Test: Im Endeffekt großartig

Rollenspiel-Experte Bioware macht im letzten Teil der Sci-Fi-Trilogie fast alles richtig.

Kriegsheld Commander Shepard tritt wieder zum Dienst an: Das Action-Rollenspiel Mass Effect 3 ist für Konsole und PC im Handel eingeschlagen und läutet das Finale der dreiteiligen Space Opera ein. Und mit der Invasion einer vermeintlich unbesiegbaren Spezies auf der Erde könnte es nicht dramatischer beginnen. NEWS.AT hat sich angesehen, ob die neuen "Schäferstündchen" im Weltraum an die packenden Vorgänger anknüpfen können.

von Mass Effect 3 - Test: Im Endeffekt großartig © Bild:

Die Ankunft der Reaper war also unvermeidlich. Alle 50.000 Jahre, wenn eine Zivilisation ihren Höhepunkt erreicht hat, bricht ein organisches Maschinenvolk aus dem Nichts über die Galaxie herein, um alles Leben auszulöschen. Was in Mass Effect 1 und 2 wohldosiert angedroht wurde, mündet zu Beginn des neuesten Abenteuers gleich in eine Invasion dutzender Reaper-Schiffe auf die Erde. In beklemmender Inszenierung rettet sich Hauptcharakter Shepard in letzter Sekunde an Bord seines Raumschiffes Normandy und bekommt schnell noch den allmächtigen Specter-Status der Allianz umgehängt, um fortan Verbündete im Krieg und einen Ausweg aus der bevorstehenden Vernichtung der Galaxie zu finden.

Traum für Fans, Qual für Neueinsteiger
Um eines gleich vorwegzunehmen: Wer die ersten beiden Teile nicht gespielt hat, sollte dies idealerweise nachholen, bevor er sich in dieses Weltraum-Finale stürzt. Nicht dass Mass Effect 3 ohne den empfehlenswerten Spielstand-Import der ersten beiden Teile unspielbar wäre. Es ist nur so, dass das Action-Rollenspiel ohne dem Verständnis und der Tragweite der vorangegangenen Entscheidungen nicht ganz so packend ist und im schlimmsten Fall sogar verwirrend sein kann.

Das ist auch deshalb von Bedeutung, weil dem Spieler sonst häufig das Hintergrundwissen zu den im Spiel vertretenen Rassen fehlt, die es im Kampf gegen die Reaper möglichst zahlreich zusammenzuführen gilt, um die Chance auf den finalen Sieg zu erhöhen. Was hat es mit der Genophage auf sich? Wer sind die Protheaner? In welchem Verhältnis steht Shepard zur Geheimorganisation Cerberus? All diese Fragen lassen sich zwar in einem übersichtlichen Archiv nachblättern, in den Vorgängern wurde man aber direkt damit konfrontiert und kann es sofort aus dem Gedächtnis kramen.

Entscheidungen über Entscheidungen
Auf der Reise durch die Galaxie gibt es schließlich neben dutzenden Missionen auch aberdutzende Entscheidungen für Commander Shepard zu treffen, um sogenannte Kriegsaktivposten für die letzte Schlacht gegen den Feind zu sammeln. Das Treffen alter Bekannter ist dabei selbstredend vorprogrammiert.

Ein wenig schade: Die überwiegend in Dialogen zu fällenden Entscheidungen sind nach zwei durchgespielten Abenteuern recht durchschaubar geworden. Auch der Umstand, dass die gewonnenen Kriegsaktivposten tatsächlich erst am Ende des rund 40 Stunden dauernden Spiels zum Tragen kommen und nicht davor schon zum taktischen Einsatz einladen, hätte unter Umständen fordernder gelöst werden können.

Uuuuund Action!
Am Kampfgeschehen hat Bioware im Vergleich zu Mass Effect 2 nicht allzu viel verändert: Dem (jetzt maximal auf Stufe 60) auflevelbaren Shepard stehen nach wie vor je nach gewählter Klasse ein Set an Waffen und Fähigkeiten sowie zwei prinzipiell autonome, aber befehligbare Begleiter zur Verfügung. Auch der ständige taktische Wechsel zwischen Deckung suchen, Angriff und Team-Kombination der Fähigkeiten ist gleichgeblieben. Neu hinzugekommen ist Bewegungsrepertoire, bei dem Shepard an manchen Stellen nun auch springen und von Deckung zu Deckung rollen bzw. hechten kann, was gewissermaßen ein leicht differenziertes Spielgefühl hervorruft.

Im Test machte der "Run'n'Gun"-Stil über weite Strecken Spaß wie im Vorgänger zuvor auch, im Nachhinein betrachtet hätte er aber ein wenig mehr Abwechslung vertragen können. Die Levelarchitektur mag vertikal gewachsen sein, ist jedoch fast noch linearer als bei den Vorgängern. Der höchste wählbare Schwierigkeitsgrad ("Wahnsinn") förderte zudem die Problematik zutage, dass sich der Deckungswechsel zeitweise als recht fummelig und die Positionsbestimmung der Verbündeten als unpräzise erwiesen.

Bei niedrigeren Schwierigkeitsgraden mag es irrelevant sein, wenn die Deckung nicht sofort eingenommen wird oder der Charakter nicht sofort an die vorgegebene Position eilt, weil man ohne weiteres Angriffe einstecken kann. Auf "Wahnsinn" ist es allerdings nervig, wenn man die richtigen Kommandos in den Controller hämmert und etwa wegen des Hängenbleibens an einer Kante mit dem Ableben eines Charakters abgestraft wird. Das kann aber als Jammern auf hohem Niveau bezeichnet werden.

Fremdkörper Mehrspieler-Modus
Eine gute und eine schlechte Nachricht für Fans, denen der angekündigte Mehrspieler-Modus im Vorfeld ein Dorn im Auge war: Man versäumt prinzipiell nichts Aufregendes, wenn man den Modus auslässt. Allerdings lässt sich für Perfektionisten nur so die Bereitschaft der gesammelten Kriegsaktivposten in der Kampagne erhöhen, die ansonsten immer bei überschaubaren 50 Prozent bleibt.

Interessant daran ist noch, dass dieses Erhöhen nicht nur online auf Konsole und PC, sondern auch via iPad oder iPhone mit einem eigenen Spiel (Mass Effect Infiltrator) möglich ist. Auf den herkömmlichen Plattformen können sich bis zu vier Spieler kooperativ Angriffswellen stellen, deren Überwindung eben mit mehr Bereitschaft, mehr Charakteren und mehr Ausrüstung vergütet wird.

Leider ist dieses Spielerlebnis im Vergleich zur Kampagne aber auch im Vergleich zur Shooter-Konkurrenz nicht wirklich überzeugend. Die Optionen im Kampf wirken kastriert und das Geschehen gestaltet sich nicht selten ein wenig unübersichtlich. Dieser Ansatz war unterm Strich einen Versuch wert, herausgekommen ist jedoch vernachlässigbarer Durchschnitt, der nicht zum hohen Qualitätsanspruch des restlichen Spiels passt.

NEWS.AT-FAZIT
Die letzte Odyssee der Sci-Fi-Trilogie untermauert die Qualität seiner Vorgänger: Wo Mass Effect drauf steht, ist erstklassige und tiefgreifende Science-Fiction drin. Mag sein, dass die Spielbarkeit vereinzelt Schwächen aufweist und wirkliche Überraschungen in den Dialogoptionen nach drei Teilen ausbleiben. Die Kombination aus (nach wie vor) adrenalingeladenen Gefechten, ausreichender Gestaltungsfreiheit innerhalb der Galaxie und toller Präsentation reißen den Spieler aber wieder von Beginn an mit.

Nicht zuletzt hat Bioware mit der Mass Effect Trilogie ins Leben gerufen, was bislang keinem Videospiel in diesem Ausmaß gelungen ist: Nämlich ein wunderbar interaktives Universum, das hinsichtlich Glaubwürdigkeit und Komplexität auf Augenhöhe mit den großen Space Operas wie Star Wars und Star Trek steht. Bleibt zu hoffen, dass die nächste Trilogie analog zum Fortsetzungsreigen der Leinwand-Kollegen nur eine Frage der Zeit bleibt.