Reinhold Messer: "Ich will
in einer Höhle leben"

Vor 40 Jahren erklommen Reinhold Messner und Peter Habeler ohne Sauerstoffmaske den Mount Everest. Sie waren die Ersten –doch Volksheld will Messner keiner sein, das hält er für verlogen. Früher spielte er mit dem Tod, heute setzt er sich auf ganz andere Art mit der Endlichkeit auseinander

von Mann der Berge - Reinhold Messer: "Ich will
in einer Höhle leben" © Bild: News Ehm Ian Auftrag

Ein Stück Zeitgeschichte feiert Geburtstag: Im Mai 1978, fast genau vor 40 Jahren, machte sich eine Expedition unter Leitung des Kitzbühelers Wolfgang Nairz auf, den Mount Everest zu erklimmen. Am 8. Mai bezwangen der Zillertaler Peter Habeler und sein Berg­kamerad Reinhold Messner, ein Südtiroler, als Speerspitze des Teams den höchsten Gipfel der Welt erstmals ohne Sauerstoffmasken. Und das, obwohl es bis zu diesem Tag unter Experten als ungeschriebenes Gesetz galt, dass der Mensch ab einer Höhe von 8.000 Metern kaum Überlebenschancen habe.
Doch Messner und Habeler durchwanderten, an ihre physischen und psychischen Grenzen gehend, die sogenannte „Todeszone“, erreichten den 8.848 Meter hoch gelegenen Gipfel – und kamen unbeschadet ins Basislager zurück.
Es war dieser Gipfelsturm, der Messners Ruf als Popstar des Alpinismus begründete. Doch auch wenn die 78er-Everest-Besteigung als österreichisches Projekt gilt und nun im heimischen TV groß abgefeiert wird, verbittet sich Messner jegliche Vereinnahmung.

An einer der Eingangstüren zu Ihrem Museum prangt ein Nietzsche-Zitat: „Für einen guten Ruf zahlt man für gewöhnlich zu viel – nämlich sich selber.“ Herr Messner, haben Sie zu viel bezahlt, oder haben Sie einen schlechten Ruf?

Ein schönes Zitat, denn es ist wirklich so: Man darf nicht zu sehr auf das hören, was da draußen gesagt wird. Wenn ich nur auf den oberflächlichen Ruf achte, also darauf, dass ich überall anerkannt und gelobt werde, dann verliere ich mein Selbstwertgefühl. Dann biedere ich mich überall an, dann bin ich das, was man einen Populisten nennt.

Gab es eine Situation, in der Sie vor dieser Entscheidung standen?

Ja, sehr früh. Unmittelbar nach der Everest-Besteigung sagte ein Politiker auf einem Fest: „Das hat der Reinhold für Südtirol getan.“ Ich hatte die Chuzpe, auf seine Rede zu antworten: „Danke für das Fest, aber ich muss relativieren: Ich bin nicht für das Land hinaufgestiegen, sondern für mich.“ Ich hätte ja gar nicht gewusst, welche Fahne ich hissen sollte. Ich habe dann gar keine gehisst, ich habe noch nie in meinem Leben eine Fahne gehisst. Ich bin mir meine eigene Heimat, und meine Fahne ist mein Taschentuch. Damals ging eine Welle der Aversion los, weil ich mich gegen dieses nationalistische Denken im Bergsteigen stellte. Bin ich der Eroberer des Himalayas, von Asien, weil ich da oben eine Fahne reinstecke? Das ist doch Lug und Trug!

Stichwort patriotische Vereinnahmung: Stimmt es, dass Sebastian Kurz mit Ihnen auf einen Berg gehen wollte und Sie ablehnten?

Ich hatte eine Anfrage, mit ihm auf den Ortler zu gehen. Aber so etwas mache ich nicht mit jemandem, der mit den Freiheitlichen eine Regierung bildet. Ich könnte doch niemals mehr ein kritisches Wort über jemanden sagen, mit dem ich als Bergkamerad auf den Ortler gestiegen bin. Ich wäre kompromittiert, ich könnte jetzt nicht sagen: „Herr Kurz, wir sind zwar auf den Ortler ge­stiegen, aber das mit dem ­Strache …“

Das heißt, sobald Sie mit jemandem auf den Berg gehen …

… muss ich mich auf ihn verlassen können. Wenn die Merkel morgen sagt: „Ich werde wahrscheinlich gezwungen sein, mit der AfD eine Koalition einzugehen“, würde ich sagen: „Nächsten Sommer habe ich keine Zeit.“

Und auf Merkel können Sie sich am Berg verlassen?

Ich kann mich auf Merkel verlassen, weil wir dorthin gehen, wo sie auch noch agieren kann. Wir gehen ja nicht dorthin, wo sie umkommen könnte. Außerdem weiß ich, dass sie keine rechtslastige Bewegung in ihrer Regierung sieht, da verzichtet sie eher.

In Ihrer am kommenden Dienstag laufenden Doku „Mount Everest – der letzte Schritt“ bezeichneten Sie die letzte Etappe als ein „Spiel der Leiden“. Ist die Lust an so einer Unternehmung denn in irgendeiner Form rational zu erklären?

Rational ist das nicht erklärbar. Dennoch glaube ich, eine Erklärung zu haben: Im Grunde gehen wir gegen unseren Willen – weil die Angst stets die Oberhand hat – in eine Welt, in die wir nicht hingehören und in die wir nicht hinwollen, weil wir wissen, wir können dort umkommen. Wir zwingen uns dorthin – und es ist ein Leiden, wenn wir uns bei minus 40 Grad durch diese dünne Luft hecheln: Die Kehle tut weh, der Kopf tut weh, man hat keine Kraft in den Beinen, der Sturm bläst dich fast vom Grat. Es ist also ein Spiel der Leiden.

„Spiel der Leiden“ klingt für den Nicht-Alpinisten eher wie der Titel eines Sado-Maso-Films.

Aha.

So, als ob das Ganze trotz allem irgendwie mit Lust zu tun hätte.

Viele glauben, das ist so eine Freud-Leid-Geschichte, aber mit Masochismus hat das überhaupt nichts zu tun. Die heutige Generation beantwortet die Frage, weshalb sie den Everest besteigt, ja mit: „Das macht Spaß.“ Glaubt kein einziges Wort! Es macht keinen Spaß. Unser Selbsterhaltungstrieb ist der stärkste Trieb, den wir haben, stärker als der Sexualtrieb. Nun gehen wir gegen unseren Selbsterhaltungstrieb, der uns nicht da oben sehen will, hinauf. Und wenn ich dann herunterkomme, hat dieser Selbsterhaltungstrieb eine Bestätigung bekommen, wie er sie sonst nirgends kriegen kann, indem er sagt: „Ich habe es geschafft, in einer Welt zu bestehen, in der ich eigentlich umkommen müsste.“ Das gibt ein Gefühl der Wiedergeburt. Ein Gefühl, sich sein Leben selber geschenkt zu haben.

Wenn man da oben am Gipfel steht – was passiert da mit einem? Ist das Dankbarkeit?

Die erinnerte Wirklichkeit ist nach 40 Jahren ziemlich begrenzt. Auf dem Tonband, das ich damals mithatte und am Gipfel besprach, hört man nur noch die Stimme eines ganz langsam redenden, lallenden Menschen. Aber das alleine ist schon eine wichtige Information: Das Sprechen geht da oben nur noch ganz langsam. Und auch das Denken.

Aber welche Gefühle haben sich in Ihnen breitgemacht?

Ein großes Gefühl der Befreiung: das Gefühl, mich von dieser selbst auferlegten Leidensgeschichte befreit zu haben.

Da ist man am Gipfel seines Erfolges und verspürt nicht einmal ansatzweise Befriedigung? Das ist ja eine echte Heldentragödie.

Heldengeschichten sind nur Pseudoemotion, das stimmt doch alles nicht, das ist Wunschdenken der Nicht-Helden. Der Nicht-Held braucht in seiner Vorstellung den Helden. Der Alpinismus hat ja lange davon gelebt, dass der Bergsteiger sich selbst zum Helden stilisiert hat. Das war ja dazu auch noch eine Macho-Angelegenheit.

Heißt das, den Alpenverein in den Siebzigern muss man sich in etwa so vorstellen wie den Skiverband?

Nein, denn im Alpenverein hat man Frauen lange gar nicht so gerne gesehen. Diese Matratzenlager sind nicht das ideale Habitat, um Frau und Mann zusammenzubringen.

Wenn Sie sagen, dass die Heldengeschichten alle nicht stimmen – worin besteht denn der wesentliche Unterschied zwischen Ihrer Selbstsicht und dem, was die breite Masse auf Sie projiziert?

Ich kann nicht die Haltung von Millionen Menschen mir gegenüber verändern, die sind stärker als ich. Ich glaube aber schon, dass es mir gelungen ist, große Teile des Heroischen aus dem Alpinismus zu vertreiben. Mir schreiben etwa Menschen, die an Krebs erkrankt sind und durch meine Bücher neue Kräfte sammeln – aber das hat nichts mit Heroismus zu tun, sondern damit, dass ich an die Basis der menschlichen Emotionen gelange. Dass ich radikal ehrlich bin und vor allem auch von der Angst in gewissen Situationen erzähle – oder von diesen Zombie-Zuständen, die ich erlebt habe. Man muss nicht auf den Everest steigen, niemand muss das, es ist völlig nutzlos. Aber so hat mein Tun einen Sinn, den ich selber hineingelegt habe.

Stichwort Zombie-Zustände: Ihr Everest-Partner Peter Habeler sagte, man fühle sich da oben mitunter wie ein Tier. Sind da auch menschenunwürdige Momente dabei?

Das Animalische kommt zum Vorschein, das Steigen ist oft ein Gehen auf vier Beinen. Aber ich sage Ihnen eines: Die animalischen Fähigkeiten sind beim Klettern wertvoller als die humanen. Klettern am Felsen ist ein affenartiges, ein eichhörnchenartiges Verhaltensmuster und kein humanes Verhalten.

Um zu überleben, macht man sich zum Affen?

Ich habe kein Problem damit, wenn man mich mit einem Affen oder einem Eichhörnchen vergleicht.

Was ist Ihnen lieber, Affe oder Eichhörnchen?

Affe – sehr gerne.

Habeler erzählte auch, er hatte Angst, nicht zurückzukommen – oder in einem Zustand, in dem er seine Frau nicht mehr erkennt. Wie ging es Ihnen?

Er war frisch verheiratet und hatte ein kleines Kind, ich war nicht in so einer Bindungssituation. Er hatte diese Bedenken und zögerte ein paar Mal, aber am Ende ist er, alle diese Hemmungen vergessend, da raufgestiegen.

Ist das denn gut, wenn man alle seine Hemmungen vergisst?

Das muss man – solange man sich irgendwo angebunden fühlt, kann man das nicht machen.

Und die Angst vor der Höhenkrankheit?

Die Gefahr ist immer da, in jedem Augenblick.

© News Ehm Ian Auftrag

Ist da nie der Gedanke, man könnte als Volltrottel wieder runterkommen?

Nein, hatte ich nie. Die Höhenkrankheit ist die Folge von zu langem Aufenthalt unter zu großer Anstrengung in zu großer Höhe. Ich darf nie an die absolute Grenze gehen. Wenn ich den nächsten Schritt nicht mehr tun kann, dann muss ich stehenbleiben und schnaufen, schnaufen, schnaufen. Ich kann schon einen Tag lang in eine Gefahr hineingehen, von der ich mit Sicherheit höhenkrank würde – wenn ich nicht auch am selben Tag wieder runterkommen würde. Wenn ich aber irgendwo zu hoch oben hocken bleibe, dann will ich gar nichts mehr, dann ist das Sterben nur noch schön. Es entlässt aus dem Leiden.

Aus dem selbst auferlegten Leiden.

Ja.

Welche Gedanken hat jemand wie Sie, der hauptberuflich zwischen Himmel und Erde wandelte, zum Tod?

Der Tod hat zwei Dimensionen: Das Sterben ist der Weg dorthin, und der Tod ist ein Faktum. Je näher er kommt, desto belastender wird er.

Sie haben ja aufgrund Ihrer Extremabenteuer eine Idee davon, wie das Sterben ablaufen könnte, oder?

Ja, aber nur in der Extremsituation. Jetzt bleibe ich einfach sitzen – das ist der beste Abgang. Ich habe Momente miterlebt, wo ich froh war, dass es vermeintlich aus gewesen ist, ich bin ohnmächtig geworden, und es war vorbei. Aber ich bin wieder aufgewacht und war wieder da. Solange auch nur ein Funken Energie da ist, wird der Mensch alles tun, um sein Leben zu retten. Auch das ist animalisch. Es ist nicht der Intellekt, der sagt: „Ich muss überleben, weil daheim meine Mutter wartet.“

Haben Sie eine klare Vorstellung davon, bis wann ein Leben lebenswert ist?

Die habe ich schon. Ich bitte darum, mich aus dem Leben zu entlassen, wenn ich eindeutig dement wäre. Da habe ich ganz eindeutige Verfügungen getroffen. Ich habe auch schon verfügt, dass ich verbrannt werde und meine Asche auf Schloss Juval in einem tibetischen Grabmal liegen wird. Mit einem Dasein im Rollstuhl könnte ich zurechtkommen, da würde ich wahrscheinlich schreiben. Aber im Moment geht es mir für mein Alter sehr gut, und ich versuche, mich aus der Hektik und den aggressiven Lebensbereichen zurückzuziehen, will auch nicht mehr durch irgendwelche bürokratischen Sachen belastet werden oder vom Telefon oder vom Internet.

An Achttausendern können Sie sich nicht mehr messen. Was ist denn der Everest des Alters?

Mein alter Traum ist, in eine Höhle zu gehen, um in meiner Bergeinsamkeit zu bleiben. Als halber Eremit – ich habe ja eine Familie, mit der ich mich dann und wann treffen werde.

Haben Sie denn schon eine entsprechende Immobilie im Blickwinkel?

Alles schon vorbereitet – ich hoffe, dass ich es so weit lerne, mit mir selber zurechtzukommen. Das Abenteuer zieht sich dann mehr und mehr in einen sehr engen Raum zurück. Ich werde den Teufel tun, mit 80 oder 85 von einem Felsen zu fallen. Es reicht mir dann vollkommen, wenn ich über die Kare und Hochalmen ins Nichts gehen kann. Denn die stärkste Motivation in mir ist die Horizontsucht.

Haben Sie keine Angst vor der Banalität des Todes? Einer wie der Messner kann doch nicht einfach im Bett einschlafen …

Das wäre das Großartigste.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der News-Printausgabe 18 2018

Kommentare

Na so ganz dicht is er nicht.

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