Philipp Maderthaner: "Es ist die Aufgabe von allen, Verantwortung zu tragen"

Kampagnenprofi Philipp Maderthaner erklärt, wie man in Zeiten von Corona und Terrorangst Mut, Disziplin und Zuversicht "bewirbt". Und er sieht ein Comeback der "Tugend des vorsichtigen Kaufmanns" nach der Krise.

von In Zeiten der Krise - Philipp Maderthaner: "Es ist die Aufgabe von allen, Verantwortung zu tragen" © Bild: Matt Observe

Die Stimmung im Land ist im Sinkflug. Zu den Einschränkungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie kommt die Sorge, das Gesundheitssystem könnte zusammenbrechen oder die Schulen könnten schließen. Andererseits lassen viele trotz steigender Infektionszahlen jede Vernunft vermissen. Und wäre das alles nicht schon belastend genug, kam nun auch noch die Angst vor dem Terror dazu. Wie können die Österreicherinnen und Österreicher mental durch die Krise kommen? Braucht es eine große "Kampagne", um Moral und Zuversicht zu heben?

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Philipp Maderthaner weiß, wie man Leute für ein Thema oder auch für eine Person gewinnt. Politisch Interessierten ist er als "Kanzlermacher" bekannt, seit er mit seinem Campaigning Bureau zwei Nationalratswahlkämpfe für Sebastian Kurz gesteuert hat. Er berät parteiübergreifende Initiativen wie "Neustart Schule" und mit seiner Firma Business Gladiators kleinere und mittlere Unternehmen dabei, ihren Platz neben großen Playern zu finden. "Natürlich stellt uns Corona vor große Herausforderungen und manche Unternehmen an den Rand ihrer Existenz", sagt Maderthaner. "Die Ereignisse vom Montag haben zu dieser Unsicherheit noch massiv beigetragen. Zeiten, in denen wir das Gefühl haben, dass uns alles entgleitet, sind besonders schwierig."

»Du kannst etwas tun. Du kannst für die Menschen da sein und dich nicht zurückziehen«

Sein Büro ist keine 100 Meter vom Anschlagsort in Wien entfernt, die Mitarbeiter waren bereits davor im Homeoffice, also außerhalb der Gefahrenzone, "wofür ich wirklich dankbar bin. Aber auch wir haben am Dienstag in der Früh gemerkt, was das mit uns gemacht hat. Braucht es also eine Kampagne, die die Moral hochhält? Auf eine gewisse Art und Weise ja. Aber nicht so, wie man das gewohnt ist, mit Plakaten oder Werbespots. Ich halte auch nichts davon, den Menschen vorzugeigen, dass alles nicht so schlimm ist. Kampagne führen heißt Menschen für etwas gewinnen." Und zwar einerseits für Mut und Zuversicht, andererseits dafür, sich an Regeln zu halten, die die Infektionszahlen senken sollen.

Führung gibt Sicherheit

Gefordert sei für diese stille Kampagne nahezu jeder Einzelne, erklärt Maderthaner. "Es ist jetzt die Aufgabe von allen, die Verantwortung tragen - egal, ob an der Spitze der Republik, an der Spitze von Unternehmen und Organisationen oder in der Familie -, für ihr Umfeld ein Fels in der Brandung zu sein und Sicherheit zu geben. Dass das nicht immer leicht fällt, ist mir klar. Aber wofür sind Führungspersönlichkeiten sonst da?" Die Botschaft an jeden Einzelnen sei: "Du kannst etwas tun. Du kannst für die Menschen da sein und dich nicht zurückziehen. Beim ersten Lockdown habe ich beobachtet - und ich befürchte, es wird diesmal wieder so sein -, dass manche Unternehmen ihre Mitarbeiter nach Hause schicken, und die hören dann nichts mehr von ihrer Firma. Wer glaubt, dass das Sicherheit gibt, irrt. Aber das ist unser verdammter Job als Führungskräfte, für unsere Leute da zu sein. Wer den nicht macht, hat seine Berechtigung verloren."

© Matt Observe Eine Kampagne für Zuversicht und Disziplin müssen alle mittragen, sagt Maderthaner

Die richtigen Worte in dieser Zeit zu finden, sei eine Herausforderung, gesteht Maderthaner ein. "Als wir als Unternehmen ins Homeoffice gegangen sind, war das noch einigermaßen leicht. Da haben wir vom Frühjahr eine gewisse Routine. Ich habe alle Mitarbeiter in einem virtuellen Teammeeting versammelt und erklärt: Wie ist die Situation, wie werden wir vorgehen, wie sind die Spielregeln. Das gibt einen sicheren Rahmen. Am Dienstag nach dem Anschlag ist es mir schon nicht mehr so leicht gefallen, die richtigen Worte zu finden. Denn in einer gewissen Hinsicht bin ich kein Freund des ,positiven Denkens'. Ich halte nichts davon, furchtbaren Situationen etwas ,Gutes' abzugewinnen. Das lässt den Respekt vor diesen Ereignissen vermissen. Schreckliche Dinge muss man auch als solche benennen. Punkt." Gleichzeitig sei es aber auch wichtig, nicht zu vergessen, "worauf wir bauen und vertrauen können. Ich bin zum Beispiel dankbar dafür, dass niemandem etwas passiert ist, den ich kenne. Oder dafür, dass wir als Unternehmen zwar durch die Krise gefordert, aber bisher glimpflich davongekommen sind. Das gilt es, nicht aus den Augen zu verlieren.""Die falsche Übung" sei, zu glauben, dass man verhindern könne, dass manche Dinge passieren. "Das übersteigt unsere Macht. Wir können nur versuchen und üben, die Welle, so gut es geht, zu nehmen. Denn irgendeine Welle wird immer über uns hinwegschwappen."

Verantwortung nicht delegieren

Die Bundesregierung und die Verantwortlichen in den Bundesländern werden zunehmend kritisiert, weil der softe Lockdown vielen zu langsam und nicht umfassend genug ist. Maderthaner sieht das anders: "Jeder ist für seinen Bereich verantwortlich. Vom Bundespräsidenten und der Regierung abwärts. Und wir tun gut daran, uns einmal um unseren eigenen Bereich zu kümmern. Natürlich ergehen sich viele in der einfacheren Übung, besser zu wissen, was die anderen zu tun hätten. Das ist mir zu billig. Dieses Phänomen kannten wir aber schon vor Corona - aus dem Fußball nämlich. Und ich bin mir nicht sicher, wer von den Kritikern selbst die Verantwortung für diese Situation würde tragen wollen. Ich bin dankbar, dass ich sie nicht für die Republik tragen muss"

»Der beste Zeitpunkt, Dinge anzugehen, liegt vielleicht Jahre zurück. Der zweitbeste ist jetzt«

Dass immer mehr Leute auf die Einhaltung der Anti-Corona-Maßnahmen pfeifen - ließe sich diese gefährliche Tendenz durch bessere Kommunikation und ein Zurück zu einer gemeinsamen Linie aller politisch Verantwortlichen wieder "einfangen"? "Mit zunehmendem Ausmaß des Problems wird auch die Disziplin wieder steigen", glaubt Maderthaner, "ob das dann allerdings zu spät war oder nicht, ist die Frage." Eine Ursache für die mangelnde Disziplin jetzt sieht er "im Wunsch nach einfachen Antworten. Die einfache Antwort wäre: Es ist alles zu oder es ist alles offen. Darum hat wohl der erste Lockdown so gut funktioniert. Aber die Welt bleibt nicht stehen, Erkenntnisse und wissenschaftliche Meinungen entwickeln sich weiter. Darum gibt es nicht mehr nur Schwarz oder Weiß, sondern auch Graustufen. Und es gibt auch in der Reaktion auf die verordneten Maßnahmen Graustufen."

Im Überlebensmodus

Vor etwa einem Jahr hat Maderthaner Business Gladiators gegründet, um kleinere Unternehmen dabei zu beraten, ihre Nischen neben den großen Playern zu finden. Doch nun stehen seine Kunden coronabedingt vor ganz anderen Herausforderungen. Es geht ums Überleben. "Wir sehen im Moment zwei Gruppen von Unternehmen. Die erste Gruppe hat sehr wenig finanzielle Reserven, hat sozusagen einen sehr niedrigen Puls und ist im Überlebensmodus. Da geht es vor allem darum: Wie schaffe ich Liquidität, wo kriege ich Unterstützung? Aber es gibt auch eine andere Gruppe von Unternehmen. Deren finanzieller Puls ist relativ stabil, die sind beeinträchtigt, aber solide unterwegs, fahren wie ein Tanker weiter. Natürlich mit Kratzern und langsamer, aber sie halten Kurs."

© Matt Observe

Natürlich hätte man schon vor der Krise an der Resilienz eines Unternehmens arbeiten müssen. "Der beste Zeitpunkt, die Dinge anzugehen, liegt vielleicht schon Jahre zurück. Der zweitbeste ist jetzt." Soll heißen: "So wie wir alle im Moment auf unser Immunsystem schauen und es stärken wollen, gilt das auch für Unternehmen. Da passiert das auf drei Ebenen: Die Tugenden des vorsichtigen Kaufmanns werden wieder wichtiger. Die Zeiten, wo man sich für Wachstum mit dem halben Körper aus dem Fenster gelehnt hat, sind vorüber. Im Zukunft wird man wieder darauf achten, dass Investitionen gut überlegt sind." Die zweite Aufgabe sei: "Man muss die unternehmerische Substanz stärken: Das sind die Mitarbeiter. Ich muss Führung und Kultur im Unternehmen stärken, damit eine Krise von außen nicht zur Krise von innen wird. Das beginnt damit, dass ich für meine Leute da bin." Und die dritte Aufgabe? "Ich muss meine Marktposition stärken. Viele Unternehmen sind schon längst gezwungen, sich neu zu erfinden, weil wir in einer Welt leben, in der Produkte austauschbar werden." Daher müsse man Emotionen und Zugehörigkeit bieten. "Wenn Unternehmen diese Werte vermitteln, werden sie Kunden an sich binden, die treuer sind und weniger auf den Preis schauen. Natürlich wird es immer auch den Konsumwahn geben. Aber als Unternehmer kann man entscheiden, auf welchem Spielfeld man tätig sein will."

»Stifte Nutzen, kümmere dich um deine Leute, schau, dass deine Firma auf soliden Beinen steht«

Auch in der Krise könne man an diesen "Grundmauern" eines Unternehmens arbeiten, ist Maderthaner überzeugt. "Wenn mein Tanker leck geschlagen ist, heißt es natürlich einmal Wasser schöpfen und Löcher stopfen. Eines nach dem anderen. Aber irgendwann kommt der Zeitpunkt, wo ich alles getan, alle Hilfen beantragt habe, dann kann ich mich hinsetzen und überlegen, was mache ich besser, wenn ich wieder aufsperre? Krisen sind Veränderungsbeschleuniger." Völlig vernachlässigt werde von vielen Unternehmen, z. B. in der Gastronomie und im Tourismus, auch in Zeiten von Lockdowns den Kontakt zu ihren Kunden zu halten. "Die Beziehung zu diesen muss aber gepflegt werden, es kommt schließlich auch der Tag danach."

Doch viele jener, die unverschuldet in die Krise geschlittert sind, werden sich wohl die Sinnfrage stellen. Sollen sie nach Corona überhaupt weitermachen? "Die Sinnfrage gehört zum Unternehmersein immer dazu", sagt Maderthaner und verweist auf einen Rat, den er einmal bekommen hat: "Frage dich immer nur:,Halte ich morgen noch durch?' Wenn die Antwort ,Ja' ist, kannst du dir die Frage morgen wieder stellen. So kann man Berge, die manchmal unbezwingbar erscheinen, schaffen." Auch in der Krise soll man sich nicht zu viel aufbürden. "Man kann nur jeden Tag sein Bestes geben. Und wenn das nicht reicht, dann konntest du auch nicht mehr tun." Die abgedroschene Phrase von der Krise als Chance verhöhne jene, die gerade um ihr Überleben kämpfen, findet Maderthaner. "Aber irgendwann bekommt man den Kopf wieder über Wasser. Jetzt sehen wir, diese ganzen Hypes, Employer Branding, neuer Führungsstil, neue Marketingtechnologien, blenden oft nur und bringen wenig. Am Ende geht es um ganz schlichte Dinge: Stifte einen Nutzen, kümmere dich um deine Leute, schau, dass dein Unternehmen auf soliden Beinen steht. Und vor allem: Übernimmt Verantwortung." Und damit sind wir wieder am Beginn unserer Unterhaltung. Verantwortung muss im Moment jeder übernehmen.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich im NEWS der Ausgabe 46/2020.