Versprochen, gebrochen

von Renate Kromp © Bild: Ian Ehm/News

Liegen bei Ihnen zuhause gerade die Nerven blank? Dann haben Sie wohl ein Kind in einer Maturaklasse. Bis Sonntag müssen angehende Maturantinnen und Maturanten in Wien und Niederösterreich ihre vorwissenschaftliche Arbeit abgeben. In den übrigen Bundesländern ist etwas länger Zeit. Für hilfsbereite Eltern heißt das: die rund 30 Seiten Text auf Tipp-und Beistrichfehler durchzulesen und bei nötigen inhaltlichen Nachbesserungen zumindest moralische Unterstützung zu leisten. Dass just vor solch wichtigen Abgaben Computer, Internet, Drucker oder alle zusammen streiken, ist ja fast ein Naturgesetz.

Wer das überstanden hat, steht schon vor dem nächsten Problem. Oft noch bevor man die Matura überhaupt geschafft hat, muss man sich für die Aufnahmeverfahren für diverse Studien an Universitäten und Fachhochschulen anmelden. Nicht umsonst listet die Plattform aufnahmeprüfung.at nicht nur die härtesten Tests, sondern auch gleich jene Anbieter auf, die die Bewerber, gegen Bezahlung natürlich, auf diese Prüfungen vorbereiten. Wenn nun die Regierung die Studienplätze an allen Unis beschränken will und Rektorenchef Oliver Vitouch Aufnahmeverfahren für alle Studien fordert, ahnt man, dass sich da ein neuer Nachhilfe-Geschäftszweig etablieren wird.

Es ist ein Kuriosum der Bildungspolitik: Jahrelang wurde gestritten, wie man die Matura quer durch alle Schulen und Bundesländer vergleichbar machen kann. Heraus kam die Zentralmatura, die kaum einer mag. Alle Schüler bekommen zur gleichen Zeit die gleichen Beispiele vorgesetzt und fürchten sich wie eh und je vor dieser letzten Prüfung. Eltern und Lehrende beklagen, dass durch das formalisierte Verfahren klassische Bildungsinhalte dem reinen Abarbeiten von vorgegebenen Prüfungsfeldern geopfert würden.

Und während man die Matura reformierte, wurde sie immer weniger wert und hält für die Schüler nicht mehr, was sie verspricht. Früher standen einem mit diesem Zeugnis in der Tasche nahezu alle Möglichkeiten offen. Man konnte alles studieren und - gut, das ist eine Weile her - war auch als Arbeitskraft in einem Büro gerne gesehen. Heute gibt es die Auslese vor dem Studium, und Maturanten, die am Arbeitsamt vorstellig werden, wird wohl kaum der rote Teppich in interessante Unternehmen ausgerollt werden.

Wozu gibt es die Matura eigentlich noch? Warum reicht nicht das positive Zeugnis der letzten Klasse?

Indigene Völker schicken ihre Jungen zum Erwachsenwerden als Initiationsritus alleine in den Busch, wo sie sich beweisen müssen. Die Matura ist eine Art Initiationsritus in kulturell abgewandelter Form. Doch bedenkt man die Umstände, könnte man die Jugendlichen heute zum Härtetest auch ohne Smartphone in den Wald schicken.

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