Zensur und Bedrohung erzählten. Inzwischen gebe es mehr Sensibilität für das Thema, sagt Zhang Yajun, Autorin eines Podcasts in Peking.

"Als ich jung war, kannte ich den Begriff der sexuellen Belästigung gar nicht. Wenn ein Chef auf Geschäftsreise mitten in der Nacht an die Tür meines Hotelzimmers klopfte, kam ich gar nicht auf die Idee, jemandem davon zu erzählen", sagt Zhang. "Jetzt gibt es plötzlich diese breite Diskussion darüber."

Kommentare