"Großes Glück, wenn
das nun das Ende wäre"

Nach den Masern-Fällen am LKH Graz hat die Kinderklinik 27 von 28 vorsorglich behandelten Säuglingen bis Mittwoch wieder entlassen. Fünf neue Verdachtsfälle wurden am Mittwoch ins LKH bestellt.

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Masern - "Großes Glück, wenn
das nun das Ende wäre"

Die behandelten Babys waren einer Therapie mit Immunglobulinen unterzogen worden. Bei einem Baby bestehe der Verdacht einer Infektion, das Laborergebnis sei aber noch ausständig. Zudem wurden seitens der Klinik elf weitere Eltern kontaktiert, deren Babys mit dem Virus in Kontakt waren. Von ihnen kommen nun laut LKH fünf Säuglinge zur Therapie mit Immunglobulinen in die Kinderklinik.

Der Grazer Kinderklinikvorstand Ernst Eber erklärte am Mittwoch, dass seit dem 11. Jänner rund 50 Patienten wegen Masern bzw. wegen des Verdachts behandelt wurden. Zwei Säuglinge erkrankten. Weitere 22 hatten alle in einer Kinderarztpraxis im Raum Hartberg eine mögliche Ansteckung erfahren, sagte Eber. Fünf neue Verdachtsfälle wurden am Mittwoch ins LKH bestellt.

Wie viele Fälle könnten noch kommen?

Wie viele Fälle nun noch kommen könnten, sei schwierig hochzurechnen, weil oft der Zufall entscheide. Um weitere Ansteckungen weitgehend ausschließen zu können, sei eine Herdenimmunität von 95 Prozent nötig, diese gibt es derzeit aber in der Steiermark nicht. "Es wäre ein großes Glück, wenn das nun das Ende wäre, aber wir rechnen nicht damit", sagte Eber. Laut Werner Zenz, Experte für Infektionskrankheiten in der Pädiatrie, liegt die Durchimpfungsrate für die erste Impfung in der Steiermark derzeit bei 89 Prozent, für die zweite Impfung bei 79 Prozent.

Die Maßnahme aus Anger hält Klinikvorstand Eber für sinnvoll: "Das Kind hat mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit alle anderen nicht geimpften Mitschüler angesteckt." Dass sehr viele Kontakte überprüft werden müssten, unterstreiche eine Zahl: Eine einzige Patientin mit Masern, die am LKH behandelt wird, habe bereits 51 Kontakte. Es reiche bereits, wenn diese im selben Raum waren. Von diesen 51 waren zehn noch kein Jahr alt. Von diesen wurden nun fünf als neue Fälle auf die Kinderklinik bestellt, um sie mit Immunglobulinen zu therapieren. Diese "passive Impfung" hilft zu 83 Prozent gegen die Masern. Die klassische Doppelimpfung dagegen hilft zu 99 Prozent.

Neue Verdachtsfälle erwartet

Marianne Wassermann-Neuhold von der steirischen Landessanitätsdirektion schilderte, dass bei ihr 14 gemeldete Masern-Fälle auflägen. Von diesen seien mittlerweile zwölf bestätigt. Bei zweien - ein Fall war erst am Dienstag gekannt geworden - waren Mittwochmittag noch die Ergebnisse der Untersuchungen ausständig. Unter den bestätigten Fällen sind drei erst im Jahr 2018 geborene Babys, bei denen eine Impfung vorher nicht möglich war. Bei den anderen Masern-Infektionen handelt es sich um Kinder, die eigentlich schon geimpft sein sollten. Außerdem hat sich auch eine 34-jährige Mutter angesteckt.

»Es ist sehr schwierig, alle Kontaktpersonen zu finden sowie die Wege der infizierten Kinder nachzuvollziehen«

Die Fachbereichsleiterin erwartet in den kommenden Tagen sowie auch noch in der kommenden Woche mit neuen Verdachtsfällen: "Es ist sehr schwierig, alle Kontaktpersonen zu finden sowie die Wege der infizierten Kinder nachzuvollziehen." Mittwochvormittag hatte die routinemäßige Sitzung aller steirischen Amtsärzte stattgefunden. Da seien die Masern das vorherrschende Thema gewesen. Den Ärzten zufolge handelt es sich bei den Masern-Fällen vorwiegend um "Impfgegner", aber nicht alle: "Manche hatten Impftermine wegen Krankheit der Kinder verschoben und dann darauf vergessen."

Wassermann-Neuhold erklärte, dass ein mit Masern infiziertes Kind, das sich auf der Kinderklinik am sogenannten Indexpatienten angesteckt hatte, möglicherweise 22 weitere Säuglinge im Raum Hartberg infiziert hat. Die Eltern waren mit dem Kind nämlich nach dem Besuch auf der Kinderklinik zwei Mal in einer Kinderarztpraxis im Raum Hartberg gewesen. Eine Maßnahme wie in der Volksschule in Anger, wo über die nicht geimpften Kinder ein dreiwöchiges Schulverbot verhängt wurde, findet sie sinnvoll und gerechtfertigt: "Die Ausbreitung muss laut Gesetz unterbunden werden, um Säuglinge und Immunschwache, die nicht geimpft werden können, zu schützen."

Zenz für Leistungskürzungen bei Impfgegnern

Der Experte für Infektionskrankheiten, Werner Zenz, betonte, dass die Masern als "hoch ansteckende Krankheit" gelten. Die Ursache liegt in besonders kleinen Tröpfchen, die von infizierten Menschen etwa beim Husten in den Raum ausgestoßen werden und dort wegen ihrer kleinen Größe in der Luft bleiben. Im Schnitt stecke ein Patient zwölf bis 18 andere Personen an.

Zenz schilderte das "Dilemma": Schon ein Luftzug reiche, um die Tröpfen durch den Gang in andere Bereiche zu transportieren. Laut Statistik stirbt jeder tausendste Patient an Masern. Bei 80.000 Neugeborenen pro Jahr würde das bei einer Impfrate von null Prozent 80 Tote pro Jahr bedeuten, veranschaulichte der Mediziner. Was eine hohe Durchimpfungsrate bedeutet, beschrieb er mit einem Beispiel: Das Kind eines Mannes, der Impfgegner war, habe sich bei einem Thailandflug angesteckt und das Masern-Virus zu einem Krampusfest "mitgebracht". Dort waren rund 50 Kinder, aber es gab keine einzige Ansteckung - durch das "Wunder Impfen". Alle diese Kinder seien nämlich geimpft gewesen.

Impfung aus Solidaritätsgründen

Der Experte erklärte, dass eine Impfung aus Solidaritätsgründen erfolgen sollte, denn sie schütze auch andere, wie etwa Säuglinge oder immunschwache Menschen, die nicht geimpft werden könnten. Dazu zählen etwa auch Kinder mit Rheuma oder Leukämie. Er meinte, dass Masern bei einer hohen Durchimpfungsrate ausgerottet werden könnten und dann vielleicht tatsächlich keine Impfungen dagegen mehr nötig seien. 95 Prozent seien dafür nötig.

Maßnahmen, um das zu erreichen, seien bisher Überzeugungsarbeit gewesen, aber der Erfolg setzte nicht ganz ein. Zenz schilderte, dass es in etwa in den USA eine Impfpflicht gab, doch Europa sei da liberal: "Das ist menschlich zu befürworten", aber schlecht im Falle einer Masern-Übertragung. Er sprach sich für das australische Modell aus: Dort werden Unterstützungsleistungen gekürzt, wenn Kinder nicht geimpft sind. Die Politik sei nun gefragt.

Wo hat sich der 15-Jährige angesteckt?

Unklar sei laut Klinikvorstand Ernst Eber immer noch, wo sich der 15-Jährige angesteckt hatte, der am 11. Jänner in die Kinderklinik-Ambulanz kam. Die Spur führe zu einem Skiurlaub nach Salzburg, aber das sei nicht sicher. Der Jugendliche war jedenfalls nicht geimpft - gleich wie sein Vater, wusste Zenz. Dieser habe sich nämlich nach den nun möglichen Behandlungen erkundigt.

Zenz räumte beim Pressegespräch noch einmal mit Impfmythen auf: "Die Masern sollen ja angeblich nach dem Ausbruch der Krankheit günstige Effekte haben, etwa Schutz vor Asthma und eine bessere Entwicklung. Das alles wurde wissenschaftlich mehrfach widerlegt. Die Impfung führt auch nicht zu Autismus, wie oft behauptet. Im Gegenteil: Die Masernerkrankung führt bis zu drei Jahre danach zu einem schwächeren Immunsystem und kann dadurch leichter zu Todesfällen durch andere Krankheiten führen."

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