Marlies Raich:
"Die Verletzungen sind ein Teil von mir"

Als Gatte Benjamin Rücktritt bekannt gab, sprach sie über das Leben nach der Karriere.

Ex-Skistar Marlies Schild heißt jetzt Marlies Raich und erwartet ihr erstes Kind. Am Tag, an dem Gatte Benjamin seinen Rücktritt bekannt gab, sprach sie über das Leben nach der Karriere.

von Marlies Raich 2015 schwanger © Bild: www.sebastianreich.com

Ziemlich genau ein Jahr nach Ihnen hat nun auch Ihr Mann, Benni Raich, seinen Rücktritt erklärt. Haben Sie ein Machtwort gesprochen und gesagt: "Du bleibst jetzt daheim, wir kriegen ein Kind"?
Absolut nicht. Das ist eine Entscheidung, die der Benni selber getroffen hat. So wie auch ich letztes Jahr sie selbst getroffen habe. Dass wir Eltern werden, hat darauf überhaupt keinen Einfluss gehabt. Der Benni war auch in den letzten Jahren viel daheim, weil er nur noch Slalom/Riesenslalom gefahren ist und viel zu Hause trainiert hat. Dennoch bin ich natürlich froh, weil ich sehe, dass es ihm mit seiner Entscheidung gut geht, und er sich natürlich auch riesig auf unseren Nachwuchs freut.

Der Rücktritt ist für jeden Sportler eine harte Entscheidung. Wie war das bei Ihnen?
Ich bin ja schon jahrelang immer wieder gefragt worden, wann ich aufhöre. Das fand ich ein bisschen eigenartig, weil ich ja noch voll dabei war. Aber ich habe immer gesagt: Wenn ich aufhöre, dann muss ich das spüren, aus dem Bauch heraus. Und in der letzten Saison habe ich dann einfach gespürt: Es ist Zeit für eine Veränderung. Wobei ich mir auch die Zeit bis nach dem Sommer gegeben habe, um diese Entscheidung, die für eine Sportlerin ja lebensverändernd ist, auch wirklich gründlich überdenken zu können. Der Benni hat das jetzt auch so gemacht.

Ein Rücktritt vor dem Sommer hätte allerdings den Vorteil, dass man sich das mühsame Sommertraining erspart.
Es gibt sicher Rennläufer, die aufhören und sagen: "Nie wieder trainieren!" Aber für den Benni und mich war Skifahren ein Hobby, das wir zum Beruf machen konnten. Aber natürlich genieße ich es jetzt, dass ich keinen Trainingsplan mehr habe und machen kann, worauf ich gerade Lust habe.

Marlies Raich 2015 schwanger
© www.sebastianreich.com

Sind Sie im letzten Winter viel Ski gefahren?
Sehr viel! Im Training fährt man ja immer nur am gleichen Hang und am gleichen Lift, da habe ich's jetzt genossen, meine Heimatskigebiete einmal ein bisschen erkunden zu können.

Aber durch Torstangen werden Sie nicht mehr carven, oder?
Genau das war es, was mir beim Rücktritt am schwersten gefallen ist. Ich habe mir gedacht: "Ich werde wahrscheinlich nie mehr so Slalom fahren, wie ich Slalom gefahren bin." Diese Rennen, wo man richtig in diesem Flow war und das Gefühl hatte, man fliegt da so durch, es ist jetzt alles richtig, was man macht - dieses Gefühl war schon wunderschön, daran denke ich immer wieder gerne zurück. Ich hätte auch gedacht, dass es mir schwerer fallen würde, wenn die Rennen anfangen und ich vor dem Fernseher sitze -aber das war überhaupt kein Problem. Ich habe mir alles gern angeschaut, habe mitgefiebert, aber ich habe nie das Gefühl gehabt, ich müsste da jetzt am Start stehen. Das war super, denn so wusste ich: Die Entscheidung war absolut richtig.

»Diese Rennen, wo man richtig in diesem Flow war und das Gefühl hatte, man fliegt da so durch, es ist jetzt alles richtig, was man macht - dieses Gefühl war schon wunderschön, daran denke ich immer wieder gerne zurück.«

Wenn Sie vom Rennfahren sprechen, klingt das nach einem tollen Trip. Beim Zuschauen hat man eher den Eindruck, die Läuferinnen stehen total unter Druck.
Das ist es natürlich auch, kein Thema. Vor dem Rennen habe ich oft nicht gut geschlafen, oder ich hab kein Frühstück runtergekriegt, weil ich so nervös und angespannt war. Aber gerade das ist das Spannende und Interessante: Wenn man am Start dann das Gefühl hat, man kann alles um sich ausblenden und sich nur noch aufs Skifahren konzentrieren. Natürlich hat es auch Zeiten gegeben, wo mir das nicht so gut gelungen ist.

Aber es hat Gott sei Dank auch Saisonen gegeben, in denen ich viele Tage mit einem sensationellen Gefühl hatte.


Wenn man in diesem "Flow" ist, fährt sich so ein Rennen dann wie von selbst?
Wenn es wirklich gut läuft, dann läuft alles von selber. Man besichtigt natürlich die Strecke und prägt sich alles sein. Aber wenn man dann fährt, denkt man eigentlich nicht mehr viel, dann ist alles automatisiert und läuft wie am Schnürchen.

Staunt man über sich selbst?
Das Wichtigste ist, nicht viel darüber nachzudenken. Es ist aber auch viel Arbeit. Man fährt unzählige Tore, bis man so weit ist. Aber ich möchte auch davon keinen Augenblick missen.

Sie hatten viele, zum Teil schwere Verletzungen. Kommen einem da nie Zweifel?
Ich wünsche jedem Sportler, dass er solche Erfahrungen nicht machen muss. Aber ich habe viel daraus gelernt und Kampfgeist entwickelt. Deswegen sage ich: Ich möchte das nicht aus meinem Lebenslauf streichen, es ist ein Teil von mir.

Wenn Skifahrerinnen zurücktreten, fließen meistens Tränen. Was rührt eine Sportlerin in diesem Moment so?
Das ist einfach ein Zeichen dafür, dass man das sehr gern gemacht hat. Daher die Tränen - es ist ein Abschied von einem Teil deines Lebens. Und es schadet nie, ein bisschen Emotion zu zeigen. Das ist nicht gespielt, das kommt aus dem tiefsten Inneren.

Im Slalom waren Sie ein paar Saisonen lang fast unschlagbar. Wie wird man eigentlich Seriensiegerin?
Manche sagen: "Wenn's laaft, dann laaft's." Aber das wäre zu einfach. Es steckt viel Arbeit dahinter, und ich war da immer sehr konsequent. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich irgendwann am Start gestanden bin und das Gefühl hatte: Ich habe nicht alles gemacht, was ich hätte machen können. Ich habe mich konditionell und mental gut vorbereitet, und beim Material habe ich mit meinem Servicemann die perfekte Abstimmung gefunden. Alles zusammen hat dann zu dem glücklichen Umstand geführt geführt, dass ich zur Seriensiegerin geworden bin. Ich habe mir früher auch immer sehr genau angeschaut, wie die Janica Kostelić das macht. Und genau so hat es, glaube ich, dann auch die Mikaela Shiffrin bei mir gemacht.

Als Sie voriges Jahr Ihren Rücktritt erklärten, haben Sie angekündigt, eine Familie gründen zu wollen. Das haben Sie dann ja prompt umgesetzt.
Wir haben immer gesagt, dass es ein großer Wunsch von uns ist, einmal eine Familie zu haben, nach dem ganzen Trubel und dem Stress. Im Grunde war mein Tag, seit ich zehn Jahre alt war, von der Früh bis zum Abend verplant. Ich habe alles getan für meinen Sport, und ich habe es gern getan. Aber jetzt ist die Situation eine ganz andere.

Ich muss Sie warnen: Als Mutter werden nicht nur Ihre Tage, sondern auch die Nächte durchgetaktet sein.
Das ist mir schon klar. Aber jetzt habe ich zumindest einmal ein Jahr gehabt, das nicht durchgeplant war.

Wie viele Kinder sind geplant?
Jetzt schauen wir einmal, wie es mit einem Kind geht. Wir sind nicht abgeneigt, mehr Kinder zu haben, aber ich glaube, man sollte so etwas auf keinen Fall planen. Wir werden sehen.

Gibt es auch berufliche Zukunftspläne, oder bleiben Sie jetzt einmal zu Hause?
Natürlich ist es schön, dass wir sagen können: Wir widmen uns jetzt einmal unserer Familie. Wir haben da beide ein bisschen vorgesorgt. Ich habe eine Immobiliengesellschaft, und ich bilde mich ständig weiter. Ich mache zum Beispiel eine Pilates-Ausbildung, ich habe auch juristische Kurse gemacht. Jetzt steht einmal der Nachwuchs im Vordergrund. Wo der Weg dann beruflich hingeht, wird sich weisen.

Sie haben im April geheiratet und heißen jetzt Marlies Raich. War es kein Thema, Ihren Namen zu behalten?
Das habe ich mir schon überlegt, Marlies Schild ist ja eine bekannte Marke. Aber dann habe ich mir gedacht: Ich bin die Marlies, und ich bleibe ja dieselbe Person. Aber mir war es wichtig, dass wir eine Familie sind und dass ich denselben Namen habe wie mein Mann und meine Kinder. Das ist ein Wert, der mir über alles andere gegangen ist.

Bei der Ski-WM in Vail gab es Diskussionen, weil dort bei den Siegerehrungen die alte Version der Bundeshymne gesungen wurde. Wie halten Sie es damit? "Heimat großer Söhne" oder "Töchter, Söhne"?
Beide Versionen sind okay, aber von mir aus hätte alles beim Alten bleiben können. Ich fühle mich von der alten Hymne auch angesprochen.

Als Anna Fenninger den Aufstand probte, haben Sie ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel verteidigt. Wo blieb da die Frauensolidarität?
Ich glaube einfach, dass der ÖSV in den letzten 20 Jahren sehr gut gearbeitet hat. Und ich finde, dass das Ganze ein bissl aus dem Ruder gelaufen ist. Dass die Anna die perfekten Trainingsbedingungen für sich will, ist ja legitim. Das habe ich mir auch immer ausgemacht, unter vier oder sechs Augen. Aber was dann passiert ist, habe ich als nicht mehr ganz gerechtfertigt empfunden. Ich könnte mir vorstellen, dass die Anna das mittlerweile auch ein bissl anders sieht. Wenn jetzt alle Topathleten sagen würden, sie steigen aus, dann gäbe es keinen ÖSV mehr. Und der Skisport in Österreich wäre sicher nicht mehr da, wo er jetzt ist.

Unter anderem hat Fenninger kritisiert, dass Frauen im Skisport weniger verdienen als Männer. Ist das nicht tatsächlich ungerecht?
Ich war eigentlich immer sehr zufrieden mit meinen Verträgen. Und ich glaube auch, dass die Anna eine sehr gut verdienende Sportlerin ist. Aber wie man das selber sieht, ist natürlich Ermessenssache.

ÖSV-Präsident Schröcksnadel hat gesagt, manche Trainer würden im Umgang mit den Skidamen nicht die richtigen Worte finden. Können Sie das nachvollziehen?

Natürlich hat man Trainer und Betreuer, mit denen man sich besser versteht, und solche, mit denen man sich schwertut. Aber ich habe immer das Gespräch gesucht, und wenn mir was nicht gepasst hat, habe ich's halt auch gesagt.

Reagieren Frauen sensibler auf Kritik als Männer?
Es gibt auch Herren, die sensibel sind und jedes Wort auf die Waagschale legen.

Marcel Hirscher und Anna Fenninger haben bei der Facebook-Aktion "Show Your Face" mitgemacht, in der Prominente dazu aufrufen, Flüchtlinge mit offenen Armen zu empfangen. Wurden Sie auch schon nominiert?
Ich nicht, aber der Benni ist - als Teil des gesamten ÖSV-Teams - von der Anna nominiert worden und hat auch ein Statement abgegeben. Ich finde schon, dass man Mitgefühl zeigen soll mit Menschen, die aus ihrer Heimat vertrieben werden, vor allem mit Kindern. Dass man sie unterstützen und nicht die Augen verschließen sollte. Man muss sich nur unsere eigene Geschichte anschauen: Länder, die wir im Zweiten Weltkrieg angegriffen haben, haben danach unsere Kinder aufgenommen! Daran sollte man sich ein Beispiel nehmen.

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