Maike Rotermund: "Bleibt locker,
probiert aus, seid mutig!"

Erotikpionierin Beate Uhse wäre heuer 100 Jahre alt. Im Familienunternehmen Orion gibt nun ihre Stiefenkelin Maike Rotermund den Ton an. Das war lange nicht deren Plan.

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Erotikbusiness - Maike Rotermund: "Bleibt locker,
probiert aus, seid mutig!"

Der Handel mit Sexspielzeug boomt, sechs Jahrzehnte nachdem Beate Uhse als Pionierin in Sachen Aufklärung Geschichte geschrieben hat. Inmitten der prüden Fünfzigerjahre gründete sie einst ihr Versandhaus für Kondome und Bücher zum Thema "Ehehygiene" und wurde rasch zur "Mutter Courage des Tabubruchs". Daran, dass ein Sex-Toy für Frauen namens Womanizer mit Orgasmusgarantie heute millionenfacher Bestseller im Angebot ist, hätte Uhse ihre Freude.

Heute ist Uhses Stiefenkelin Maike Rotermund tonangebend in der Branche. Die 43-Jährige ist seit 2014 Geschäftsführerin des Erotikversandhandels Orion, der 1985 aus Beate Uhses Unternehmungen hervorging. Dabei hatte Rotermund ihre Zukunft anders geplant. Nur nicht ins Familienunternehmen einsteigen, war zunächst die Devise. Sie studierte International Business in Großbritannien, spezialisierte sich auf Wirtschaftsprüfung und arbeitete in Brighton. Erst 2004 änderte sie ihre Meinung. Wer sie heute über das Geschäft mit Erotik sprechen hört, kann sich nicht vorstellen, dass sie je etwas anderes machen wollte.

Frau Rotermund, wie stellen Sie sich vor, wenn Sie jemanden kennenlernen?
Das kommt auf die Umgebung an, in der ich mich bewege. Wenn es nicht gerade eine Fachmesse ist, erzähle ich, wir sind in der Erotikbranche und verkaufen Toys und Dessous. Manchmal bleibt es dabei, und es wird nicht weitergefragt. Manchmal fragen mir die Leute aber auch Löcher in den Bauch, und es kommt zu angeregten Diskussionen. Die unterschiedlichen Reaktionen sind spannend zu beobachten.

Wie üblich sind weibliche Chefs in Ihrer Branche?
Frauen in Führungspositionen sind in der Erotikbranche nichts Ungewöhnliches. Es gibt viele Unternehmen, die von Frauen geführt werden. So wie Beate Uhse das Geschäft früher als Pionierin angetrieben hat, gibt es heute in England Jacqueline Gold mit der Marke Ann Summers, auch in Norwegen, Dänemark und in den USA gibt es große Unternehmen, die von Frauen geführt werden.

Hat es Vorteile, wenn Frauen in der Erotikbranche Entscheidungen treffen?
Ich glaube, das Thema Sex und Erotik ist für Frauen unverfänglicher aufzugreifen und darzustellen. Wenn Frauen das tun, gelten sie als aufgeschlossen und modern, das gibt ihnen mehr Freiheiten. Männern wird dagegen rasch eher Sexismus unterstellt. Ich denke schon, dass es Frauen deshalb leichter haben. Das war zu Beate Uhses Zeiten schon so. In ihren ersten Broschüren ging es zwar hauptsächlich darum, Menschen über Verhütung zu informieren, aber dezent kam auch bei ihr schon das Thema Spaß in der Ehe vor. Dezent deshalb, weil die Förderung von Spaß an der Sexualität damals noch gerichtlich geahndet werden konnte.

Wie haben Sie Ihre Stiefgroßmutter Beate Uhse erlebt?
Ich habe sie gar nicht richtig kennengelernt. Ich war etwa fünf Jahre alt, als die Firmen getrennt wurden (Uhse teilte ihr Unternehmen 1981 unter den Söhnen auf, siehe Kasten, Anm.). Dadurch habe ich erst mal eine negative Erfahrung mitgenommen, weil das für meinen Vater eine große Belastung war. Ich habe erlebt, wie viele Sorgen er sich gemacht hat. Auch das Unternehmertum habe ich damals als etwas Belastendes wahrgenommen. Sie müssen sich das wie die Adidas-Geschichte vorstellen: Man wohnt im selben Ort und hat von heute auf morgen zwei Firmen, die sich bis aufs Blut bekämpfen.

Wie blicken Sie als jemand, der den Familienbetrieb weiterführt, heute auf Beate Uhses Lebenswerk?
Was sie vollbracht hat, habe ich tatsächlich erst viel später verstanden. Wie viel Energie sie aufgebracht hat, welchen Kampf sie durchgefochten hat und was sie tatsächlich bewegt hat, bewundere ich sehr. Sie hat wirklich viel zur Aufklärung der Menschen beigetragen. Das sehen wir auch anhand alter Broschüren in unserem Archiv. Damals fragte man sich ja wirklich noch, ob man vom Küssen schwanger werden kann. Und Beate Uhse hat am Anfang jeden Brief geduldig persönlich beantwortet. Sie hat damals vieles intuitiv gemacht, was heute als innovative Kundenansprache gilt.

Sie haben International Business studiert und in Großbritannien als Wirtschaftsprüferin gearbeitet. Sie wollten gar nicht ins Familienunternehmen einsteigen, oder?
Nein, das war ein Entwicklungsprozess. Mein Vater hat gesagt: Lehne es nicht ab, wenn du das Unternehmen nicht kennengelernt hast. Ich habe dann hier ein Praktikum gemacht, weil ich die Zeit zwischen zwei Jobs überbrücken wollte. Dabei habe ich begriffen, was hinter diesem Unternehmen steht, wie komplex es funktioniert, welche Leute seit Jahrzehnten hier mit viel Engagement arbeiten, und habe dann entschieden: Ich möchte das mitgestalten.

Mit einem Vater aufzuwachsen, der ein Erotikunternehmen führt, ist nicht alltäglich. Wie war das?
Meine Eltern waren früh getrennt, und wir Kinder waren am Wochenende bei meinem Vater. Dort hatten wir Freunde zu Besuch, und ich denke, er wollte sich nichts zuschulden kommen lassen und war deshalb sehr zurückhaltend, seinen Beruf betreffend. Deshalb habe ich erst im Teenageralter begriffen, was er macht, mit allen Vor- und Nachteilen. Manchmal fand ich es spannend, auch weil man in der Pubertät gerne provoziert. Und manchmal habe ich schon gedacht: Warum ist mein Vater nicht einfach Lehrer? Schief angeguckt worden bin ich aber nie, weil Beate Uhse in Flensburg zum Alltag gehört und seit Jahrzehnten präsent ist.

Sie wirken auf Fotos stets gut gelaunt. Gehört das zu Ihrem Führungsstil?
Wir lachen tatsächlich viel bei Orion, wir verbringen hier viel Zeit, dabei soll sich jeder wohl fühlen und Spaß an der Arbeit haben. Das gehört zur Unternehmenskultur: Toleranz, Spaß und Neugier bei der Arbeit und in Bezug auf unsere Produkte. Dazu habe ich von meinem Vater gelernt, dass Entscheidungen so weit wie möglich von Kollegen getroffen werden sollten, die an der Basis sind, direkt am Kunden. Dabei muss jeder Kollege eine Offenheit für das Thema mitbringen. Und besonders wichtig ist mir: Was Kundenwünsche betrifft, liegt es nicht an uns, die zu beurteilen.

Inwieweit erklären Sie Ihren Kindern Ihren Beruf? Werden die automatisch liberaler erzogen in Sachen Sexualität, weil es für Sie Berufsalltag ist?
Nein, ich glaube nicht, dass sie automatisch liberaler erzogen werden. Ich denke, wie alle Eltern versuche ich, sie altersgerecht aufzuklären und sie selbstbewusst in jeder Hinsicht zu machen. Meine Kinder sollen ein gesundes Verhältnis zu sich entwickeln und auch Nein sagen lernen, was in Zeiten von Internet, Youtube und Social Media eine andere Herausforderung ist als vor 20 Jahren.

Welche Vorurteile entlarvt man, und inwieweit wird man liberaler für das Thema, wenn Sex und Erotik das Tagesgeschäft sind?
Sexualität ist so spannend und vielschichtig, wir lernen jeden Tag noch dazu. Man darf nie den Fehler machen, sich selbst als Maßstab zu nehmen.

Was ist denn heute Ihr bestverkaufter Artikel?
Ungeschlagen der Womanizer. Das ist eine relativ neue Erfindung. Ein Toy, das mit Unterdruck die Klitoris stimuliert. Es wird von Paaren eingesetzt, aber auch solo und von vielen Frauen, die anders nicht zum Orgasmus kommen. Der Erfinder hat eine Orgasmusgarantie abgegeben, und wir haben sehr viele positive Rückmeldungen. Der bestverkaufte Artikel ist also ein Produkt für Frauen.

Die Mehrheit unserer Produkte, etwa 70 Prozent der Toys, sind für Frauen oder Paare, deswegen überrascht uns das nicht. Die meisten Produkte werden allein oder in der Partnerschaft genutzt, und es herrscht immer noch in manchen Köpfen das Vorurteil, dass Frauen grundsätzlich weniger Interesse an Sex haben - das erleben wir aber anders.

Was bedeute es, wenn Frauen den Großteil der Erotik-Toys kaufen: Sind Frauen experimentierfreudiger, brauchen sie für ihre sexuelle Lust mehr Unterstützung oder shoppen sie einfach gern?
Frauen sind heute definitiv selbstbewusster, was ihre eigene Sexualität betrifft. In erster Linie geht es darum, zu entdecken, was einem selbst Spaß macht, und Verantwortung zu übernehmen. Toys werden ja auch nicht nur allein genutzt, sondern auch in das Vorspiel mit einbezogen -und in einigen Fällen sind Toys auch die Unterstützung, die benötigt wird.

Lässt sich aus dem Kaufverhalten Ihrer Kunden auf gesellschaftliche Entwicklungen schließen?
Wir sehen extreme Entwicklungen in zwei Richtungen: Einerseits haben wir die #Metoo-Debatte, sodass das Thema Sexualität und Erotik in den Medien sehr zurückhaltend thematisiert wird, weil man keinen Fehler machen möchte. Bei Diskussionen mit der jüngeren Generation bekommen wir auch das Gefühl, dass sie konservativer ist als unsere Eltern. Vielleicht resultiert das aus dem Überangebot an Informationen und dem heutigen Perfektionsanspruch. Andererseits gibt es Leute, die sehr offen über ihr Sexualleben sprechen und sich die Freiheit nehmen, sich auszuprobieren. So wie ich es erlebe, sind diese Bewegungen wie Gegenpole: Wenn sich das eine Extrem stärker ausprägt, entwickelt sich auch das andere stärker. Als wichtigen Trend sehe ich jetzt, dass die Selbstbestimmung des Individuums auch in Sachen Erotik zunimmt. Das heißt, dass der Einzelne für sich herausfindet, wo er oder sie sich in dieser Vielfalt an Möglichkeiten gut fühlt.

Orion bietet über den Instagram-Auftritt auch Aufklärungsvideos, ähnlich wie Beate Uhse. Ist das heute noch wichtig, den Unterschied zwischen klitoralem und vaginalem Orgasmus zu erklären?
Wir haben lange angenommen, dass es heutzutage nicht mehr nötig ist, Aufklärung zu leisten, weil es so viele Informationsmöglichkeiten gibt. Trotzdem werden uns diese Fragen tatsächlich gestellt, daher beantworten unsere Kolleginnen über Social Media auch jede Frage. Uns freut, dass das viel genutzt wird, weil wir besser verstehen können, was die Leute bewegt, und näher an unseren Kunden sind.

Haben Sie als Chefin eines Erotikhandels eine Verantwortung, was den Umgang mit Sex und Erotik in unserer Gesellschaft betrifft?
Natürlich tragen wir Verantwortung, weil wir ja entscheiden, wie wir das Thema transportieren und wie wir uns als Unternehmen positionieren. Ein entspannter Umgang mit Sexualität ist heute wichtiger denn je, weil durch die geschönten Darstellungen in den sozialen Medien ein Druck und Vorstellungen von perfektem Sex geschaffen werden. Wir finden, es muss nicht immer alles perfekt sein. Sexualität und Erotik sind jedes Mal und für jede Person individuell. Es gibt nicht den einen richtigen Weg. Oft fragen Männer bei uns an: "Was muss ich tun, damit meine Partnerin absolut glücklich ist?" Das ist toll, dass Männer sich diese Gedanken machen, aber unsere Botschaft an beide Partner ist: "Bitte bleibt locker, probiert aus, seid mutig - und vor allem: Redet miteinander!" Es scheint, als wäre einerseits heute sexuell alles möglich, andererseits wird längst nicht über alles gesprochen. So sehen wir das bei Orion, ja.

Eine Frage, die Ihr Name aufdrängt, zuletzt: Haben Sie die Bedeutung des Nachnamens Rotermund je recherchiert?
Darauf bin ich tatsächlich oft angesprochen worden und habe auch nachgeforscht. Er kommt aus dem Althochdeutschen und hat eine völlig andere, ich meine sogar eher eine kriegerische Bedeutung. Sicher bin ich aber nicht.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der Printausgabe von News (Nr. 36/2019) erschienen!