Gewessler ist "wie ein Elefant im Porzellanladen"

Markus Wallner ärgert sich über Pläne der Ministerin

Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner ärgert sich über die Pläne der grünen Ministerin Gewessler, Straßenbauprojekte zu prüfen. Er findet aber im Gegensatz zu Kanzler Kurz: Verzicht für den Klimaschutz ist notwendig und kann Freude bereiten.

von Markus Wallner © Bild: News/Ricardo Herrgott
Markus Wallner Vorarlbergs Landeshauptmann, 54, trat nach dem Studium in Innsbruck und einer Zwischenstation in Brüssel 1994 der ÖVP bei, 1997 wurde er persönlicher Referent des Landeshauptmanns Herbert Sausgruber, später Klubobmann im Landtag und Landeshauptmannstellvertreter. 2011 folgte er Sausgruber als Landeshauptmann nach. 2014 bildete er die erste schwarz-grüne Koalition in Vorarlberg, die 2019 verlängert wurde.

Warum ist es so schlimm, wenn die grüne Umweltministerin einer Koalition, die sich Klimaschutz ins Koalitionsprogramm geschrieben hat, Straßenbauprojekte prüft?
Es ist nicht grundsätzlich schlimm, natürlich sind Klimaschutzfragen in alle Entscheidungen einzubeziehen. Das ist das Gebot der Stunde. Aber ich glaube, sie muss differenzieren und genau hinschauen, worüber wir reden. Es gibt keine Straße, die in jeder Hinsicht besser evaluiert ist als die S18.

» Jede Woche, die wir verlieren, ist inakzeptabel«

Wenn das so ist, wird sie ja auch zu diesem Schluss kommen, und Sie können ganz entspannt sein.
Es geht unnötig Zeit verloren. Wir warten seit ungefähr 20, 30, manche sagen 40 Jahren auf diese Entlastungsstraße. Es ist unbestritten, dass wir eine Verbindung zwischen den beiden Autobahnen im Rheintal brauchen. Ich weiß nicht, was klimaschutztechnisch gut daran sein soll, wenn sich Lkw durch die Dörfer stauen. Jede Woche, die wir verlieren, ist inakzeptabel aus meiner Sicht. Wenn man eine Straße nicht will, sollte man das der Bevölkerung ehrlich sagen.

Sie gehen also davon aus, dass die Prüfung negativ ausgehen wird?
Ich unterstelle nichts von vornherein, aber wenn ich mir anhöre, was die Grünen im Land und teilweise auch im Bund an Alternativen einbringen, dann ist das eine absolute Ignoranz einem sehr demokratisch geführten Planungsprozess gegenüber. Was mich am meisten daran ärgert, dass man die Prüfungen und Planungen, die bisher gelaufen sind, mit einem Federstrich vom Tisch wischt und vermeintlich neue Varianten ins Spiel bringt, die bereits geprüft wurden. Es liegt alles am Tisch, die Ministerin muss es sich nur durchlesen. Und ich glaube, dass ich als Landeshauptmann erwarten kann, über eine so weit reichende Entscheidung informiert zu werden. Was nicht geht, ist, vom Wiener Schreibtisch aus zu sagen: "Wir prüfen das ganz neu", und Vorschläge einzubringen, die niemals eine Alternative zur S18 sein werden. Nur weil bei einem Planungsverfahren nicht herauskommt, was ich mir persönlich wünsche, kann ich nicht dagegen sein. Sie geht wie ein Elefant im Porzellanladen vor, und das ist nicht in Ordnung.

Markus Wallner
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Zeigt der laufende Streit, dass die Koalition auf Bundesebene nicht richtig funktioniert und vielleicht nie richtig funktioniert hat? Die Grünen haben oft zähneknirschend mit der ÖVP gestimmt, jetzt versuchen sie einmal, in die Offensive zu gehen, und es ist sofort Feuer am Dach.
Nein, das sehe ich nicht so. Ich würde auch nicht aus einer sachlichen Auseinandersetzung immer gleich einen Koalitionszwist herauslesen. Das gehört dazu.

Es hat sich zugespitzt in den letzten Tagen, das müssen Sie zugeben.
Das kann schon sein, aber da muss man auch gelassen bleiben. Das wird es immer wieder geben, weil unterschiedliche Kräfte da sind. Aber von einem bin ich zutiefst überzeugt, weil es in Vorarlberg auch seit Jahren so gelebt wird: Es ist wichtig, dass diese beiden großen gesellschaftlichen Kräfte, die ÖVP-Seite und die grüne Seite, auch wirklich zusammenarbeiten. Ein Gegeneinander bringt uns nicht weiter.

Wie kann sich dieser aktuelle Konflikt auflösen?
Wenn die Sache im September vernünftig erledigt wird, hat niemand Schaden genommen. Ich würde jetzt zur Versöhnung sagen, die Möglichkeit besteht immer, das miteinander zu besprechen und einen Weg zu finden. Ich bin der Letzte, der Klimaschutzfragen nicht für absolut notwendig hält. Aber die Verbindung der beiden Autobahnen ist eine historische Aufgabe, die wir einfach erledigen müssen.

Und danach kann man aufhören, in Vorarlberg Straßen zu bauen?
Aufhören kann man nie, vor allem was die Instandhaltung betrifft. Aber was die großen Projekte betrifft, ist es mit der S18 im Wesentlichen getan. Ansonsten haben wir vor zwei Jahren mit dem Güterbahnhof Wolfurt den zweitgrößten Güterbahnhof Österreichs eröffnet, wir setzen massiv auf den Umstieg auf ÖPNV, wir bauen den Radverkehr aus. Im Bereich des Straßenbaus tun wir das Allernotwendigste, und das hat in erster Linie mit Entlastung zu tun.

Neue Straßen ziehen mehr Verkehr an.
Ja, aber das ist in diesem Fall wirklich ausreichend untersucht. Die S18 zieht nicht mehr Verkehr an, sondern bringt den gesamten Verkehr auf die richtigen Routen. Es macht auch CO2-technisch keinen Sinn, die Lkw durch die Dörfer zu stauen. Und im Übrigen wäre ich der Meinung, dass man wirklich alle Kraft darauf setzten sollte, die fossilen Brennstoffe wegzubringen, auch im Lkw-Verkehr. Wir werden nicht weniger -oder zumindest nicht viel weniger - Verkehr haben, solange die Bevölkerung wächst. Aber wir werden vielleicht antriebstechnisch fossilarm oder überhaupt ohne fossile Brennstoffe auskommen, und das ist die eigentliche Herausforderung.

Sind Sie mit Ihren Plänen zum Ausbau des öffentlichen Verkehrs und des Radverkehrs auf dem Weg zurück in die Steinzeit?
Das ist eine Frage der Begrifflichkeiten. Ich bin kein Anhänger dieser Klimaangst, die immer erzeugt wird. Und ich unterstelle den Grünen in diesem Zusammenhang, dass sie das, was sie der FPÖ beim Thema Asyl vorwerfen -nämlich den Leuten Angst zu machen -, in der Klimapolitik selbst praktizieren. Ich glaube nicht, dass wir mit Angst weiterkommen werden. Angst ist extrem lähmend, das hat man in der Pandemie gemerkt. Ich glaube, wir sollten versuchen, der Bevölkerung zu vermitteln, dass wir wissen, dass klimatechnisch Dinge schieflaufen, es aber trotzdem eine Zukunft gibt.

Den Ausdruck "zurück in die Steinzeit" hat Bundeskanzler Kurz kürzlich in Zusammenhang mit Ministerin Gewesslers Straßenbauprüfungsplänen und, allgemeiner, grüner Klimaschutzpolitik verwendet. Ist man steinzeitlich, wenn man versucht, mehr mit dem Zug zu fahren, oder wenn man keine Trauben aus Südamerika kauft?
Wenn ich ihn richtig interpretiert habe, und ich war bei dem Interview selbst dabei, ging es ihm darum, dass man weniger mit dem erhobenen Zeigefinger vorgehen und Angst erzeugen sollte, sondern neue Wege aufzeigen. Und da bin ich eigentlich voll auf seiner Seite.

Alle Klimaforscher sind sich darin einig, dass es jetzt sehr schnell gehen muss.
Ja, es muss schneller gehen, man muss mehr tun, man muss viel tun. Aber es muss auch jedem klar sein, dass wir die Leute motivieren müssen. Ich glaube auch, dass es da und dort Verzicht geben wird müssen.

Was der Kanzler nicht glaubt.
Ich glaube schon, dass wir auf Dinge auch verzichten werden müssen. Wir werden unsere täglichen Fahrten überlegen müssen, wir werden uns überlegen müssen, wo wir hinreisen, wir werden uns überlegen müssen, welche Produktionsmittel wir verwenden, wie wir uns ernähren. Verzicht hat Wirkung, aber wir sollten den Leuten auch nicht nur Verzicht einreden, sondern vermitteln, dass Klimazukunft auch ein Stück weit Freude bereiten kann.

Veränderung ist den Menschen zumutbar?
Ich glaube schon, und man muss versuchen, es positiv zu transportieren. Der Umstieg aufs Rad kann ja eigentlich total cool sein. Oder eine Ernährungsumstellung. Mehr regionale Lebensmittel zu verwenden, anstatt alle Lebensmittel aus der ganzen Welt haben zu wollen, kann ein positiver Verzicht sein. Ich plädiere sehr für eine positive Sicht der Klimapolitik und bin sehr skeptisch, wenn man nur mit Angstparolen arbeitet.

Markus Wallner
© News/Ricardo Herrgott

Und das ist der Eindruck, den Sie von den Grünen haben?
Streckenweise. Die Klimakatastrophe wird gerne als Angstargument verwendet, um etwas zu erreichen. Das hilft aber nur kurzfristig. Wir haben das bei der Pandemie gesehen. Der erste Lockdown hat deswegen funktioniert, weil die Leute Angst vor dem Virus hatten. Aber nur am Anfang, dann hat man gemerkt, es blockiert die Leute, es macht sie depressiv und verursacht große Schwierigkeiten. Wir müssen versuchen, positive Zukunftsbilder zu finden. Das ist beim Klima natürlich nicht leicht. Ein Tornado oder ein Hochwasser wie in Deutschland ist nichts Lustiges.

Wir werden solche Katastrophen künftig öfter erleben, sagen Klimaforscher. Wie hat die Politik damit umzugehen?
Das eine ist eine gewisse Anpassungsstrategie. Und das andere, einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Es gibt auch viele Dinge, die man als Region tun kann. Von der Energieautonomie über den Ausbau der erneuerbaren Energiequellen bis hin zur regionalen Landwirtschaft gibt es eine große Bandbreite. Und man muss den Leuten vermitteln, dass sie auch selbst etwas tun können. Es ist ja manchmal so, dass man denkt, die anderen sollen, oder dass man sich im globalen Zusammenhang ohnmächtig fühlt.

Ist das ein valides Argument solange China und die USA nichts tun, müssen wir uns auch nicht rühren?
Es ist ein schlechtes Argument, weil dann kommt man nicht vom Fleck. Natürlich sagen manche: "Solange der Regenwald so abgeholzt wird, wie es derzeit passiert, was sollen wir tun?" Aber wenn das alle sagen, kommen wir gar nicht weiter. Wir müssen vor allem auf die nächste Generation schauen, die wird es nämlich ausbaden müssen. Unsere Kinder und Enkelkinder kriegen eine ordentliche Hypothek mit und haben das Recht, zu wissen, ob wir auch etwas dagegen tun. Insofern schließt sich der Kreis ein wenig: Wir haben jetzt einen Streit über ein Projekt, aber am Ende des Tages ist schon allen klar, dass der Verkehr ein Handlungsfeld darstellt. Da sollten wir miteinander ansetzen. Man kann das nicht auf den Straßenbaureduzieren.

Lassen Sie mich noch ein paar Fragen zur aktuellen Corona-Situation stellen. War das Versprechen eines coolen und intensiven Sommers, das die Bundesregierung abgegeben hat, zu optimistisch?
Im Vergleich zum letzten Sommer sind wir wesentlich besser aufgestellt. Die Zahl der Krankenhausbelegungen ist in Vorarlberg sehr niedrig. Von daher ist die Voraussetzung gut. Aber es ist nicht vorbei. Die Pandemie erreicht jetzt die Jüngeren und die Nichtgeimpften. Wir stellen seit dem Frühjahr fest, dass sich Sieben Tage Inzidenz und Intensivbettenbelegung entkoppeln. Das muss man weiter beobachten. Und die zweite Frage ist, ob der Impfstoff gegen die auftretenden Mutationen wirkt. Aber da bin ich eigentlich optimistisch.

Ist das Virus Privatsache?
Die, die geimpft sind, bringen natürlich immer weniger Verständnis auf für Maßnahmen. Das kann ich verstehen. Es kommt der Zeitpunkt, wo man die Eigenverantwortung einfordern muss. Im Herbst wird das schon intensiv diskutiert werden. Da gehört zum Beispiel die Frage dazu, ob alle Tests weiter gratis angeboten werden. Ich glaube nicht, dass auf Dauer alles gratis sein muss. Voraussetzung ist natürlich, dass jederzeit und rasch eine Gratisimpfung zur Verfügung steht. So ist es ja jetzt schon. Jeder muss sich selbst überlegen: Impfen oder krank werden? Es können nicht die Geimpften am Schluss wahrscheinlich zwei Drittel der Bevölkerung ewig Maßnahmen mittragen, um andere zu schützen.

Wann kann man die Gratistests abschaffen?
Wir haben zwischen Bund und Ländern vereinbart, dass wir im Herbst einmal darüber reden. Noch ist es zu früh, weil wir den Verlauf der Pandemie nicht kennen. Es kann ja passieren, dass Testen im größeren Umfang wieder erforderlich wird, weil es ja eine wirklich wirksame Maßnahme zur Pandemiebekämpfung ist. Aber wenn es einigermaßen berechenbar bleibt, wäre es für mich klar, dass man irgendwann wegkommt von den Gratistests.

Die Regierung verhandelt wieder über Maßnahmen. Darf es die noch geben oder ist die Zeit eigentlich vorbei?
Im Moment würde ich sagen, so wenig Maßnahmen wie möglich. Aber man muss die Mutationsentwicklung beobachten. Und man muss ganz genau hinschauen, wer jetzt erkrankt und was dort genau passiert. Die Wissenschaft sagt uns, es passiert nicht viel bei Kindern und Jugendlichen. Aber das ist nicht völlig klar. Es können auch Mutationen auftreten, die einen größeren Gesundheitsschaden erzeugen. Dann muss man das Ganze schon noch einmal ordentlich diskutieren. Auf Kinder und ihre Gesundheit muss man mindestens so gut achtgeben wie auf die ältere Generation.

Wäre das eine Situation, in der auch wieder Lockdown Maßnahmen denkbar wären?
Ich bin absolut kein Fan von Lockdowns, aber wenn es um Kinder geht, würde ich mir das schon sehr genau anschauen.

Aktueller Wissensstand ist, akut schadet das Virus Kindern wenig. Könnte man das Virus im Herbst in den Schulen einfach laufen lassen?
Ich würde das genau beobachten.

Könnte man es laufen lassen, wenn hier keine neuen Erkenntnisse hinzukommen?
Der Vorschlag von Minister Faßmann ist gut, in den ersten drei Wochen intensiv zu testen, um einen raschen Überblick zu gewinnen und parallel zu beobachten: Richtet es einen gesundheitlichen Schaden an bei Kindern? Daran muss man sich dann orientieren und entscheiden. Ansonsten finde ich es gut , wenn man die Schulen so gut als möglich offen hält. Dafür haben wir uns auch im Land immer eingesetzt.

Es gibt viele Eltern, die sich wundern, dass gerade der zweite Corona-Sommer verstreicht und wieder keine besonderen Vorbereitungen getroffen werden. Deutschland und auch das Bundesland Salzburg fördern Belüftungsgeräte. In Vorarlberg eine Option?
Das haben wir bisher nicht für notwendig gehalten.

Braucht es eine Impfpflicht in Österreich?
Es gibt in paar Bereiche, die ich für wichtig halte, vor allem, wo es um den Gesundheitsschutz geht. Und da kann man auch einige dienstrechtliche Maßnahmen setzen. Das tun wir jetzt bei Neuanstellungen im Spitalsbereich. Bei bestehenden Mitarbeitern ist es möglich, den Impfstatus zu erheben und dann gegebenenfalls eine Impfempfehlung auszusprechen. Eine generelle Impfpflicht lehne ich ab.

Wenn es keine Impfpflicht geben soll, wie wollen Sie dann die Impfbereitschaft erhöhen? Das deutsche RKI geht davon aus, dass 85 Prozent der Zwölf-bis 60-Jährigen geimpft sein müssten, um Herdenimmunität zu erreichen.
Das wird ganz schwierig werden. Wir wissen, dass man bei einem Wert von 60 bis 70 Prozent vom Schutz des Gesundheits- und Sozialsystems reden kann. So weit ist die Durchimpfungsrate zu bringen. In Kombination mit Eigenverantwortung wird's das dann wohl gewesen sein.

»Wer sich nicht impfen lassen will, wird erkennen müssen, dass ihn das Virus irgendwann erreicht«

Droht eine Zweiklassengesellschaft, eine Spaltung der Gesellschaft?
Es gibt einen Teil, der sich impfen lässt und immer weniger Verständnis für Maßnahmen aufbringt, es gibt Abwartende, es gibt Skeptiker und harte Impfgegner. Mit Spannungen wird man umgehen müssen. Man kann nur aufklären und versuchen, die Leute zum Impfen zu bewegen. Wer das am Ende gar nicht will, wird erkennen müssen, dass ihn das Virus irgendwann erreicht.

Mit welcher Zustimmung darf Parteichef Kurz beim Bundesparteitag Ende August rechnen?
Mit einer sehr, sehr hohen, glaube ich.

Alle Probleme der letzten Monate, Stichwort U-Ausschuss, waren für die ÖVP nie welche - oder sind schon vergessen?
Ich glaube, es wissen alle, was am Parteitag zu tun ist.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der Printausgabe von News erschienen (Nr. 30/2021).