Austria' s next Alaba

460.000 Kilometer zur Weltkarriere: Caroline und Roland chauffierten ihren Sohn Marco Friedl acht Jahre hindurch fast täglich von Tirol nach München zum Training - bis er dort blieb, um Profi beim großen FC Bayern zu werden

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Sport - Austria' s next Alaba

Im Alltagsgebrauch liegt seine Stimme um eine Oktave höher, doch hier, vor laufender Kamera, will er möglichst abgeklärt wirken. Immerhin gehört er jetzt zum Stammkader des FC Bayern München und ist mit einem Mal Teil der großen Fußballwelt. Dabei ist dieser Marco Friedl gerade 19 Jahre alt, und das hier ist sein erstes Live-Interview im deutschen Sportfernsehen: Mit wem er denn nach Schlusspfiff das Trikot getauscht habe, will der Reporter wissen. Soeben haben die Bayern in der Champions League auswärts gegen Anderlecht mit zwei zu eins gewonnen, und Friedl hat erstmals volle 90 Minuten durchgespielt -doch an einen Leiberltausch hat er keine Sekunde lang gedacht. "Dieses Trikot ist für die Mama und den Papa reserviert", antwortet er.

Nun, da David Alaba verletzt ist, rückte Friedl auf dessen Position auf der linken Abwehrseite nach. "Wir trauen ihm zu, sich beim FC Bayern durchzusetzen", sagt Co-Trainer Hermann Gerland. "Er hat eine sehr gute Entwicklung gemacht", sagt Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge. Und beide sind dafür bekannt, den Ball verbal flach zu halten. "Unser Marco inmitten all dieser Weltstars -für uns wirkt das alles noch völlig surreal", sind sich seine Mutter Caroline Schroll-Friedl, eine Angestellte, und sein Vater Roland, ein Polizist, einig. Wäre da nicht dieses Trikot aus der Champions League, das ihnen der Sohn am vergangenen Wochenende überreichte.

Zwei Reisen, ein Ziel

Marco Friedl aus Kirchbichl, gleich hinter Kufstein, steht am Beginn einer großen Reise. Madrid, Barcelona, Mailand, wenn er sich nicht schwer verletzt, wird er mit seinen Bayern auf kurz oder lang in all den großen Arenen gastieren. Schon jetzt ist er der erste Tiroler, der jemals in der Champions League auflief. Für Caroline und Roland hingegen ist die große Reise zu Ende: Kirchbichl, Rosenheim, München und zurück, immer und immer wieder. Von 2008 bis 2016 haben sie ihren Buben bis zu fünf Mal pro Woche von zu Hause ins Trainingszentrum der Bayern in der Münchener Säbener Straße chauffiert, 101 Kilometer hin, 101 Kilometer zurück, bis zu fünf Mal in der Woche, bis zu 50 Wochen pro Jahr, in Summe knapp 460.000 Kilometer zu einer möglichen Weltkarriere.

© Heinz Stephan Tesarek Kirchbichl, Tirol: Caroline und Roland Friedl wurden hinter vorgehaltener Hand belächelt - heute sind sie die Eltern des Erfolgs

"Jetzt sieht es doch so aus, als ob wir vieles richtig gemacht hätten", sagt Roland. Aus dem Vater des Erfolgs spricht Erleichterung. In der Pizzeria seines Schwagers hat man mittlerweile eine Art Fußballschrein errichtet: Ein dezent ausgeleuchtetes, hinter Glas gerahmtes Friedl-Trikot, dazu vier signierte Autogrammkarten, die 5.700-Einwohner-Gemeinde im Unterinntal hat nach dem 2009 verstorbenen SPÖ-Nationalrat Robert Strobl wieder einen großen Sohn -und auch der trägt hauptberuflich Rot.

"Doch zwischendurch gab es immer wieder Krisen und auch Phasen, wo wir uns als Eltern selbstkritisch hinterfragten", fährt Roland Friedl fort. Der Weg nach München, er war mit Zweifeln gepflastert:

Was, wenn Marco zwischendurch die Motivation verliert, etwa, wenn wieder einmal einer seiner Freunde aus den top besetzten Nachwuchskadern ausgesiebt wird? "Die Auslese ist bei den Bayern bereits im Nachwuchsbereich beinhart, da haben sich immer wieder Dramen abgespielt, wenn es für jemanden vom Talent oder der Einstellung nicht mehr gereicht hat", erinnert sich Roland. Was, wenn die Münchner ihren Marco plötzlich nicht mehr wollen? Oft kam der hochtalentierte Alpen-Alaba in den Nachwuchsteams über Wochen nicht zum Einsatz, dann wurde er plötzlich vom Stürmer zum Verteidiger umfunktioniert. "Wir hatten ja lange nichts Schriftliches, doch zum Glück hat das Wort der Verantwortlichen immer gehalten", blickt Caroline zurück.

Verbales Foulspiel

Was, wenn sie wirklich diese überehrgeizigen Sportlereltern sind, über die am Stammtisch immer wieder hinter vorgehaltener Hand abgelästert wurde? Roland: "Man hat getuschelt, dass der Marco das alles gar nicht will, sondern nur die Eltern so fanatisch sind." Was, wenn Marcos ältere Schwester Steffi, eine begabte Skifahrerin, unter der ungleichen Verteilung der elterlichen Zeitressourcen leiden würde? Caroline: "Zum Glück hat sie der Opa zu all ihren Rennen begleitet, wir waren ja entweder in der Arbeit oder am Pendeln." Und dann waren da auch noch die stattlichen Ausgaben für die vielen Trainingslager, für den Treibstoff, was, wenn trotz des Verzichts auf große Familienurlaube und jedweden Luxus eines Tages das Geld ?

Doch dann war es immer Marco, der offensiv orientierte Außendecker, der beherzt dazwischengrätschte, wenn sich die Eltern gedanklich verdribbelten: "Ich werde Profi, ich schaffe das."

Das Auto, erzählt Caroline, sei in all den Jahren zum erweiterten Wohnzimmer geworden. Vormittags besuchte Marco in Wörgl die Handelsschule. Nachmittags aß, schlief und büffelte er auf der Autobahn. Bayern U12, Bayern U15, Bayern B-Jugend, ein Leben auf der Überholspur. Doch dann kam der 1. Juli 2016, der Tag, ab dem Marco Friedl seinen Führerschein hatte und an dem er in München seine kleine Mietwohnung bezog. Und schließlich der 1. Juli 2017, der Tag, an dem er seinen über vier Jahre gültigen Profivertrag unterschrieb. "In all der Zeit war auch immer der David Alaba da, der sich um den Marco wie um einen kleinen Bruder gekümmert hat", schwärmt Roland Friedl.

Tanz um Opas Töpfe

In der jüngsten Vergangenheit war es Alaba, der Marco Beine machte. In der fernen Vergangenheit, kurz, nachdem er gehen gelernt hatte, war es Opa Herbert, der im Garten hinter dem Haus die ersten Trainings abhielt. Und das fast semiprofessionell: Der findige Senior stellte in einer Reihe Blumentöpfe auf, die das Enkerl, gleich einem horizontalen Slalom, umtänzeln musste - möglichst eng, möglichst rasant und natürlich stets mit dem Ball am Fuß. Oder besser gesagt, mit dem Ball an den Füßen, alternierend links und rechts. Und diese frühkindliche Prägung wiederum hatte zur Folge, dass Marco Friedl heute als das gilt, was man im Fußballspeak "beidbeinig" nennt. "Sein stärkerer Fuß ist zwar der linke, doch er kann auch mit rechts fast alles", sagt Werner Gregoritsch, der Trainer von Österreichs U21-Nationalteam, für das der mittlerweile auf 187 Zentimeter angewachsene Knirps mit den Blumentöpfen bereits sieben Mal im Einsatz war.

Und irgendwann, in nicht allzu ferner Zeit, wird Friedl wohl auch in der ersten Mannschaft des Nationalteams auflaufen, die linke Außenbahn ist chronisch unterbesetzt. Doch damit, warnt Gregoritsch, sollte man sich nach Möglichkeit noch etwas Zeit lassen. "Der Marco ist auf dieser Position der Mann der Zukunft, doch derzeit ist er körperlich noch nicht ganz so weit." Einen kräftigeren, muskulöseren Body brauche er noch, damit er sich, wenn das Team unter Druck steht, in körperbetonten Zweikämpfen richtig behaupten kann. Gregoritsch sah viele Talente kommen und gehen, rasant aufsteigen und kolossal scheitern. "Es gibt Altersgenossen von Marco, die mindestens ebenso talentiert waren, aber heute vereinslos sind", holt der Coach aus. "Der Bua muss jetzt am Boden bleiben, da sind die Eltern auch weiterhin gefordert."

Und das wissen sie auch: Um den Haushalt und die Wäsche kümmert sich nach wie vor die Mama, und auch das Gefrierfach füllt sie mit Gulasch und Schnitzel von daheim. Denn schließlich -da halten die Eltern den emporstrebenden Sohn in straffer Deckung -sei das Geld, das er jetzt zu verdienen beginnt, nicht da, um sinnlos verpulvert zu werden.

Immer wieder streicht Caroline Schroll-Friedl über das Champions-League-Trikot, das ihr Marco aus Anderlecht mitbrachte. So, als müsse sie sich immer wieder aufs Neue davon vergewissern, dass es auch echt ist. Und dass all das, was in den letzten Jahren passierte, kein Traum war.