Macron sieht die Welt am Scheideweg und Europa in der Pflicht

Französischer Präsident fordert im Bundestag ein souveräneres und tatkräftiges Europa

von

Seine erste Rede im deutschen Parlament nutzt Macron für ein leidenschaftliches Bekenntnis zur deutsch-französischen Freundschaft. Und für eine eindringliche Ermahnung, dass Europa in Anbetracht der globalen Herausforderungen souveräner werden müsse. "Wir haben die Aufgabe, jetzt zu handeln, weil wir es Europa schulden, weil wir es der Welt in ihrem derzeitigen Zustand schulden", sagte Macron. Der Welt drohe der Absturz in einen "Nationalismus ohne Gedächtnis und Fanatismus ohne Werte".

Im Einsatz für eine Stärkung Europas und den europäischen Gedanken sieht Macron das deutsch-französische Gespann besonders in der Pflicht. Nur wenn dieses im Einvernehmen handle, könne es Fortschritte in Europa geben, mahnt der französische Gast.

Vor über einem Jahr war der glühende Europäer mit seinen Ideen für eine EU-Reform vorgeprescht. Monatelang musste er auf eine Antwort der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel warten, erst bei ihrem Treffen im brandenburgischen Meseberg im Juni einigten sich die beiden auf einen Fahrplan für das gemeinsame Vorgehen.

Doch damit verschwanden die Unstimmigkeiten zwischen Berlin und Paris nicht, etwa bei der Digitalsteuer für Internetkonzerne. Und so betont Macron am Sonntag, Meseberg sei ein wichtiger Schritt gewesen, aber jetzt komme es auf die Umsetzung an.

Dabei gab es in jüngster Zeit Bewegung: Finanzminister Olaf Scholz und sein französischer Kollege Bruno Le Maire erarbeiteten Vorschläge für eine "Architektur" eines Eurozonen-Budgets - am Montag beraten sie in Brüssel mit den anderen Euro-Finanzministern darüber.

Auch Macron und Merkel demonstrierten zuletzt Einigkeit. Im Rahmen des Weltkriegsgedenkens besuchten sie in einem hochsymbolischen Akt der Versöhnung den Ort des Waffenstillstands von 1918 bei Compiegne. Tags darauf versammelten sich mehr als 60 Staats- und Regierungschefs am Pariser Triumphbogen. Dort warnte Macron eindringlich vor einem Wiedererstarken des Nationalismus; wie ein Echo bekräftigte Merkel diese Warnung zur Eröffnung des Friedensforums am selben Tag.

Und die Kanzlerin unterstützte zwei Tage später im Europaparlament den Vorschlag Macrons, eine "echte europäische Armee" zu schaffen. Demonstrativer Schulterschluss mit dem Franzosen - war dessen Idee doch von einem erbosten US-Präsidenten Donald Trump auf Twitter zerrissen worden, weil sie gegen die Nato gerichtet sei.

Wie eine Klammer rahmten deutsch-französische Begegnungen die Gedenkfeiern zum Ende des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren: Den Beginn machten vor genau zwei Wochen Macron und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei einem Friedenskonzert im Straßburger Münster. Nun setzt Macrons Berlin-Besuch den Schlusspunkt unter das zweiwöchige Weltkriegsgedenken.

Zum Auftakt trifft der französische Gast gemeinsam mit Steinmeier Jugendliche, um mit ihnen über ihre Ideen für den Frieden zu diskutieren. Am Mittag legt Macron gemeinsam mit Steinmeier, Merkel und anderen Würdenträgern einen Kranz an der Neuen Wache nieder, der zentralen Gedenkstätte der Bundesrepublik für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft.

Nach dem Gedenken geht es an die "tägliche Arbeit", stellt Merkel nüchtern fest. Und Macron betont, es gebe "einen gemeinsamen Willen zu handeln". Am Sonntag wird deutlich: Beide eint der Wunsch, das deutsch-französische Paar zu stärken, um Europa voranzubringen. Die nächsten Wochen werden zeigen, wie erfolgreich sie diese Überzeugung umsetzen können.

Kommentare